Aristoteles (384-322 v.Chr.) untersuchte das Wesen der Argumentation und des logischen Schließens mit dem Ziel, korrekte von inkorrekten Argumenten zu unterscheiden.
Verschiedene Werke, u.a. Analytica priora, Analytica posteriora.
Aristoteles nennt die logischen Schlußfolgerungen Syllogismen (griechisch: "Zusammenrechnung").
Ein Syllogismus ist eine Aussage, in der bestimmte Dinge [die Prämissen] behauptet werden und in der etwas anderes [die Konsequenz], unumgänglich aus dem Behaupteten folgt. Mit dem letzten Satz meine ich, dass die Prämissen die Konsequenz zum Resultat haben, und damit meine ich, dass keine weitere Prämisse erforderlich ist, um die Konsequenz unumgänglich zu machen.
#### Beispiele
```
Wenn alle Menschen sterblich sind und
Sokrates ein Mensch ist,
dann ist Sokrates sterblich.
```
```
Wenn eine Zahl gerade und größer als zwei ist,
dann ist sie keine Primzahl.
```
```
Wenn die Leitzinsen hoch sind,
dann sind die Börsianer unzufrieden.
```
Aristoteles identifizierte einige zulässige Syllogismen, die Scholastiker fügten weitere hinzu:
(Barbara)
```
Alle Dackel sind Hunde Alle P sind M
Alle Hunde sind Tiere Alle M sind S
Dann sind alle Dackel Tiere Alle P sind S
```
(Cesare)
```
Keine Blume ist ein Tier Kein P ist M
Alle Hunde sind Tiere Alle S sind M
Dann ist keine Blume ein Hund Kein P ist S
```
(Darapti)
```
Alle Delfine leben im Meer Alle M sind P
Alle Delfine sind Säugetiere Alle M sind S
Dann leben einige Säugetiere im Meer Einige S sind P
```
### Kalküle
Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) wollte korrekte von inkorrekten Argumentationsketten unterscheiden. Hierzu sollte ein Kalkül entwickelt werden, in dem alle korrekten Argumentationsketten ermöglicht sind (und keine inkorrekten).
David Hilbert (1862-1943) entwickelte solche Kalküle.
Diese "Hilbertkalküle" sind sehr verschieden von üblichen Argumentationsmustern.
Gerhard Gentzen (1909-1945) entwickelte Kalküle des "natürlichen Schließens", die übliche Argumentationsmuster formalisieren.
### Die Aussagenlogik
George Boole (1815 - 1864) entwickelte einen Kalkül zum Rechnen mit atomare Aussagen, die entweder wahr oder falsch sein können.
Verknüpfung durch Operatoren(und, oder, nicht, wenn-dann... ).
### Die Prädikatenlogik (Ende des 19. Jahrhunderts)
Gottlob Frege (1848-1925), Giuseppe Peano (1858-1932) und Bertrand Russell (1872-1970)entwickelten die Logik zur Grundlage der Mathematik, als formale Basis für die Vermeidung von Widersprüchen.
Entwicklung der Prädikatenlogik, die erlaubt:
- Beziehungen zwischen "Objekten" zu beschreiben
- existentielle Aussagen zu treffen: "es gibt ein x, so dass... "
- universelle Aussage zu treffen: "für jedes x gilt, dass... "
## Logik in der Informatik
Claude Shannon (1916 - 2001) benutzt die Aussagenlogik 1937, um elektromechanische Schaltkreise zu beschreiben und zu optimieren.
Allen Newell (1927-1992), Herbert Simon (1916-2001) und Alan Robinson (1930-2016) entwickelten 1950-1960 die ersten Systeme für die Automatisierung des logischen Schließens als Werkzeug der Künstlichen Intelligenz.
- Schaltkreisentwurf: Schaltkreise lassen sich durch logische Formeln darstellen -> Entwurf und Optimierung von Schaltungen
- Modellierung und Spezifikation: Eindeutige Beschreibung von komplexen Systemen
- Verifikation: Beweisen, dass ein Programm das gewünschte Verhalten zeigt
- Datenbanken: Formulierung von Anfragen an Datenbanken -> Abfragesprache SQL (Structured Query Language)
- (klassische) Künstliche Intelligenz:
- Planung
- Mensch-Maschine Kommunikation
- Theorembeweiser: Der Computer beweist mathematische Sätze -> automatischer Beweis von wichtigen Sätzen im Bereich der Booleschen Algebren
- Logische Programmiersprachen
Außerdem: Logik ist ein Paradebeispiel für Syntax und formale Semantik
Edsger W. Dijkstra (1920-2002): Informatik = VLSAL (Very large scale application of logics)
Die Logik
- versucht, gültige Argumentationen von ungültigen zu unterscheiden,
- hat Anwendungen in der Informatik,
- formalisiert die zu untersuchenden Aussagen
### Probleme mit natürlicher Sprache
1. Problem: Zuordnung von Wahrheitswerten zu natürlichsprachigen Aussagen ist problematisch.
- Beispiele:
- Ich habe nur ein bißchen getrunken.
- Sie hat sich in Rauch aufgelöst.
- Das gibt es doch nicht!
- Rache ist süß.
2. Problem: Natürliche Sprache ist oft schwer verständlich.
- Beispiel: Auszug aus der "Analytica Priora" von Aristoteles
- Die Aussage: Wenn der Mittelbegriff sich universell auf Ober- oder Untersatz bezieht, muss ein bestimmter negativer Syllogismus resultieren, immer wenn der Mittelbegriff sich universell auf den Obersatz bezieht, sei es positiv oder negativ, und besonders wenn er sich auf den Untersatz bezieht und umgekehrt zur universellen Aussage.
- Der Beweis: Denn wenn M zu keinem N gehört, aber zu einem O, ist es notwendig, dass N zu einem O nicht gehört. Denn da die negative Aussage umsetzbar ist, wird N zu keinem M gehören: Aber es war erlaubt, dass M zu einem O gehört: Deshalb wird N zu einem O nicht gehören: Denn das Ergebnis wird durch die erste Figur erreicht. Noch einmal: Wenn M zu allen N gehört, aber nicht zu einem O, ist es notwendig, dass N nichtzu einem O gehört: Denn wenn N zu allen O gehört und M auch alle N-Eigenschaften zugeschrieben werden, muss M zu allen O gehören: Aber wir haben angenommen, dass M zu einem O nicht gehört. Und wenn M zu allen N gehört, aber nicht zu allen O, können wir folgern, dass N nicht zu allen O gehört: Der Beweis ist der gleiche wie der obige. Aber wenn M alle O-Eigenschaften zugeschrieben werden, aber nicht alle N-Eigenschaften, wird es keinen Syllogismus geben.
3. Problem:Natürliche Sprache ist mehrdeutig.
- Beispiel: "Ich sah den Mann auf dem Berg mit dem Fernrohr."
- (((Ich sah den Mann) auf dem Berg) mit dem Fernrohr)
- ((Ich sah (den Mann auf dem Berg)) mit dem Fernrohr)
- ((Ich sah den Mann) (auf dem Berg mit dem Fernrohr))
- (Ich sah ((den Mann auf dem Berg) mit dem Fernrohr))
- (Ich sah (den Mann (auf dem Berg mit dem Fernrohr)))
4. Problem:Natürliche Sprache hängt von Kontext ab.
```
Die Beatles sind Musiker
Paul McCartney ist ein Beatle
Paul McCartney ist ein Musiker
```
```
Die Beatles sind vier
Paul McCartney ist ein Beatle
Paul McCartney ist vier
```
# Kapitel 1: Aussagenlogik
Beispiel
Ein Gerät besteht aus einem Bauteil A, einem Bauteil B und einem roten Licht. Folgendes ist bekannt:
1. Bauteil A oder Bauteil B (oder beide) sind kaputt.
2. Wenn Bauteil A kaputt ist, dann ist auch Bauteil B kaputt.
3. Wenn Bauteil B kaputt ist und das rote Licht leuchtet, dann ist Bauteil A nicht kaputt.
4. Das rote Licht leuchtet.
Zur Formalisierung verwenden wir folgende Abkürzungen:
- RL (rotes Licht leuchtet),
- AK (Bauteil A kaputt),
- BK (Bauteil B kaputt),
- $\vee$ (oder),
- $\rightarrow$ (wenn, dann),
- $\wedge$ (und) und
- $\lnot$ (nicht).
Damit können wir unser Wissen kompakter hinschreiben:
1. $AK \vee BK$
2. $AK \rightarrow BK$
3. $(BK \wedge RL)\rightarrow \lnot AK$
4. $RL$
Aus den vier Aussagen lassen sich weitere Aussagen neue Aussagen bilden
5. Falls $AK$ gilt, so folgt aus $AK\rightarrow BK$, dass $BK$ gilt.
6. Falls $BK$ gilt, so gilt natürlich $BK$.
7. Da $AK \vee BK$ gilt, folgt aus (5) und (6), dass $BK$ in jedem Fall gilt.
8. Es gilt auch $RL$.
9. Also gilt $BK\wedge RL$ (aus (7) und (8)).
10. Es gilt auch $(BK \wedge RL)\rightarrow\lnot AK$.
11. Also gilt $\lnot AK$ (aus (9) und (10)).
Damit sind wir überzeugt, dass das Bauteil A heil ist.
Den Beweis, dass das Teil A heil ist, werden wir als "Beweisbaum" formalisieren:
In der Aussagenlogik gehen wir von "Aussagen" aus, denen wir (zumindest prinzipiell) Wahrheitswerte zuordnen können.
## Beispiele
- Die Summe von 3 und 4 ist 7.
- Jana reagierte aggressiv auf Martins Behauptungen.
- Jede gerade natürliche Zahl>2 ist Summe zweier Primzahlen.
- Alle Marsmenschen mögen Pizza mit Pepperoni.
- Albert Camus était un écrivain français.
- In theory, practically everything is possible.
Für diese Aussagen verwenden wir dieatomaren Formeln $p,q,r$ bzw. $p_0,p_1,...$
Die Aussagen werden durch "Operatoren" verbunden. Beispiele
- ... und...
- ... oder...
- nicht...
- wenn... dann...
- entweder... oder... , aber nicht beide.
- mehr als die Hälfte der Aussagen ... gilt.
Für solche zusammengesetzten Aussagen verwenden wir $\varphi,\psi$ usw.
Durch die Wahl der erlaubten Operatoren erhält man unterschiedliche "Logiken".
Da der Wahrheitswert einer zusammengesetzten Aussage nur vom Wahrheitswert der Teilaussagen abhängen soll, sind Operatoren wie "weil" oder "obwohl" nicht zulässig.
## Syntax der Aussagenlogik
Eine atomare Formel hat die Form $p_i$ (wobei $i\in\mathbb{N}=\{0,1,...\}$).
Formeln werden durch folgenden induktiven Prozess definiert:
1. Alle atomaren Formeln und $\bot$ sind Formeln.
2. Falls $\varphi$ und $\psi$ Formeln sind, sind auch $(\varphi\wedge\psi),(\varphi\wedge\psi)$($\varphi \rightarrow\psi$)und $\lnot\varphi$Formeln.
3. Nichts ist Formel, was sich nicht mittels der obigen Regeln erzeugen läßt.
Es gilt also z.B.: $(\alpha\leftrightarrow\beta\vee\lnot\gamma\rightarrow\sigma\wedge\lnot\eta) = (\alpha\leftrightarrow ((\beta\vee\lnot\gamma)\rightarrow(\sigma\wedge\lnot\eta)))$
Ein (mathematischer) Beweis zeigt, wie die Behauptung aus den Voraussetzungen folgt.
Analog zeigt ein "Beweisbaum" (= "Herleitung" = "Deduktion"), wie eine Formel der Aussagenlogik aus Voraussetzungen (ebenfalls Formeln der Aussagenlogik) folgt.
Diese "Deduktionen" sind Bäume, deren Knoten mit Formeln beschriftet sind:
- an der Wurzel steht die Behauptung (= Konklusion $\varphi$)
- an den Blättern stehen Voraussetzungen (= Hypothesen oder Annahmen aus $\Gamma$)
- an den inneren Knoten stehen "Teilergebnisse" und "Begründungen"

## Konstruktion von Deduktionen
Aus der Annahme der Aussage $\varphi$ folgt $\varphi$ unmittelbar: eine triviale Deduktion
$\varphi$ mit Hypothesen $\{\varphi\}$ und Konklusion $\varphi$.
Folgend werden wir
- überlegen, wie aus "einfachen mathematischen Beweisen" umfangreichere entstehen können und
- parallel dazudefinieren, wie aus einfachen Deduktionen umfangreichere konstruiert werden können.
### Konjunktion
#### Konjunktionseinführung in math. Beweisen
Ein mathematischer Beweis einer Aussage "$\varphi$ und $\psi$" sieht üblicherweise so aus:
- "Zunächst zeige ich $\varphi$: ... (hier steckt die eigentliche Arbeit)
- Jetzt zeige ich $\psi$: ... (nochmehr eigentliche Arbeit)
- Also haben wir "$\varphi$ und $\psi$" gezeigt. qed"
#### Konjunktionseinführung (ausführlich)
Ist D eine Deduktion von $\varphi$ mit Hypothesen aus $\Gamma$ und ist E eine Deduktion von $\psi$ mit Hypothesen aus $\Gamma$, so ergibt sich die folgende Deduktion von $\varphi\wedge\psi$ mit Hypothesen aus $\Gamma$:
Ist D eine Deduktion von $\varphi\wedge\psi$ mit Hypothesen aus $\Gamma$, so ergeben sich die folgenden Deduktionen von $\varphi$ bzw. von $\psi$ mit Hypothesen aus $\Gamma$:
Wir zeigen $\varphi\wedge\psi$ unter der Hypothese $\psi\wedge\varphi$:...

Dies ist eine Deduktion mit Konklusion $\varphi\wedge\psi$ und Hypothese $\psi\wedge\varphi$ (zweimal verwendet).
### Implikation
#### Implikationseinführung in math. Beweisen
Ein mathematischer Beweis einer Aussage "Aus $\varphi$ folgt $\psi$" sieht üblicherweise so aus:
- "Angenommen, $\varphi$ gilt.
- Dann ... (hier steckt die eigentliche Arbeit).
- Damit gilt $\psi$.
- Also haben wir gezeigt, dass $\psi$ aus $\varphi$ folgt. qed"
Die Aussage $\varphi$ ist also eine "temporäre Hypothese".
#### Implikationseinführung (ausführlich)
Ist D eine Deduktion von $\psi$ mit Hypothesen aus $\Gamma\cup\{\varphi\}$, so ergibt sich die folgende Deduktion von $\varphi\rightarrow\psi$ mit Hypothesen aus $\Gamma$:
Beispiel: ... Dies ist eine Deduktion von $\varphi\rightarrow\varphi$ ohne Hypothesen.
#### Implikationselimination in math. Beweisen
Ein mathematischer Beweis einer Aussage "$\psi$ gilt" über eine Hilfsaussage sieht so aus:
- "Zunächst zeigen wir, dass $\varphi$ gilt: ...
- Dann beweisen wir, dass $\psi$ aus $\varphi$ folgt: ...
- Also haben wir $\psi$ gezeigt. qed"
#### Implikationselimination oder modus ponens (ausführlich)
Ist D eine Deduktion von $\varphi$ mit Hypothesen aus $\Gamma$ und ist E eine Deduktion von $\varphi\rightarrow\psi$ mit Hypothesen aus $\Gamma$, so ergibt sich die folgende Deduktion von $\psi$ mit Hypothesen aus $\Gamma$:
Bemerkung: die Indizes 1, 2 und 3 machen deutlich, welche Hypothese bei welcher Regelanwendung gestrichen wurde. Deduktionen können recht groß werden.
Diese Deduktion hat keine Hypothesen!
### Disjunktion
#### Disjunktionselimination oder Fallunterscheidung in math. Beweisen
Ein mathematischer Beweis einer Aussage "$\sigma$ gilt" mittels Fallunterscheidung sieht üblicherweise so aus:
- "Zunächst zeigen wir, dass $\varphi\vee\psi$ gilt: ...
- Gilt $\varphi$, so gilt $\sigma$, denn ...
- Gilt $\psi$, so gilt ebenfalls $\sigma$, denn ...
- Also haben wir gezeigt, dass $\sigma$ gilt. qed"
Die Aussagen $\varphi$ und $\psi$ sind also wieder "temporäre Hypothesen".
#### Disjunktionselimination oder Fallunterscheidung (ausführlich)
Ist D eine Deduktion von $\varphi\vee\psi$ mit Hypothesen aus $\Gamma$, ist E eine Deduktion von $\sigma$ mit Hypothesen aus $\Gamma\cup\{\varphi\}$und ist F eine Deduktion von $\sigma$ mit Hypothesen aus $\Gamma\cup\{\psi\}$, so ergibt sich die folgende Deduktion von $\sigma$ mit Hypothesen aus $\Gamma$:
Ein mathematischer Beweis einer Aussage "$\varphi$ gilt nicht" sieht so aus:
- "Angenommen,$\varphi$gilt.
- Dann folgt $0=1$, denn .... Mit anderen Worten, dies führt zu einem Widerspruch.
- Also haben wir gezeigt, dass $\varphi$ nicht gilt. qed"
-
Die Aussage $\varphi$ ist also wieder eine "temporäre Hypothese".
#### Negationseinführung (ausführlich)
Ist D eine Deduktion von $\bot$ mit Hypothesen aus $\Gamma\cup\{\varphi\}$, so ergibt sich die folgende Deduktion von $\lnot\varphi$ mit Hypothesen aus $\Gamma$:

Kurzform:
$$[\varphi]$$
$$\vdots$$
$$\frac{\bot}{\lnot\varphi} (\lnot I)$$
#### Negationselimination (ausführlich)
Ist D eine Deduktion von $\lnot\varphi$ mit Hypothesen aus $\Gamma$ und ist E eine Deduktion von $\varphi$ mit Hypothesen aus $\gamma$, so ergibt sich die folgende Deduktion von $\bot$ mit Hypothesen aus $\Gamma$:
Hat man "$0=1$" bewiesen, so ist man bereit, alles zu glauben: ex falso sequitur quodlibet
ausführlich: Ist D eine Deduktion von $\bot$ mit Hypothesen aus $\Gamma$, so ergibt sich die folgende Deduktion von $\varphi$ mit Hypothesen aus $\Gamma$:

Kurzform: $\frac{\bot}{\varphi} (\bot)$
#### math. Widerspruchsbeweis
Ein indirekter Beweis einer Aussage "$\varphi$ gilt" sieht üblicherweise so aus:
- "Angenommen, $\varphi$ gilt nicht, d.h. $\lnot\varphi$ gilt.
- Dann folgt $0=1$, d.h. ein Widerspruch.
- Also haben wir gezeigt, dass $\varphi$ gilt. qed"
Die Aussage $\lnot\varphi$ ist also wieder eine "temporäre Hypothese".
#### reductio ad absurdum (ausführlich)
Ist D eine Deduktion von $\bot$ mit Hypothesen aus $\Gamma\cup\{\lnot\varphi\}$, so ergibt sich die folgende Deduktion von $\varphi$ mit Hypothesen aus $\Gamma$:
> Für eine Formelmenge $\Gamma$ und eine Formel $\varphi$ schreiben wir $\Gamma\Vdash\varphi$ wenn es eine Deduktion gibt mit Hypothesen aus $\Gamma$ und Konklusion $\varphi$. Wir sagen "$\varphi$ ist eine syntaktische Folgerung von $\Gamma$".
$\Gamma\Vdash\varphi$ sagt (zunächst) nichts über den Inhalt der Formeln in $\Gamma\cup\{\varphi\}$ aus, sondern nur über die Tatsache, dass $\varphi$ mithilfe des natürlichen Schließens aus den Formeln aus $\Gamma$ hergeleitet werden kann.
- Fuzzy-Logik $F=[0,1]$: Wahrheitswerte sind „Grad der Überzeugtheit“
- unendliche Boolesche Algebra $B_R$= Menge der Teilmengen von $\mathbb{R}$; $A\subseteq\mathbb{R}$ ist „Menge der Menschen, die Aussage für wahr halten“
- Heyting-Algebra $H_R$= Menge der offenen Teilmengen von $\mathbb{R}$
- Erinnerung: $A\subseteq\mathbb{R}$ offen, wenn $\forall a\in A\exists\epsilon >0:(a-\epsilon,a+\epsilon)\subseteq A$, d.h., wenn $A$ abzählbare Vereinigung von offenen Intervallen $(x,y)$ ist.
Eine W-Belegungist eine Abbildung $B:V\rightarrow W$, wobei $V\subseteq\{p_0 ,p_1 ,...\}$ eine Menge atomarer Formeln ist.
Die W-Belegung $B:V\rightarrow W$ paßt zur Formel $\phi$, falls alle atomaren Formeln aus $\phi$ zu V gehören.
Sei nun B eine W-Belegung. Was ist der Wahrheitswert der Formel $p_0\vee p_1$ unter der Belegung B?
Zur Beantwortung dieser Frage benötigen wir eine Funktion $\vee_W :W\times W\rightarrow W$ (analog für $\wedge,\rightarrow,\lnot$).
## Wahrheitswertebereiche
> Definition: Sei W eine Menge und $R\subseteq W\times W$ eine binäre Relation.
- R ist reflexiv, wenn $(a,a)\in R$ für alle $a\in W$ gilt.
- R ist antisymmetrisch, wenn $(a,b),(b,a)\in R$ impliziert, dass $a=b$ gilt (für alle $a,b\in W$).
- R ist transitive, wenn $(a,b),(b,c)\in R$ impliziert, dass $(a,c)\in R$ gilt (für alle $a,b,c\in W$).
- R ist eine Ordnungsrelation, wenn R reflexiv, antisymmetrisch und transitiv ist. In diesem Fall heißt das Paar $(W,R)$ eine partiell geordnete Menge.
Beispiel
1. Sei $\leq$ übliche Ordnung auf $\mathbb{R}$und $W\subseteq\mathbb{R}$. Dann ist $(W,\leq)$ partiell geordnete Menge.
2. Sei $X$ eine Menge und $W\subseteq P(X)$. Dann ist $(W,\subseteq)$ partiell geordnete Menge.
3. Sei $W=P(\sum ∗)$ und $\leq_p$ die Relation „es gibt Polynomialzeitreduktion“ (vgl. „Automaten, Sprachen und Komplexität“). Diese Relation ist reflexiv, transitiv, aber nicht
antisymmetrisch (denn $3-SAT\leq_p HC$ und $HC\leq_p 3-SAT$).
> Definition: Sei $(W,\leq)$ partiell geordnete Menge, $M\subseteq W$ und $a\in W$.
- a ist obere Schranke von $M$, wenn $m\leq a$ für alle $m\in M$ gilt.
- a ist kleinste obere Schranke oder Supremum von $M$, wenn $a$ obere Schranke von $M$ ist und wenn $a\leq b$ für alle oberen Schranken $b$ von $M$ gilt. Wir schreiben in diesem Fall $a=sup \ M$.
- a ist untere Schranke von $M$, wenn $a\leq m$ für alle $m\in M$ gilt.
- a ist größte untere Schranke oder Infimum von $M$, wenn a untere Schranke von $M$ ist und wenn $b\leq a$ für alle unteren Schranken $b$ von $M$ gilt. Wir schreiben in diesem Fall $a=inf\ M$.
Beispiel
1. betrachte $(W,\leq)$ mit $W=\mathbb{R}$ und $\leq$ übliche Ordnung auf $\mathbb{R}$.
- Dann gelten $sup[0,1] = sup(0,1) =1$.
- $sup\ W$ existiert nicht (denn $W$ hat keine obere Schranke).
2. betrachte $(W,\subseteq)$ mit $X$ Menge und $W =P(X)$.
- $sup\ M=\bigcup_{A\in M} A$ für alle $M\subseteq W$
3. betrachte $(W,\subseteq)$ mit $W=\{\{0\},\{1\},\{0,1,2\},\{0,1,3\}\}$.
- $sup\{\{0\},\{0,1,2\}\}=\{0,1,2\}$
- $\{0,1,2\}$ und $\{0,1,3\}$ sind die oberen Schranken von $M=\{\{0\},\{1\}\}$, aber $M$ hat kein Supremum
> Definition: Ein (vollständiger) Verband ist eine partiell geordnete Menge $(W,\leq)$, in der jede Menge $M\subseteq W$ ein Supremum $sup\ M$ und ein Infimum $inf\ M$ hat.
In einem Verband $(W,\leq)$ definieren wir:
- $0_W = inf\ W$ und $1_W= sup\ W$
- $a\wedge_W b= inf\{a,b\}$ und $a\vee_W b= sup\{a,b\}$ für $a,b\in W$
Bemerkung: In jedem Verband $(W,\leq)$ gelten $0_W= sup\ \varnothing$ und $1_W= inf\ \varnothing$ (denn jedes Element von $W$ ist obere und untere Schranke von $\varnothing$).
> Definition: Ein Wahrheitswertebereich ist ein Tupel $(W,\leq,\rightarrow W,\lnot W)$, wobei $(W,\leq)$ ein Verband und $\rightarrow W:W^2 \rightarrow W$ und $\lnot W:W\rightarrow W$ Funktionen sind.
### Beispiel
- Der Boolesche Wahrheitswertebereich B ist definiert durch die Grundmenge $B=\{0,1\}$, die natürliche Ordnung $\leq$ und die Funktionen $\lnot_B (a) = 1-a$, $\rightarrow_B(a,b) = max(b, 1 -a)$. Hier gelten:
- $0_B=0$, $1_B= 1$,
- $a\wedge_B b= min(a,b)$, $a\vee_B b= max(a,b)$
- Der Kleenesche Wahrheitswertebereich $K_3$ ist definiert durch die Grundmenge $K_3=\{0,\frac{1}{2},1\}$ mit der natürlichen Ordnung $\leq$ und durch die Funktionen $\lnot_{K_3} (a) = 1 -a $, $\rightarrow_{K_3} (a,b) = max(b, 1-a)$. Hier gelten:
- Der Wahrheitswertebereich F der Fuzzy-Logik ist definiert durch die Grundmenge $F=[0,1]\subseteq\mathbb{R}$ mit der natürlichen Ordnung $\leq$ und durch die Funktionen $\lnot_F (a) = 1-a$, $\rightarrow_F (a,b) = max(b, 1-a)$. Hier gelten:
- $0_F= 0$, $1_F= 1$
- $a\wedge_F b= min(a,b)$, $a\vee_F b= max(a,b)$
- Der Boolesche Wahrheitswertebereich $B_R$ ist definiert durch die Grundmenge $B_R=\{A|A\subseteq \mathbb{R}\}$ mit der Ordnung $\subseteq$ und durch die Funktionen $\lnot_{B_R} (A) =\mathbb{R}\backslash A$, $\rightarrow_{B_R} (A,B) = B\cup\mathbb{R}\backslash A$. Hier gelten:
- Der Heytingsche Wahrheitswertebereich $H_R$ ist definiert durch die Grundmenge $HR=\{A\subseteq\mathbb{R} | \text{A ist offen}\}$, die Ordnung $\subseteq$ und durch die Funktionen $\lnot_{H_R} (A) = Inneres(\mathbb{R}\backslash A)$, $\rightarrow_{H_R} (A,B) =Inneres(B\cup \mathbb{R}\backslash A)$. Hier gelten:
Sei W ein Wahrheitswertebereich und B eine W-Belegung. Induktiv über den Formelaufbau definieren wir den Wahrheitswert $\hat{B}(\phi)\in W$ jeder zu $B$ passenden Formel $\phi$:
- $\hat{B}(\bot) = 0_W$
- $\hat{B}(p) = B(p)$ falls $p$ eine atomare Formel ist
Wir schreiben im folgenden $B(\phi)$ anstatt $\hat{B}(\phi)$.
Beispiel: Betrachte die Formel $\phi= ((p\wedge q)\rightarrow (q\wedge p))$.
- Für eine beliebige B-Belegung $B:\{p,q\}\rightarrow B$ gilt $B((p\wedge q)\rightarrow (q\wedge p)) = max(B(q\wedge p), 1 -B(p\wedge q)) = max(min(B(q),B(p)), 1 -min(B(p),B(q))) = 1 = 1_B$
- Für die $K_3$-Belegung $B:\{p,q\}\rightarrow K_3$ mit $B(p) =B(q) = \frac{1}{2}$} gilt $B((p\wedge q)\rightarrow (q\wedge p)) = max(B(q\wedge p), 1 -B(p\wedge q))= max(min(B(q),B(p)), 1 -min(B(p),B(q))) = \frac{1}{2} \not= 1_{K_3}$
- analog gibt es eine F-Belegung $B:\{p,q\}\rightarrow F$, so dass $B((p\wedge q)\rightarrow (q\wedge p)) \not = 1_F$ gilt.
- Für eine beliebigeHR-Belegung $B:\{p,q\}\rightarrow H_R$ gilt $B((p\wedge q)\rightarrow (q\wedge p)) = Inneres(B(q\wedge p)\cup \mathbb{R}\backslash B(p\wedge q)) = Inneres((B(q)\cap B(p))\cup \mathbb{R}\backslash (B(p)\cap B(q))) = Inneres(\mathbb{R}) = \mathbb{R} = 1_{H_R}$
## Folgerung und Tautologie
Sei W ein Wahrheitswertebereich.
Eine Formel $\phi$ heißt eine W-Folgerung der Formelmenge $\Gamma$, falls für jede W-Belegung B, die zu allen Formeln aus $\Gamma \cup\{\phi\}$ paßt, gilt:
Wir schreiben $\Gamma \Vdash W\phi$, falls $\phi$ eine W-Folgerung von $\Gamma$ ist.
Bemerkung: Im Gegensatz zur Beziehung $\Gamma \vdash \phi$, d.h. zur syntaktischen Folgerung, ist $\Gamma \Vdash W \phi$ eine semantische Beziehung.
Eine W-Tautologie ist eine Formel $\phi$ mit $\varnothing \Vdash W\phi$, d.h. $B(\phi) = 1_W$ für alle passenden W-Belegungen B (denn $inf\{\hat{B}(\gamma )|\gamma \in \varnothing \}= inf \varnothing = 1_W)$.
Wahrheitstafel für den Booleschen Wahrheitswertebereich B:
Wir erhalten also $\{(AK\vee BK),(AK\rightarrow BK), ((BK\wedge RL)\rightarrow \lnot AK),RL\} \Vdash_B \lnot AK$
und können damit sagen:
„Wenn die Aussagen „Bauteil A oder Bauteil B ist kaputt“ und „daraus, dass Bauteil A kaputt ist, folgt, dass Bauteil B kaputt ist“ und... wahr sind, ... dann kann man die Folgerung ziehen: die Aussage „das Bauteil A ist heil“ ist wahr.“
Erinnerung aus der ersten Vorlesung: $\{(AK\vee BK),(AK\rightarrow BK), ((BK\wedge RL)\rightarrow \lnot AK),RL\} \vdash \lnot AK$
Beispiel
Sei $\phi$ beliebige Formel mit atomaren Formeln in V.
- Sei $B:V\rightarrow B$ eine B-Belegung. Dann gilt
Frage: Was ist die Beziehung zwischen diesen Begriffen, insbes. zwischen „Theorem“ und „W-Tautologie“? Da z.B. B-Folgerung $\not =K_3$-Folgerung, hängt die Anwort von W ab.