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- Einführung
- Symmetrische Verschlüsselung, Sicherheitsmodelle
- Frische symmetrische Verschlüsselung und Blockchiffren
- Uneingeschränkte symmetrische Verschlüsselung
- Zahlentheorie und Algorithmen
Literaturempfehlung:
- Ralf Küsters und Thomas Wilke: Moderne Kryptographie,Vieweg+ Teubner 2011
- Jonathan Katz und Yehuda Lindell, Introduction to Modern Cryptography,CRCPress, 2015
- Ulrike Baumann, Elke Franz, Andreas Pfitzmann,Kryptographische Systeme, SpringerVieweg 2014
- Albrecht Beutelspacher, Heike B. Neumann,Thomas Schwarzpaul: Kryptographie in Theorie und Praxis,Vieweg, 2005
- Douglas R. Stinson: Cryptography-Theory and Practice,CRC Press, 1995
- Dietmar Wätjen: Kryptographie, Spektrum Akademischer Verlag, 2004
- David Kahn: The Codebreakers, Scribner, 1996
Einführung
$\kappa\rho\vartheta\pi\tau\delta\zeta$= kryptos(griech.): verborgen $\gamma\rho\alpha\varphi\epsilon\iota\nu$ = graphein (griech.): schreiben
Kryptographie im klassischen Wortsinn betrifft also Methoden,Nachrichten so zu schreiben, dass sie ,,verborgen'' bleiben,das heißt von keinem Unberechtigten (mit)gelesen werden können.Das hier angesprochene ,,Sicherheitsziel'' heißt ,,Vertraulichkeit'' oder ,,Geheimhaltung'' oder Konzelation (concelare(lat.):sorgfältig verbergen, davon englisch: conceal). Verfahren, die dieses Ziel erreichen,heißen Konzelationssysteme.
Simples Schema für dieses Problem (Aktion schreitet von links nach rechts fort, zu Schlüsseln später mehr):
Sender | Verschlüsselung | Chiffretext y | Entschlüsselung | Empfänger |
Alice | (Chiffrierung, authentisieren, signieren) | über | (Dechiffrierung, Absenderdentität prüfen, Unversehrtheit prüfen) | Bob |
hat Klartext x | unsicheren Kanal | rekonstruiert Klartext x | ||
Schlüssel k | Schlüssel k′ | |||
Gegnerin Eva (enemy, eavesdropper, Kryptoanalytiker/in, Angreifer/in) |
,,Alice'' ist dabei ein eingebürgerter Name für die sendende Instanz, ,,Bob'' der für die empfangende Instanz. Dabei kann es sich um Personen, Organisationen oder auch Computer(systeme) o. ä. handeln. Der Verschlüsselungsbereich von Alice (links von der zweiten senkrechten Linie) ist gegen Zugriffe von Eva geschützt, ebenso der Entschlüsselungsbereich von Bob(rechts von der dritten senkrechten Linie).
Beispiel 1:
- Alice = Bank (und ihr Computersystem),
- Bob = Online-Bankkunde,
- Nachricht x = Kontoauszug. Übermittlung des Kontoauszugs über das Internet (,,offenerKanal'').
- Sicherheitsziel: Stelle sicher, dass die Angreifer in Eva (der Internetkriminelle) die vertrauliche Information nicht mitlesen kann, obgleich sie die verschlüsselte Version y der Nachricht sehen kann.
Beispiel 2:
- Alice = Bob = eine Universität.
- Nachricht x = die Liste aller persönlichen Daten aller Studierenden. Diese große Datei soll auf einem Cloudserver (im Ausland) gespeichert werden. Dazu wird sie als y verschlüsselt,um Zugriffe dritter Parteien auf die vertraulichen Daten zu verhindern.
Im Kontext der modernen elektronischen Kommunikation ergeben sich neben der Konzelation auch weitere, andersartige und unabhängige Aufgaben, die mit kryptographischen Methoden,also von Kryptosystemen ausgeführt werden. Wir führen auf:
- Konzelation: Geheimhaltung/Vertraulichkeit/Zugriffsschutz(kein Unberechtigter kann Nachrichteninhalt mithören oder mitlesen)
- Integrität/Fälschungsschutz (stelle sicher, dass Nachrichten auf dem Übertragungsweg nicht manipuliert worden sind)
- Authentizität/Signaturen: Garantiere Absenderidentität (Bob kann kontrollieren, dass Nachricht vom behaupteten Absender Alice kommt)
- Nichtabstreitbarkeit (Bob kann gegenüber Dritten beweisen,dass die Nachricht in der empfangenen Form vom behaupteten Absender Alice kam)
- ...
Integrität bzw. Authentisierung: Hier ist die Aufgabenstellung verändert. Eva hat nicht nur die Fähigkeit, Nachrichten passiv mitzulesen, sondern sie kann in den Kommunikationskanal eingreifen. Sie kann Nachrichten abfangen(und sogar die Weiterleitungverhindern) und/oder eine neue bzw. veränderte Nachricht in den Kanal einspeisen. Ihre Absicht ist es,Bob dazu zu bringen, diese Nachricht für die echte von Alice abgeschickte Nachricht zu halten.Diese Art von Angriff soll verhindert werden. Hierfür verwendet man einen Mechanismus,der message authentication code (MAC) heißt. Darunter kann man sich eine Funktion vorstellen, die aus einer Nachricht x einen(nicht allzu langen) Code mac=MAC(x)
berechnet. Diese Funktion ist ein Geheimnis von legitimen Sendern von Nachrichten an Bob. Insbesondere kann Eva bei gegebener Nachricht x′ (verwandt zu x oder nicht) keinen korrekten MAC für x′ berechnen. Bob verfügt über ein Prüfverfahren, das es ihm erlaubt, ein empfangenes Paar (x,mac)
darauf zu testen, ob der zweite Teil der zu x gehörende MAC-Wert ist. Wenn Alice die einzige Instanz ist,die die geheime Funktion MAC kennt, dann kann Bob sogar überprüfen, ob Alice tatsächlich die Absenderin ist.
Beispiel 3:
- Alice = Bankkundin,
- Bob = Bank,
- Nachricht = Überweisungsauftrag
- Integrität: Stelle sicher, dass Eva nicht Aufträge von Alice,obgleich über offenen Kanal (Internet) übermittelt, abfangen und durch manipulierten oder ganz neuen Auftrag ersetzen kann(nicht Kontonummern oder Beträge ändern kann).
- Authentizität: Eva soll nicht, ohne Aktivität von Alice,der Bank vortäuschen können, dass sie Alice ist, und Aufträge erteilen.
- Die Nichtabstreitbarkeit ist eine noch stärkere Anforderung an Geschäftsvorgänge, die über das Internet abgewickelt werden. Bei Streit (vor Gericht) soll die Bank nachweisen können, dass ein Auftrag, den sie ausgeführt hat, tatsächlich von Alice stammt. (Im analogen Leben wird dies durch eine als echt nachgewiesene Unterschrift bewirkt.) Hier übernimmt also sogar Alice, die Kundin,die Rolle der Gegenspielerin.
Die Kryptographie im engeren und ,,klassischen'' Sinn beschäftigt sich mit Verfahren, um in verschiedenen Kommunikationsszenarien eine gegen Angriffe von Gegnern (Mitlesen, Verändern, Unterschieben, Abstreiten) abgesicherte Kommunikation zu ermöglichen.
Auf der anderen Seite steht die Kryptoanalyse(englisch cryptanalysis). Ursprünglich und jahrhundertelang entwickelten Kryptoanalytiker Methoden zum ,,Brechen'' von Konzelationssystemen, also zum unberechtigten Mitlesen trotz Verschlüsselung. Heute gehören zur Kryptoanalyse auch Angriffe auf andere kryptographische Methoden, mit dem Ziel, ihre Sicherungsfunktion zu umgehen. Es ist wichtig, im Auge zu behalten, dass die Gleichsetzung von Kryptoanalyse mit der Absicht, unberechtigt in die Kommunikation einzugreifen, nicht unbedingt richtig ist. Um die Sicherheit von kryptographischen Verfahren sicherzustellen, ist es unbedingt nötig, dass mit kryptoanalytischen Methoden versucht wird, Schwachstellen solcher Verfahren offenzulegen.Erst die Kenntnis von Schwachstellen macht es möglich, diese zu beseitigen.
Eine klassische Einteilung ist also folgende:
- Kryptologie = Kryptographie (Entwicklung von kryptographischen Verfahren) + Kryptoanalyse (Versuche, kryptographische Verfahren zu brechen).
Für sehr lange Zeit war (und ist auch immer noch) die Beziehung zwischen diesen beiden Seiten die eines Katz-und Maus-Spiels. Die Kryptographie war bestrebt, immer cleverere und ,,sicherere'' Verfahren zu entwickeln, die Kryptoanalyse versuchte, Schwächen in diesen Verfahren aufzuspüren, und zwar sowohl, um unberechtigte Zugriffe auszuführen, als auch, um die Schwächen offenzulegen, um ihre Beseitigung zu ermöglichen. (Die Liste der jemals vorgeschlagenen Systeme und Verfahren,die sich früher oder später als ,,schwach'' erwiesen, ist sehr lang.)
Eine Randbemerkung: Man könnte auf den ersten Blick den Eindruck bekommen, dass das Anliegen, Nachrichten vertraulich und ohne Manipulationen auszutauschen, zunächst einmal legitim ist und dass Angriffe illegitim sind.Dieser Eindruck wird eventuell durch die Verwendung der harmlosen Bezeichnungen ,,Alice'' und ,,Bob'' für die Kommunikationsparteien einerseits und ,,Eva'' (Gegnerin, Angreiferin, usw.) andererseits verstärkt. Sicherlich ist diese Sicht für viele Situationen insbesondere in der Geschäftswelt passend. Es zeigt sich aber nach kurzem Überlegen, dass nicht in allen Fällen der Schutz das legale oder moralisch gute Ziel sein muss, dass kryptographische Verfahren auch für rechtswidrige, unethische, gefährliche, völkerrechtswidrige, terroristische Zwecke eingesetzt werden (können) und die Kryptoanalyse, das Eingreifen in solche Kommunikation,manchmal rechtlich und moralisch geboten ist. Man landet hier schnell bei interessanten und schwierigen ethischen Fragen. Wie sehr viele Technologien, natürlich eigentlich die gesamte IT und die Informatik, ist die Kryptologie eine Wissenschaft, deren verschiedene Ergebnisse und Entwicklungen für erstrebenswerte wie auch für schlimme Ziele benutzt werden können, wir sind hier beim grundlegenden Thema ,,DualUse''.
Seit den 1980er Jahren wurde eine neue Sicht auf die Kryptologie entwickelt. Dabei schlägt man für verschiedene Kommunikationsszenarien und Sicherheitsziele (Konzelation, Integrität, Authentisierung, Nichtabstreitbarkeit, usw.) ganz präzise mathematische Formulierungen vor, sogenannte Sicherheitskonzepte. Anschließend ist man, wenigstens im Prinzip, in der Lage, Verfahren darauf abzuklopfen, ob sie diese präzise formulierten Sicherheitsanforderungen erfüllen.
Die ,,moderne'' Kryptologie beschäftigt sich also mit kryptographischen Verfahren, mit kryptoanalytischen Verfahren, mit Sicherheitskonzepten und mit mathematischen Methoden zur Untersuchung dieser Dinge, abstrakt und an konkreten Verfahren. Achtung: Man findet (heute noch mehr als früher) oft die Bezeichnung ,,Kryptographie'' bzw. ,,cryptography'' für die gesamte Kryptologie. Dies betrifft auch alle Titel von Büchern, die trotz des Namens ,,Kryptographie'' bzw. ,,cryptography'' alle Aspekte behandeln.
Ein Zitat aus dem Buch von Katz und Lindell: Moderne Kryptographie ist die Wissenschaft von den mathematischen Methoden, die man benutzen kann, um digitale Information, Systeme und verteilte Anwendungen gegen Eingriffe (,,Angriffe'') von unberechtigten Parteien zu schützen. Dabei geht es sowohl um die Konstruktion von kryptographischen Systemen und um die Entwicklung und Untersuchung von Angriffen als auch um Beweise für die Sicherheit von Systemen.
Leider sind die Sicherheitsbeweise in den allermeisten Fällen relativ zu unbewiesenen (aber wenigstens plausiblen)mathematischen oder komplexitätstheoretischen oder kryptographischen Annahmen.
In der Vorlesung folgen wir zum Teil den klassischen Ansätzen, ab er stellen auch den modernen Ansatz im Prinzip vor und verstehen ihn an ausgewählten Beispielen.
Bei der Diskussion im Stil des modernen Ansatzes muss man immer die folgenden Komponenten beschreiben: Was ist die Kommunikationssituation, welches sind die Akteure, was ist das Sicherheitsziel? Bei Konzelationssituationen gibt es Alice und Bob, wobei Alice eine Nachricht oder mehrere Nachrichten an Bob übermitteln möchte. Gegenspielerin Eva kann die gesendeten Nachrichten mitlesen und hat eventuell Zugriff auf einige Klartext-Chiffretest-Paare, ab er sie kann nicht anderweitig eingreifen. Das Sicherheitsziel ist grob gesprochen,dass Eva aus einem Chiffretext y keine ,,nicht trivialen Informationen'' über den Klartext x erlangen kann. (Ein ,,triviale Information'' , die sie immer erhält, ist die Tatsache, dass eine Nachricht geschickt wurde.) Es gibt mehrere Präzisierungen dieser Situation, die von folgenden Faktoren abhängen:
- Art der Kommunikation
- Evas Fähigkeiten und Möglichkeiten (kann sie nur mitlesen oder auch Nachrichten einschleusen?)
- was wir als ,,nichttriviale Information'' bezeichnen
Wir werden zumindest in einfachen Situationen präzise definieren, was es heißt, ,,das Sicherheitsziel zu erreichen'' und dabei die Komplexität der Anforderungen schrittweise erhöhen. Exemplarisch wird diskutiert werden, die Verfahren für einfachere Situation zu Verfahren für kompliziertere Verfahren ausgebaut werden können.
Schließlich muss noch kurz das Konzept ,,Schlüssel'' diskutiert werden. Wir beginnen mit einem Beispiel, nämlich einem jahrtausende alten Konzelationssystem.
Beispiel: Cäsar-Chiffre. Betrachte das antike lateinische Alphabet mit 21 Buchstaben: A B C D E F G H I K L M N O P Q R S T V X 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Cäsar ließ Texte verschlüsseln, indem er folgende Ersetzung Buchstabe für Buchstabe durchführen ließ: A B C D E F G H I K L M N O P Q R S T V X D E F G H I K L M N O P Q R S T V X A B C
(Man nimmt immer den Buchstaben, der im Alphabet drei Positionen ,,weiter rechts'' steht, mit ,,wrap around'' am Ende.) Beispiel:
- Klartext x= IMPETVS ( ,,Angriff '' )
- wird y= MPSHABX
Der Nachteil ist offensichtlich: Wer den Trick kannte, konnte jede Nachricht mitlesen.
Eine einfache ,,Verbesserung'' dieses sehr primitiven Ansatzes ist Folgendes: Verschiebe zyklisch um eine andere Anzahl von Buchstaben als 3. Für eine Verschiebung um k=9
Positionen ergibt sich:
A B C D E F G H I K L M N O P Q R S T V X
K L M N O P Q R S T V X A B C D E F G H I
Um hier die Verschlüsselung und die Entschlüsselung durchzuführen, musste man als ,,Schlüssel'' nur das Bild von A kennen (im Beispiel K), alternativ die Verschiebeweite k als Zahl. Es gibt dann 21 Schlüssel (wobei zunächst ,,A'' oder Verschiebeweite 0 zunächst ziemlich sinnlos erscheint).Diese Methode heißt Verschiebechiffre.
Eine ziemlich naheliegende Verallgemeinerung von Verschiebechiffren ist auf den ersten Blick viel mächtiger: Sie sagt, dass das Bild eines Buchstabens ein ganz beliebiger anderer Buchstabe sein soll. Dabei müssen natürlich verschiedene Buchstaben auf verschiedene Buchstaben abgebildet werden. Es er gibt sich eine ,,Substitutionschiffre'' ,die durch eine Tabelle mit ganz beliebiger Buchstabenanordnung gegeben ist. Beispiel: A B C D E F G H I K L M N O P Q R S T V X F Q M P K V T A E L H N I G D S B X O R C
Wenn man hier ver- und entschlüsseln möchte, muss man die gesamte zweite Tabellenzeile kennen. Diese kann hier also als ,,Schlüssel'' dienen. Es gibt 21!\approx 5,11* 10^{19}
viele verschiedene Schlüssel.
Viel später (16.Jh.) wurde die ,,Vigenère-Verschlüsselung'' vorgeschlagen: Man benutzt dabei nicht einen Schlüssel,der dann auf jeden Buchstaben des Klartextes angewendet wird,sondern ein Schlüsselwort a_0,...,a_{s-1}
größerer Länge s > 1
. Man könnte (und das wurde auch so getan) s verschiedene Substitutionschiffren benutzen. Zum Ver-und Entschlüsseln
würde man dann eine Liste von s vielen Permutationen der 21 Buchstaben benötigen. Einfacher ist es, s Verschiebe chiffren zu benutzen. Dann ist ein Schlüssel tatsächlich ein Wort über dem Alphabet \{A,...,X\}
.
Man geht dann also wie folgt vor: x=x_0...x_{n-1}
ist der Klartext, k=a_0 ...a_{s-1}
der Schlüssel.Verschlüssle x mit den durch k gegebenen Verschiebungen wie folgt:
x_0
mit A \rightarrow a_0
,$x_2$ mit A \rightarrow a_2,... ,x_{s-1}
mit A\rightarrow a_{s-1}
.
Wenn der Schlüssel k aufgebraucht ist, benutze ihn wieder von vorne: Verschlüssle x_i,i\geq s
, mit Verschiebung A \rightarrow a_{i\ mod\ s}
.
Beispiel: Schlüssel ist k=ARCVS
(für arcus, Bogen). Buchstaben an Positionen 0 , 5 , 10 ,...
bleiben gleich,da A Position 0 hat, Buchstaben an Positionen 1 , 6 , 11 ,...
werden um 16 Positionen verschoben (da R Position 16 hat),Buchstaben an Positionen 2 , 7 , 12 ,...
werden um 2 Positionen verschoben (da C Position 2 hat), und so weiter.Es ergibt sich:
(wiederholter) Schlüssel: | A R C V S A R C V S A R C V |
Klartext: | S E N A T V S R O M A N V S |
Chiffretext: | S X P V P V N T M H A G A Q |
Ab hier betrachten wir meist nur Verfahren, die Schlüssel verwenden. Bei kryptographischen Verfahren mit Schlüsseln betrachten wir zwei grundsätzlich unterschiedliche Ansätze:
- Symmetrische(Private-Key)-Kryptographie: Es gibt einen geheimen Schlüssel
k
, den beide der kommunizierenden Parteien kennen müssen. Bei Konzelationssystemen bedeutet dies etwa, dass das Verschlüsselungsverfahren und das Entschlüsselungsverfahren beide diesen Schlüsselk=k′
benutzen. Symmetrische Verfahren sind unser erstes Thema. Ein aktuelles standardisiertes symmetrisches Verfahren ist etwa AES (AdvancedEncryptionStandard). - Asymmetrische (Public-Key-) Kryptographie: Nur eine Seite hat einen geheimen Schlüssel
k′
, die andere Seite benutzt einen ,,öffentlichen'' Schlüsselk\not =k′
. Beispiel: Bei Konzelationssystemen hat der Empfänger (Bob) einen geheimen Schlüsselk′
, der Sender (Alice) benutzt zur Verschlüsselung einen von Bob ausgegebenen öffentlichen Schlüsselk\not =k′
. (Bei Authentisierung oder bei digitalen Signaturen ist es umgekehrt.) Asymmetrische Verfahren sind unser zweites Thema. Ein weit verbreitetes asymmetrisches Verfahren ist RSA (nach den Erfindern Rivest, Shamir und Adleman).
Das Kerckhoffs-Prinzip (1883, Auguste Kerckhoffs von Nieuwenhof(1835, 1903), niederländischer Linguist und Kryptologe) besagt,dass man davon ausgehen muss, dass Eva die Struktur des Verschlüsselungsverfahrens kennt und die Sicherheit nur von der Geheimhaltung des Schlüssels abhängen darf.
Begründung:
- Geheimhaltung eines Verfahrens ist schwer sicherzustellen.(Erfahrungstatsache.)
- Verfahren sind aufwendig zu entwickeln. Ist das geheime Verfahren einmal bekannt, so wäre Verfahren nutzlos. (Mehrfach passiert: Enigma, GSM-Verfahren A5/1 und A5/2 (Mobilfunknetze),Stromchiffre RC4.)
- Allgemein bekannte Verfahren können von mehr Experten auf ,,Sicherheit'' geprüft werden. Findet niemand einen erfolgreichen Angriff, so kann man eher auf Sicherheit des Verfahrens vertrauen.
- Nur offen gelegte Verfahren können standardisiert werden und weite Verbreitung finden (DES, AES).
Bemerkung: In der Realität gibt es auch (viele) geheimgehaltene Systeme. Naturgemäß werden solche nicht in Vorlesungen behandelt.
Symmetrische Verschlüsselung, Sicherheitsmodelle
In diesem Teil beschäftigen wir uns ausschließlich mit symmetrischen Konzelationsverfahren, bei denen also Alice und Bob sich auf einen geheimen Schlüssel geeinigt haben.
Mögliche Kommunikationsszenarien:
- Alice will nur einmal eine Nachricht (mit bekannter maximaler Länge) an Bob schicken.
- Alice will mehrere Nachrichten mit bekannter maximaler Länge schicken.
- Alice will beliebig viele Nachrichten beliebiger Länge schicken.
Angriffsszenarien/Bedrohungsszenarien: Das Kerkhoffs-Prinzip impliziert, dass Eva das Ver- und das Entschlüsselungsverfahren kennt (nur den Schlüssel nicht). Folgende Möglichkeiten kann sie weiterhin haben:
- Nur Mithören: Nur-Chiffretext-Angriff (ciphertext-onlyattack,COA).
- Mithören + Eva sind einige Paare von Klartext und Chiffretext bekannt: Angriff mit bekannten Klartexten(known-plaintextattack, KPA).
- Beispiele: Einige Klartext-Chiffretext-Paare sind aus Versehen oder absichtlich bekannt geworden, Eva hat einige Chiffretexte mit großem Aufwand entschlüsselt, Eva war früher mit der Verschlüsselung beauftragt (ohne den Schlüssel zu kennen).
- Mithören + Eva kann einige von ihr gewählte Klartexte verschlüsseln: Angriff mit Klartextwahl (chosen-plaintext attack, CPA).
- Beispiele: Eva war früher mit der Verschlüsselung beauftragt (ohne den Schlüssel zu kennen)
- CPA ist immer möglich bei asymmetrischer Verschlüsselung,die wir aber erst später betrachten.
- Mithören + Eva kann einige von ihr gewählte Chiffretexte entschlüsseln: Angriff mit Chiffretextwahl (chosen-cyphertext attack, CCA).
- Beispiele: Verschiedene Authentisierungsverfahren verlangen, dass die zu prüfende Partei einen Chiffretext entschlüsselt und den Klartext zurücksendet; Eva war früher mit der Entschlüsselung beauftragt (ohne den Schlüssel zu kennen).
- Eva hat Möglichkeiten 3. + 4.
Wesentlich sind auch noch die Fähigkeiten von Eva. Einige Beispiele:
- Unbegrenzte Rechenkapazitäten. Eva soll keine Information über den Klartext erhalten, egal wieviel sie rechnet (,,informationstheoretische Sicherheit'').
- Konkrete maximale Anzahl an Rechenoperationen, z.B.
2^{60}
. ,,Konkrete Sicherheit'': Mit diesem Aufwand erfährt Eva ,,(fast) nichts'' über Klartexte. - Begrenzter Speicher (z.B. 1000 TB). Analog zu 2.
- Im Design des Verschlüsselungsverfahrens gibt es einen Stellhebel, einen ,,Sicherheitsparameter''. (Beispiel: Schlüssellänge, Rundenzahl bei DES und AES.) Je nach Leistungsfähigkeit von Eva kann man durch entsprechende Wahl dieses Parameters die Sicherheit des Systems an eine gegebene (geschätzte) Rechenzeitschranke anpassen.
- Man betrachtet ganze Familien von Verschlüsselungsverfahren, für immer längere Klar-und Chiffretexte Typischerweise werden Verschlüsselung und Entschlüsselung von Polynomialzeitalgorithmen geleistet. Wenn asymptotisch, also für wachsende Textlänge, der Rechenzeitaufwand für Eva zum Brechen des Systems schneller als polynomiell wächst, kann man sagen, dass sie für genügend lange Texte keine Chance mehr hat,das System erfolgreich zu brechen. (,,Asymptotische Sicherheit'')
Wir untersuchen in diesem ersten Teil drei verschiedene Szenarien, jeweils symmetrische Konzelationssysteme,mit steigender Komplexität. Alice und Bob haben sich auf einen Schlüssel geeinigt.
- Einmalige Verschlüsselung: Ein einzelner Klartext
x
vorher bekannter Länge wird übertragen, Eva hört mit (COA).- Unvermeidlich: Triviale Information, z.B. der Sachverhalt,dass eine Nachricht übertragenwurde.
- Was vermieden werden soll: Eva erhält nicht-triviale Information, z.B. dass der Klartext
x
ist oder dass der Klartext aller Wahrscheinlichkeit nach wederx_1
nochx_2
ist. - Gegenstand der Steganographie sind Verfahren,Nachrichten so zu übertragen, dass noch nicht einmal die Existenz der Nachricht entdeckt werden kann.
- Frische Verschlüsselung: Mehrere Klartexte vorher bekannter Länge werden übertragen, Eva hört mit,kann sich einige Klartexte verschlüsseln lassen (CPA).
- Triviale Information: z.B.Anzahl der Nachrichten oder Klartext, falls Eva sich zufälligerweise vorher den ,,richtigen'' Klartext hat verschlüsseln lassen.
- Uneingeschränkte symmetrische Verschlüsselung: Mehrere Klartexte verschiedener Länge, Eva hört mit, kann sich einige Klartexte verschlüsseln lassen (CPA).
- Triviale Information: Analog zur frischen Verschlüsselung.
Einmalige symmetrische Verschlüsselung und klassische Verfahren
Wir diskutieren hier eine einführende, einfache Situation, für symmetrische Konzelationssysteme und Sicherheitsmodelle. In einer Fallstudie betrachten wir Methoden zum ,,Brechen'' eines klassischen Kryptosystems.
Kryptosysteme und possibilistische Sicherheit
Szenarium 1 (Einmalige Verschlüsselung, COA): Alice möchte Bob einen Klartext vorher bekannter Länge schicken, Alice und Bob haben sich auf einen Schlüssel geeinigt, Eva hört den Chiffretext mit.
,,bekannte Länge'': Klartexte entstammen einer bekannten endlichen Menge X
, z.B. X=\{0,1\}^l
.
Fragen: Wie soll man vorgehen, damit das verwendete Verfahren als ,,sicher'' gelten kann? Was soll ,,sicher'' überhaupt bedeuten? Wie kann man ,,Sicherheit'' beweisen? Was sind die Risiken von Varianten (mehrere Nachrichten,längere Nachrichten usw.)?
Definition 1.1 Ein Kryptosystem ist ein Tupel S=(X,K,Y,e,d)
, wobei
- X und K nicht leere endliche Mengen sind [Klartexte bzw. Schlüssel],
- Y eine Menge ist [Chiffretexte], und
e:X\times K\rightarrow Y
undd:Y\times K\rightarrow X
Funktionen sind [Verschlüsselungsfunktion bzw. Entschlüsselungsfunktion],
so dass Folgendes gilt:
\forall x\in X\forall k\in K:d(e(x,k),k) =x
(Dechiffrierbedingung)\forall y\in Y\exists x\in X,k\in K:y=e(x,k)
(Surjektivität)
Bemerkung: Surjektivität kann immer hergestellt werden, indem man Y
auf das Bild Bi(e) =e(X\times K)
einschränkt. Die Forderung ist für unsere Analysen aber bequem.
Für festes k\in K
wird die Funktione (.,k):X\rightarrow Y,x \rightarrow e(x,k)
als Chiffre bezeichnet.
Beispiel 1.2 Sei n>0, X=\{a_i,b_i| 1\leq i\leq n\},K=\{k_0,k_1\},Y=\{A_i,B_i| 1\leq i\leq n\}
. Die Funktionen e
und d
sind als Tabellen gegeben:
e | a_1 |
b_1 |
a_2 |
b_2 |
... | a_n |
b_n |
---|---|---|---|---|---|---|---|
k_0 |
A_1 |
B_1 |
A_2 |
B_2 |
... | A_n |
B_n |
k_1 |
B_1 |
A_1 |
B_2 |
A_2 |
... | B_n |
A_n |
d | A_1 |
B_1 |
A_2 |
B_2 |
... | A_n |
B_n |
---|---|---|---|---|---|---|---|
k_0 |
a_1 |
b_1 |
a_2 |
b_2 |
... | a_n |
b_n |
k_1 |
b_1 |
a_1 |
b_2 |
a_2 |
... | b_n |
a_n |
Dann gelten Dechiffrierbedingung und Surjektivität, (X,K,Y,e,d)
ist also ein Kryptosystem (wenn auch auf den ersten Blick ein nicht sehr intelligentes).
Man kann Kryptosysteme auch durch eine mathematische Beschreibung angeben. Im Wesentlichen genau dasselbe Kryptosystem wie in Beispiel 1.2 ist das folgende: X=Y=\{0,1\}^l,n=2^l
. Die Elemente dieser Mengen fassen wir als Binärdarstellungen von Zahlen in \{0, 1,..., 2^l-1\}
auf. A_1,...,A_n
sind die geraden Zahlen 0,2,...,2^l-2,B_1,...,B_n
die ungeraden Zahlen 1,3,...,2^l- 1
in dieser Menge.
Genauso sind a_1,...,a_n
und b_1,...,b_n
definiert. Die Schlüssel sind k_0=0
und k_1=1
, und e(x,k_0)=d(x,k_0)=x
und e(x,k_1)=d(x,k_1)
ist das Binärwort, das man erhält, wenn man in x
das letzte Bit kippt: e(x,k) =d(x,k) =x\oplus_l k
.
(Dabei steht k
für die Binärdarstellung von k
mit l Bits und \oplus_l
steht für das bitweise XOR.)
Beispiel 1.3 X=\{a,b\},K=\{k_0,k_1,k_2\},Y=\{A,B,C\}
.Die Funktion e
ist gegeben durch die erste, die Funktion d
durch die zweite der folgenden Tabellen. Dann ist (X,K,Y,e,d)
Kryptosystem, denn die Dechiffrierbedingung und die Surjektivität sind erfüllt.
e | a | b |
---|---|---|
k_0 |
A | B |
k_1 |
B | A |
k_2 |
A | C |
d | A | B | C |
---|---|---|---|
k_0 |
a | b | a |
k_1 |
b | a | a |
k_2 |
a | a | b |
Beispiel 1.4 X=\{a,b\},K=\{k_0,k_1,k_2\},Y=\{A,B,C\}
. Die Funktion e
ist durch die folgende Tabelle gegeben:
e | a | b |
---|---|---|
k_0 |
A | B |
k_1 |
B | B |
k_2 |
A | C |
Wegen e(a,k_1)=e(b,k_1)
existiert keine Funktion d
, so dass (X,K,Y,e,d)
ein Kryptosystem ist, die Dechiffrierbedingung kann also nicht erfüllt werden.
Merke: Jede Chiffre e(.,k)
eines Kryptosystems muss injektiv sein. (Sonst kann es keine Entschlüsselungsfunktion d
geben. Anschaulich: Die Einträge in jeder Zeile der Tabelle für e
müssen verschieden sein.)
Beispiel 1.5 X=K=Y=\{0\},e(0,0)=d(0,0)=0
(auch X=\{x\},K=\{k\},Y=\{y\}
). Dies ist das ,,triviale'' minimale Kryptosystem. Dechiffrierbedingung und Surjektivität gelten offensichtlich.
Beispiel 1.6 Sei \oplus:\{0,1\}\times\{0,1\}\rightarrow\{0,1\}
die Funktion (b,c)\rightarrow b+c-2bc
(=b XOR c).
Für l>0
sei \oplus^l:\{0,1\}^l\times\{0,1\}^l\rightarrow\{0,1\}^l
die komponentenweise Anwendung von \oplus=\oplus_l
:
(b_1,b_2,...,b_l)\oplus_l(c_1,c_2,...,c_l) = (b_1\oplus c_1,b_2\oplus c_2,...,b_l\oplus c_l)
Sei l>0
. Das Vernam-Kryptosystem oder one-time pad der Länge l
ist das Kryptosystem (\{0,1\}^l,\{0,1\}^l,\{0,1\}^l,\oplus_l,\oplus_l)
. Benannt nach Gilbert S. Vernam (1890, 1960), der im Jahr 1918 dieses System für fünf Bits in der Sprache einer Relais-Schaltung beschrieben und zum US-Patent angemeldet hat. Siehe http://www.cryptomuseum.com/crypto/files/us1310719.pdf
In diesem Fall ist es für nicht ganz kleine l offensichtlich unbequem, wenn nicht ganz unmöglich,die Ver-und Entschlüsselungsfunktion durch Tabellen anzugeben. Man benutzt hier und auch üblicherweise mathematische Beschreibungen.
Beispiel: x=1011001,k=1101010
. Dann ist y=e(x,k)=1011001\oplus_7 1101010 = 0110011
. Zur Kontrolle: d(y,k) = 0110011\oplus_7 1101010 = 1011001 =x
.
Wir kontrollieren dass das Vernam-System tatsächlich ein Kryptosystem ist.
- Für
x\in X
undk\in K
geltend(e(x,k),k)=(x\oplus_l k)\oplus_l k=x\oplus_l(k\oplus_l k) =x\oplus_l 0^l=x
, d.h. die Dechiffrierbedingung ist erfüllt. - Für
y\in Y
gilte(y,0^l) =y
undy\in X,0^l\in K
. Also gilt Surjektivität.
Wann soll ein Kryptosystemals sicher betrachtet werden?
Erste Idee: Wenn Eva den Chiffretext e(x,k)
abhört und den Schlüssel k
nicht kennt, so soll sie nicht in der Lage sein, x zu berechnen.
Beispiel 1.2 (Fortsetzung) Wenn Eva den Chiffretext A_1
abhört, so weiß sie, dass der Klartext a_1
oder b_1
ist; sie kann aber nicht sagen, welcher von beiden es ist. Allerdings hat sie (signifikante) nicht triviale Information gewonnen, nämlich dass a_2,b_2,...,a_n,b_n
nicht in Frage kommen.
Die Anforderung, dass x
aus y
nicht eindeutig bestimmt werden kann, führt also zu keinem befriedigenden Sicherheitsbegriff.
Zweite Idee: Wenn Eva den Chiffretext y
abhört und den Schlüssel k
nicht kennt, so kann sie keinen Klartext ausschließen. Dies führt zu der folgenden Definition.
Definition 1.7 Ein Kryptosystem S=(X,K,Y,e,d)
heißt possibilistisch sicher,wenn \forall y\in Y\forall x\in X\exists k\in K:e(x,k)=y
.
Bemerkung
- Sei
S=(X,K,Y,e,d)
Kryptosystem. Dann sind äquivalent:S
ist possibilistisch sicher.\forall x\in X:e(x,K)=\{e(x,k)|k\in K\}=Y
.
- Für
n\geq 2
ist das Kryptosystem aus Beispiel 1.2 nicht possibilistisch sicher,dennA_1
kann nicht Chiffretext zua_2
sein. - Das Kryptosystem aus Beispiel 1.3 ist nicht possibilistisch sicher, denn
C
kann nicht Chiffretext zu0
sein. - Das Vernam-Kryptosystem der Länge
l
ist possibilistisch sicher: Seienx\in X
undy\in Y
. Setzek=x\oplus_l y
.Dann gilte(x,k)=x\oplus_l(x\oplus_l y)=(x\oplus_l x)\oplus_l y= 0^l\oplus_l y=y
.
In der Einführung wurde die Verschiebechiffre betrachtet, bei der Buchstaben des alten lateinischen Alphabets auf Chiffrebuchstaben abgebildet wurden, indem man das Bild von A
angab und jeder andere Buchstabe um dieselbe Distanz verschoben wurde. Auch die allgemeineren Substitutionschiffren wurden erwähnt, bei der man für jeden Buchstaben x
einen beliebigen Bildbuchstaben \pi(x)
angibt, auf injektive Weise. Beispiel für eine Substitutionschiffre:
x | A | B | C | D | E | F | G | H | I | K | L | M | N | O | P | Q | R | S | T | V | X |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
\pi(x) |
F | Q | M | P | K | V | T | A | E | L | H | N | I | G | D | S | B | X | O | R | C |
Man überlege: Es gibt 21!(= 51090942171709440000)
viele solche Chiffren. Wir können für ganz beliebige Mengen X
die Menge aller Substitutionschiffren auf X
betrachten.
Definition 1.9 Für eine endliche, nichtleere Menge X
sei K=P_X
die Menge der Permutationen (Eine Permutation auf X
ist eine bijektive Funktion \pi:X\rightarrow X
) auf X
.Das Substitutionskryptosystem auf X
ist das Tupel (X,PX,X,e,d)
mit $e(x,\pi)=\pi(x)
und $d(y,\pi)=\pi^{-1} (y).
Wenn
\pi:X\rightarrow X
eine Permutation ist, dann ist \pi^{-1}:X\rightarrow X
die Permutation mit \pi^{-1}(\pi(x))=\pi(\pi^{-1}(x)) =x
für alle x\in X
.
Man sieht leicht, dass dies tatsächlich ein Kryptosystem ist (Dechiffrierbedingung und Surjektivität).
Proposition 1.10 Ist X
eine endliche und nichtleere Menge, so ist das Substitutions-kryptosystem auf X possibilistisch sicher.
Beweis: Seien y\in Y =X
und x\in X
.Definiere \pi:X\rightarrow X
wie folgt:
\pi(z) =\begin{cases} y\quad\text{ falls} z=x\\ x\quad\text{ falls} z=y\\ z\quad\text{ falls} z\not\in\{x,y\} \end{cases}
Dann ist \pi\in P_X
mit e(x,\pi)=\pi(x)=y
.
Beobachtung: K
ist in diesem Fall sehr groß, es gibt |X|!
Schlüssel. Im Fall des Vernam-Kryptosystems ist |X|=|Y|=|K|
.
Proposition 1.11 Ist S=(X,K,Y,e,d)
ein possibilistisch sicheres Kryptosystem, so gilt |X|\leq|Y|\leq|K|
.
Beweis: Wähle k\in K
beliebig. Da S
ein Kryptosystem ist,erfüllt es die Dechiffrierbedingung. Also ist die Chiffre e(.,k):X\rightarrow Y
injektiv, d.h. es gilt |X|\leq |Y|
.
Sei nun x\in X
beliebig. Da S
possibilistisch sicher ist, gibt es für jedes y\in Y
ein k\in K
mit e(x,k) =y
. Also ist die Abbildung K\ni k\rightarrow e(x,k)\in Y
surjektiv, und es folgt |Y|\leq |K|
.
Folgerung: Bei possibilistischer Sicherheit und Klartexten und Schlüsseln, die Zeichenreihen über einem Alphabet sind, müssen Schlüssel mindestens so lang sein wieder zu übermittelnde Text. Wenn man etwa den Inhalt einer Festplatte verschlüsseln will, benötigt man eine weitere Festplatte für den Schlüssel. In solchen Fällen extrem langer Klartexte wird possibilistische Sicherheit unrealistisch. Possibilistisch sichere Systeme kommen daher nur als Bausteine in größeren Systemen vor.
Beispiel 1.12 Sei X=\{a,b\},K=\{0,1,2\},Y=\{A,B\}
und die Verschlüsselungsfunktion sei durch
e | a | b |
---|---|---|
0 | A | B |
1 | A | B |
2 | B | A |
gegeben. Dann ist S=(X,K,Y,e,d)
ein possibilistisch sicheres Kryptosystem. Fängt Eva den Chiffretext e(x,k) =A
ab, so nimmt sie an, dass x=a
,,wahrscheinlicher'' ist als x=b
.
Das ist zum Beispiel dann sinnvoll, wenn die Schlüssel 0,1,2
dieselbe Wahrscheinlichkeit haben.
(Das Kerckhoffs-Prinzip würde sagen, dass Eva auch die verwendete Wahrscheinlichkeitsverteilung auf K
kennt.)
Um formal auszudrücken, warum dieses Kryptosystem nicht ,,sicher'' ist, wenn Schlüssel 0,1
und 2
gleichwahrscheinlich sind, beziehungsweise um einen passenden Sicherheitsbegriff überhaupt zu formulieren, benötigen wir etwas Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Wiederholung: Elementare Wahrscheinlichkeitsrechnung
Die in dieser Vorlesung benötigten Konzepte aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung wurden in den Veranstaltungen ,,Grundlagen und Diskrete Strukturen'' und ,,Stochastik für Informatiker'' im Prinzip behandelt.Wir erinnern hier kurz an die für unsere Zwecke wichtigen Konzepte und legen Notation fest.
Beispiel: Ein Wahrscheinlichkeitsraum, mit dem man das Zufallsexperiment ,,Einmaliges Werfen eines fairen Würfels'' modellieren kann, ist \Omega=\{ 1 , 2 , 3 , 4 , 5 , 6\}
mit der Idee, dass jede ,,Augenzahl'' a\in\Omega
Wahrscheinlichkeit \frac{1}{6}
hat. Die Wahrscheinlichkeit, 5
oder 6
zu würfeln, schreibt man dann als Pr(\{5,6\})=\frac{1}{3}
, die Wahrscheinlichkeit für eine gerade Augenzahl als Pr(\{2,4,6\})=\frac{1}{2}
. Allgemein gilt jede Menge A\subseteq\Omega
als ,,Ereignis'' mit Wahrscheinlichkeit Pr(A) =|A|/|\Omega|
.
Wir fassen unsere Grundbegriffe etwas allgemeiner insofern, als wir auch verschiedene Wahrscheinlichkeiten für Elementarereignisse a\in\Omega
zulassen und es erlaubt ist,dass \Omega
abzählbar unendlich ist. Wir beschränken uns aber auf den Fall endlicher oder abzählbarer Wahrscheinlichkeitsräume, sogenannter diskreter W-Räume.
Definition: Ein (diskreter) Wahrscheinlichkeitsraum ist ein Paar (\Omega,Pr)
, wobei
\Omega
eine nichtleere endliche oder abzählbar unendliche Menge undPr:P(\Omega)\rightarrow[0,1]
eine Abbildung (P(\Omega)=\{A|A\subseteq\Omega\}
ist die Potenzmenge)
ist, sodass Folgendes gilt:
Pr(\Omega) = 1
- für alle
A\subseteq\Omega
giltPr(A)=1-Pr(A)
, fürA=\Omega\backslash A
- für alle
A_1,A_2,...\in P(\Omega)
gilt, falls die MengenA_i
paarweise disjunkt sind:Pr(\bigcup A_i)=\sum_{i\geq i}^{\infty} Pr(A_i)
( ,,$\sigma$-Additivität'' )
Man nennt
- die Elemente von
\Omega
Ergebnisse oder Elementarereignisse, - die Elemente von
P(\Omega)
(also die Teilmengen von\Omega
) Ereignisse und Pr
die Wahrscheinlichkeitsverteilung
des Wahrscheinlichkeitsraums (\Omega,Pr)
. Für A\in P(\Omega)
heißt Pr(A)
die Wahrscheinlichkeit von A
.
Bemerkung 1.13 Pr(A) =\sum_{a\in A} Pr(\{a\})
, d.h., die Wahrscheinlichkeitsverteilung Pr
ist durch die Wahrscheinlichkeitsfunktion \Omega\rightarrow[0,1],a \rightarrow p_a= Pr(\{a\})
, eindeutig gegeben.
Wir schreiben auch für diese Funktion Pr
und damit Pr(a)
anstelle von Pr(\{a\})
. Es gilt dann: Pr(A)=\sum_{a\in A} Pr(a)
, für jedes Ereignis A, und insbesondere \sum_{a\in\Omega}Pr(a) = 1
.
Sei nun \Omega
sogar endlich. Dann ist die uniforme Verteilung (oder Gleichverteilung) die Wahrscheinlichkeitsverteilung A\rightarrow\frac{|A|}{|\Omega|}
, für Ereignisse A\in P(\Omega)
, mit der Wahrscheinlichkeitsfunktion a\rightarrow \frac{1}{|\Omega|}
, für a\in\Omega
.
Lemma 1.14 Sei (\Omega,Pr)
ein Wahrscheinlichkeitsraum und seien A,B\subseteq\Omega
Ereignisse. Dann gilt Pr(A\backslash B)\geq Pr(A)-Pr(B)
.
Beweis: Für Ereignisse C\subseteq D
gilt stets Pr(C)=\sum_{a\in C} Pr(a)\leq \sum_{a\in D} Pr(a) = Pr(D)
.
Daher gilt Pr(A\backslash B) + Pr(B) = Pr((A\backslash B)\cup B) = Pr(A\cup B)\geq Pr(A)
.
Sei (\Omega,Pr)
Wahrscheinlichkeitsraum, B Ereignis mit Pr(B)> 0
. Definiere Pr_B:P(\Omega)\rightarrow[0,1],A \rightarrow\frac{Pr(A\cap B)}{Pr(B)}
.
Dann ist (\Omega,Pr_B)
selbst ein Wahrscheinlichkeitsraum, wie man leicht nachrechnet. Intuitiv ist Pr_B(A)
die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten von A
, wenn schon bekannt ist, dass B
eingetreten ist. Daher nennt man Pr_B
die bedingte Wahrscheinlichkeit bzgl. B und schreibt für Pr_B(A)
auch Pr(A|B)
. Aus der Definition folgt die Grundformel Pr(A\cap B) = Pr(A|B)*Pr(B)
.
Achtung: die bedingte Wahrscheinlichkeit Pr(A|B)
ist nur definiert, wenn Pr(B)> 0
gilt.
Lemma 1.15 Sei (\Omega,Pr)
ein Wahrscheinlichkeitsraum.
- (,,Formel von der totalen Wahrscheinlichkeit'') Seien
B_1,...,B_t
disjunkte Ereignisse mitPr(B_1\cup...\cup B_t)=1
. Dann giltPr(A)=\sum_{1\leq s\leq t} Pr(A|B_s)Pr(B_s)
. - Seien
A,B,C
Ereignisse mitPr(B\cap C),Pr(C\backslash B)>0
. Dann giltPr(A|C)=Pr(A\cap B | C) + Pr(A\backslash B|C)= Pr(A|B\cap C)Pr(B|C) + Pr(A|C\backslash B)Pr(\bar{B}|C)
.
Beispiel: In dem Würfel-Wahrscheinlichkeitsraum mit \Omega=\{1,...,6\}
und der uniformen Verteilung betrachten wir die Ereignisse A=\{3,6\}
(durch 3 teilbare Augenzahl) und B=\{2,4,6\}
(gerade Augenzahl). Wir haben: Pr(A\cap B) = Pr(\{6\})=\frac{1}{6}=\frac{1}{3}*\frac{1}{2}=Pr(A)*Pr(B)
.
Damit sind die Ereignisse {Augenzahl ist gerade} und {Augenzahl ist durch 3 teilbar} (stochastisch) unabhängig im folgenden Sinn:
Definition 1.16 Sei (\Omega,Pr)
ein Wahrscheinlichkeitsraum und seien A,B
Ereignisse. Dann heißen A und B unabhängig, wenn Pr(A\cap B)=Pr(A)*Pr(B)
gilt.
Bemerkung: Wenn Pr(B)> 0
gilt, dann sind A
und B
genau dann unabhängig, wenn Pr(A) = \frac{Pr(A\cap B)}{Pr(B)})= Pr(A|B)
gilt. Das bedeutet, dass sich durch die Information, dass B eingetreten ist, nichts an der Wahrscheinlichkeit für A
ändert. (Im Beispiel: Wenn wir wissen, dass die Augenzahl b
eim Würfeln gerade ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit für eine Augenzahl, die durch 3 teilbar ist, genau, genau dieselbe wie im gesamten Wahrscheinlichkeitsraum.)
Zufallsvariable bzw. Zufallsgrößen Zufallsvariable ordnen den Ergebnissen eines Experiments (d.h. eines Wahrscheinlichkeitsraums) ,,Werte'' aus einer Menge R zu. (Diese Werte können Zahlen oder andere ,,Eigenschaften'' sein.)
Definition 1.17 Sei (\Omega,Pr)
ein Wahrscheinlichkeitsraum und R eine endliche oder abzählbare Menge. Eine Zufallsvariable ist eine Abbildung X:\Omega\rightarrow R
.
Zufallsvariablen mit R\subseteq R
heißen reelle Zufallsvariable.
Beispiel 1.18 Zu \Omega=\{1,2,...,N\}^q
(q,$N\geq 1$) betrachten wir den Wahrscheinlichkeitsraum (\Omega,Pr)
mit der Gleichverteilung Pr
. Beispiele für Zufallsvariablen sind:
R=\mathbb{N}
undX:\Omega\rightarrow R,(a_1,...,a_q)\rightarrow a_5
(eine Projektion, definiert fürq\geq 5
)R=\{-1,0,1\}
undY_{ij}((a_1,...,a_q))=\begin{cases} -1\quad\text{falls } a_i< a_j\\ 0\quad\text{falls} a_i=a_j, \text{für } 1\leq i < j\leq n \\ 1\quad\text{falls } a_i> a_j\end{cases}
R=\mathbb{N}
undZ:\Omega\rightarrow R,(a_1 ,...,a_q)\rightarrow\sum_{1\leq i\leq q} a_i
Sei X:\Omega\rightarrow R
eine Zufallsvariable. Für S\subseteq R
setze Pr^X(S):= Pr(X^{-1}(S))=Pr(\{a\in\Omega|X(a)\in S\})
. Dann ist (R,Pr^X)
ein Wahrscheinlichkeitsraum. Dieser heißt der von X
auf R
induzierte Wahrscheinlichkeitsraum. Pr^X
heißt auch die Verteilung von X
.
Schreibweisen: Für S\subseteq R
ist X^{-1}(S)=\{a\in\Omega|X(a)\in S\}
ein Ereignis, für das wir ,,$X\in S$'' oder ,,${X\in S}$'' schreiben. Für X^{-1}(r)=\{a\in\Omega|X(a) =r\}
schreiben wir analog ,,$X=r$'' oder ,,${X=r}$''. Insbesondere schreiben wir: Pr(X=r)=PX(r)=Pr(X^{-1}(r))
und Pr(X\in S)=P^X(S)=Pr(X^{-1}(S))
.
Sind X_i:\Omega\rightarrow R_i
Zufallsvariable und S_i\subseteq R_i
, für i=1,2
, dann schreiben wir ,,${X_1\in S_1,X_2\in S_2}$'' für das Ereignis X^{-1}(S_1)\cap X^{-1}(S_2)
. Die beiden Zufallsvariablen X_1
und X_2
heißen unabhängig, wenn Pr(X_1\in S_1,X_2\in S_2)=Pr(X_1\in S_1)*Pr(X_2\in S_2)
gilt, für alle S_i\subseteq R_i,i=1,2
. Dies ist gleichbedeutend mit der Forderung Pr(X_1=r_1,X_2=r_2)=Pr(X_1=r_1)*Pr(X_2=r_2)
für alle r_i\in\mathbb{R}_i, i=1,2
.
Informationstheoretische Sicherheit
Man erinnere sich an Beispiel 1.12. Eine naheliegende Annahme ist, dass jeder Klartextbuchstabe mit Wahrscheinlichkeit \frac{1}{2}
und jeder Schlüssel mit Wahrscheinlichkeit \frac{1}{3}
auftritt, und zwar unabhängig voneinander. Dann ist $Pr$(Klartext x ist a \wedge
Chiffretext y ist A)=\frac{1}{3}
, Pr(Chiffretext y ist A)=\frac{1}{2}
, also Pr(Klartext x ist a | Chiffretext y ist A)$=\frac{2}{3}\not=\frac{1}{2}=$Pr(Klartext x ist a). Wenn Eva also A beobachtet,ändert sich ihre Ansicht über die Verteilung auf den Klartextbuchstaben.
Für das Konzept der informationstheoretischen Sicherheit nehmen wir an, dass Klartexte mit bestimmten Wahrscheinlichkeiten auftreten. Was diese Wahrscheinlichkeiten sind, kann der Anwender normalerweise nicht kontrollieren. Die konsequente Anwendung des Kerckhoffs-Prinzips besagt aber, dass man annehmen muss, dass Eva die relevante Wahrscheinlichkeitsverteilung auf X kennt. (Zum Beispiel würde sie wissen, dass Pr^X(x_0)=\frac{1}{2}
ist, für ein bestimmtes x_0\in X
.) Nun betrachten wir ein Kryptosystem $S=(X,K,Y,e,d). Wir nehmen an, dass Alice und Bob ihren gemeinsamen Schlüssel k durch ein Zufallsexperiment wählen. Hierzu gehört ein zweiter Wahrscheinlichkeitsraum (K,Pr_K)
. Es ist sinnvoll anzunehmen, dass Pr_X
und Pr_K
nichts miteinander zu tun haben. Es wird verschlüsselt und Chiffretext y wird gesendet. Dieser wird von Eva beobachtet. Wenn sich dadurch die Meinung von Eva über die Wahrscheinlichkeiten der verschiedenen Klartexte von der ursprünglichen Verteilung unterscheidet (etwa jetzt: ,,mit 90%iger Wahrscheinlichkeit ist es Klartext $x_0$''), hat Eva aus der Beobachtung von y eine gewisse Information erhalten.
Wir geben nun ein mathematisches Modell an, innerhalb dessen man über Begriffe wie ,,Eva erhält Information'' sprechen und argumentieren kann. Dazu konstruieren wir einen W-Raum mit \Omega=X\times K
. In das Modell bauen wir die Vorstellung ein, dass x\in X
und k\in K
nach den Verteilungen Pr_X
und Pr_K
zufällig und unabhängig gewählt werden.
Man beachte, dass die Verteilung Pr_K
,,Teil des Kryptosystems'' ist, also der Kontrolle von Alice und Bob unterliegt, während Pr_X
,,Teil der Anwendung'' oder ,,Teil der Realität'' ist, also von den Teilnehmern normalerweise nicht beeinflusst werden kann. Die Verteilung Pr_X
braucht beim Entwurf des Kryptosystems nicht einmal bekannt zu sein. (Alice und Bob sollten ihr Kryptosystem ohne Kenntnis von Pr_X
planen können. Die Annahme, dass Eva Pr_X
kennt, ist eine worst-case-Annahme, sie muss in der Realität nicht unbedingt erfüllt sein.)
Definition 1.19 Ein Kryptosystem mit Schlüsselverteilung (KSV) ist ein 6-Tupel V=(X,K,Y,e,d,Pr_K)
, wobei
S=(X,K,Y,e,d)
ein Kryptosystem (das zugrundeliegende Kryptosystem) ist undPr_K:K\rightarrow (0,1]
eine Wahrscheinlichkeitsfunktion (die Schlüsselverteilung) ist.- Für
V=(X,K,Y,e,d,Pr_K)
schreiben wir auchS[Pr_K]
. - Achtung: Die Definition verlangt
Pr_K(k)\in (0,1]
, alsoPr_K(k)> 0
für allek\in K
. (Hat man Schlüssel mit Wahrscheinlichkeit 0, kann man sie aus K einfach weg lassen.)
Sei weiter Pr_X:X\rightarrow [0,1]
eine Wahrscheinlichkeitsfunktion auf der Menge der Klartexte. Das heißt: \sum_{x\in X}Pr_X(x)=1
. Diese Wahrscheinlichkeitsfunktion definiert natürlich eine W-Verteilung auf X, die wir wieder Pr_X
nennen. (Achtung: Es kann Klartextexte mit Pr(x)=0
geben. Solche Klartexte heißen passiv, die anderen, mit Pr_X(x)>0
, aktiv.) Wir definieren die gemeinsame Wahrscheinlichkeitsfunktion Pr:X\times K\rightarrow [0,1]
durch Pr((x,k)):=Pr_X(x)*Pr_K(k)
.
Dies definiert einen Wahrscheinlichkeitsraum auf X\times K
, für den Pr(X′\times K′)=Pr_X(X′)*Pr_K(K′)
, für alle X′\subseteq X,K′\subseteq K
gilt. Durch diese Definition wird die Annahme modelliert, dass der Schlüssel k unabhängig vom Klartext durch ein von Pr_K
gesteuertes Zufallsexperiment gewählt wird.
Beispiel 1.20 Sei X=\{a,b,c\},K=\{0,1,2,3\},Y=\{A,B,C\}
und die Verschlüsselungsfunktion sei durch die folgende Tabelle gegeben:
e | a(0,4) | b(0) | c(0,6) |
---|---|---|---|
0 (\frac{1}{4} ) |
A | B | C |
1 (\frac{1}{8} ) |
B | C | A |
2 (\frac{1}{2} ) |
C | A | B |
3 (\frac{1}{8} ) |
C | B | A |
Die Wahrscheinlichkeiten Pr_X(x)
sind beiden Klartexten, die Wahrscheinlichkeiten Pr_K(k)
beiden Schlüsseln in Klammern notiert. Klartexte a und c sind aktiv, Klartext b ist passiv. Die Wahrscheinlichkeit für einen Punkt (x,k)\in X\times K
erhält man durch Multiplikation: Pr((c,2)) = 0,6 *\frac{1}{2}=0,3
und Pr((b,k))=0*Pr_K(k)=0
für alle k\in K
.
Der Chiffretext y ist dann eine Zufallsvariable auf diesem Wahrscheinlichkeitsraum: X_3((x,k)):=e(x,k)
.
Auch die beiden Komponenten x
und k
werden als Zufallsvariable betrachtet (Projektionen):
X_1:X\times K\rightarrow X,(x,k) \rightarrow x
X_2:X\times K\rightarrow K,(x,k) \rightarrow k
Wir beobachten einige einfache Zusammenhänge, für x_0\in X,k_0\in K,y_0\in Y
:
Pr(x_0):=Pr(X_1=x_0)=Pr(\{x_0\}\times K) = Pr_X(x_0)*Pr_K(K) = Pr_X(x_0)
.Pr(k_0):=Pr(X_2=k_0)=Pr(X\times\{k_0\})=Pr_X(X)*Pr_K(k_0)=Pr_K(k_0)
(Man erhält also die ursprünglichen Wahrscheinlichkeiten für Klartexte und Schlüssel zurück. Dies ist eine einfache Grundeigenschaft von Produkträumen.)
Pr(y_0):=Pr(X_3=y_0)=Pr(\{(x,k)|x\in X,k\in K,e(x,k) =y_0\}) =\sum_{x\in X,k\in K,e(x,k)=y_0} Pr((x,k)) =\sum_{x\in X,k\in K,e(x,k)=y_0} Pr_X(x)*Pr_K(k)
(In Beispiel 1.20 gilt Pr(A)=\frac{1}{4}*0,4+ \frac{1}{8}*0,6 +\frac{1}{2}*0 +\frac{1}{8}* 0,6=0,25
und Pr(B) =\frac{1}{4}*0 +\frac{1}{8}*0,4 +\frac{1}{2}*0,6 +\frac{1}{8}*0 = 0,35
.)
Pr(x_0,y_0):=Pr(X_1=x_0,X_3=y_0)=Pr(\{x_0\}\times\{k\in K|e(x_0,k)=y_0\})= Pr_X(x_0)*\sum_{k\in K:e(x_0,k)=y_0} Pr_K(k)
(In Beispiel 1.20 gilt Pr(c,A)=0,6*(\frac{1}{8}+\frac{1}{8})=0,15
und Pr(a,C)=0,6*(\frac{1}{2}+\frac{1}{8})= 0,375
.)
Pr(x_0|y_0):=Pr(X_1=x_0|X_3=y_0)= \frac{Pr(x_0,y_0)}{Pr(y_0)}= Pr_X(x_0)*\frac{\sum_{k\in K:e(x_0,k)=y_0} Pr_K(k)}{\sum_{x\in X,k\in K:e(x,k)=y_0} Pr_X(x)*Pr_K(k)}
.
(In Beispiel 1.20 gilt Pr(c|A)=0,15/0,25=0,6
.) Die letzte Formel ist nur für y_0
mit Pr(y_0)>0
definiert.
Definition 1.21 Sei V=(X,K,Y,e,d,Pr_K)
ein Kryptosystem mit Schlüsselverteilung.
- Sei
Pr_X
eine Wahrscheinlichkeitsfunktion auf den Klartexten. Dann heißtV
informationstheoretisch sicher bezüglichPr_X
, wenn für allex\in X,y\in Y
mitPr(y)>0
gilt:Pr(x) = Pr(x|y)
. - Das KSV
V
heißt informationstheoretisch sicher, wenn es bezüglich jeder beliebigen KlartextverteilungPr_X
informationstheoretisch sicher ist.
Bemerkungen: Hinter Definition 1. steckt die folgende Vorstellung: Eva kennt (im schlimmsten Fall) die Wahrscheinlichkeitsfunktion Pr_X
. Das System gilt als sicher, wenn sich durch Abfangen eines Chiffretextes y aus Evas Sicht die Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Klartexte x nicht ändern. Die Bedingung Pr(y)>0
in 1. ist nötig, damit Pr(x|y)
definiert ist. Sie bedeutet aber keine Einschränkung, da Chiffretexte y
mit Pr(y)=0
nie vorkommen, also auch nicht abgefangen werden können. Das Konzept in 2. ist relevant, weil man beim Entwurf eines Kryptosystems meistens die Klartextverteilung nicht oder nicht genau kennt.
Man beachte, dass in der Definition der informationstheoretischen Sicherheit die Fähigkeiten von Eva überhaupt nicht eingeschränkt werden. Auf welche Weise sie eventuell ermittelt, dass sich Wahrscheinlichkeiten geändert haben, wird gar nicht diskutiert. (Eva könnte zum Beispiel für jedes y\in Y
eine Tabelle haben, in der die Wahrscheinlichkeiten Pr(x|y)
für alle x\in X
aufgelistet sind. Oder sie fängt beim Vorliegen von y
an, eine solche Tabelle zu berechnen. Beides ist natürlich für nicht ganz kleine X und Y völlig unrealistisch.)
Beispiel 1.22
e | a(\frac{1}{4} ) |
b(\frac{3}{4}$ ) |
---|---|---|
k_0(\frac{1}{3}) |
A | B |
k_1(\frac{2}{3}) |
B | A |
(Notation: In der Tabelle stehen neben den Namen von Klartexten und Schlüsseln in Klammern deren Wahrscheinlichkeiten.) Dieses Kryptosystem ist possibilistisch sicher. Es gilt ab er:
Pr(a|A)=\frac{Pr(a,A)}{Pr(A)}=\frac{\frac{1}{3}*\frac{1}{4}}{\frac{1}{3}*\frac{1}{4}+\frac{2}{3}*\frac{3}{4}}=\frac{1}{7}
und Pr(a)=\frac{1}{4}
.
Nach dem Abhören von A sieht also Eva den Klartext a als weniger wahrscheinlich an als vorher. Also ist dieses Kryptosystem mit Schlüsselverteilung bzgl. Pr_X
nicht informationstheoretisch sicher.
Beispiel 1.23
e | a(\frac{1}{4} ) |
b(\frac{3}{4} ) |
---|---|---|
k_0(\frac{1}{2} ) |
A | B |
k_1(\frac{1}{2} ) |
B | A |
Dieses System ist bezüglich Pr_X
informationstheoretisch sicher. Zum Beispiel gilt Pr(a|A) =\frac{Pr(a,A)}{Pr(A)}=\frac{\frac{1}{4}*\frac{1}{2}}{\frac{1}{4}*\frac{1}{2}+\frac{3}{4}*\frac{1}{2}}=\frac{\frac{1}{8}}{\frac{1}{2}}=\frac{1}{4}
und Pr(a)=\frac{1}{4}
. Die anderen drei verlangten Gleichheiten rechnet man analog nach.
Satz 1.24 (Informationstheoretische Sicherheit des Vernam-Systems) Sei l>0
und S=(X,K,Y,e,d)
mit X=K=Y=\{0,1\}^l
und e=d=\oplus_l
das Vernam-System der Länge l
. Sei weiter Pr_K:K\rightarrow [0,1]
die Gleichverteilung. Dann ist V=S[Pr_K]
informationstheoretisch sicher.
Beweis: Sei Pr_X:X\rightarrow [0,1]
eine beliebige Wahrscheinlichkeitsfunktion. Wir müssen zeigen, dass V
bezüglich Pr_X
informationstheoretisch sicher ist. Wir beginnen mit folgender Beobachtung: Zu x\in X
und y\in Y
existiert genau ein k_{x,y}\in K
mit e(x,k_{x,y})=y
, nämlich k_{x,y}=x\oplus_l y
. Damit gilt für jedes y\in Y
: Pr(y)=\sum_{x\in X,k\in K,e(x,k)=y} Pr(x)Pr(k) = \sum_{x\in X} Pr(x) Pr(kx,y)= 2^{-l}* \sum_{x\in X} Pr(x)=2^{-l}
.
(D.h.: Jeder Chiffretext y hat dieselbe Wahrscheinlichkeit 2^{-l}
, ganz gleich was Pr_X
ist.)
Sei nun x\in X
und y\in Y
beliebig gewählt. Dann gilt Pr(x,y) = Pr(x)*\sum_{k\in K, e(x,k)=y} Pr(k) = Pr(x)*Pr(k_{x,y}) = Pr(x)* 2^{-l}= Pr(x)*Pr(y)
.
Damit folgt Pr(x)=\frac{Pr(x,y)}{Pr(y)}= Pr(x|y)
, wie bei der informationstheoretischen Sicherheit verlangt.
Bemerkung 1.25
- Der Beweis und damit das Vernamsystem kommt mit jeder beliebigen Klartextverteilung zurecht.
- Im KSV V wird die Gleichverteilung
Pr_K
auf den Schlüsseln benutzt.
Wir wollen nun überlegen, dass diese beiden Sachverhalte nicht zufällig sind. Es wird sich herausstellen, dass informationstheoretische Sicherheit inbestimmten Fällen (nämlich wenn y und K möglichst ,,sparsam'' gebaut sind) Gleichverteilung auf den Schlüsseln erzwingt, und dass die informationstheoretische Sicherheit eines KSV nichts mit den konkreten Wahrscheinlichkeiten der Klartextverteilung Pr_X
zu tun hat, sondern nur die Menge \{x\in X|Pr_X(x)> 0\}
der ''aktiven'' Klartexte relevant ist.
Lemma 1.26 Sei V=(X,K,Y,e,d,Pr_K)
ein KSV. Sei V
informationstheoretisch sicher bezüglich einer Klartextverteilung Pr_X
mit Pr(x)>0
für alle x\in X
. Dann gilt:
Pr(y)>0
für alley\in Y
, undS=(X,K,Y,e,d)
ist possibilistisch sicher.- Gilt zusätzlich
|X|=|Y|=|K|
, so giltPr_K(k)=\frac{1}{|K|}
für allek\in K
.
Beweis:
- Sei
y\in Y
beliebig. Nach Definition 1.1(2) gibt esx_0\in X
undk_0\in K
mite(x_0,k_0)=y
. DaPr_X(x_0)>0
(nach Vor.) undPr_K(k_0)>0
(nach Def 1.19),erhalten wirPr(y)\geq Pr_X(x_0)Pr_K(k_0)>0
. Sei nun zusätzlich auchx\in X
beliebig. Dann gilt:\sum_{k\in K:e(x,k)=y} Pr(x)Pr(k)= Pr(x,y)= Pr(x|y)Pr(y)=^* Pr(x)Pr(y)> 0
. ((*) gilt, da V informationstheoretisch sicher bzgl.Pr_X
ist.) Also existiertk\in K
mite(x,k)=y
. Dax
undy
beliebig waren, ist S possibilistisch sicher. - Nun nehmen wir zusätzlich
|X|=|Y|=|K|
an. Wir beobachten zuerst zwei Dinge:- Für jedes
x\in X
ist die AbbildungK\ni k \rightarrow e(x,k)\in Y
bijektiv. (Dass diese Abbildung surjektiv ist, ist eine Umformulierung der possibilistischen Sicherheit, die nach 1. gegeben ist. Aus Surjektivität folgt Bijektivität, wegen|K|=|Y|
.) - Für jedes
k\in K
ist die AbbildungX\ni x \rightarrow e(x,k)\in Y
bijektiv. (Dass die Abbildung injektiv ist, folgt aus der Dechiffrierbedingung. Aus Injektivität folgt Bijektivität, wegen|X|=|Y|
.)
- Für jedes
Nun seien k_1,k_2\in K
beliebig. Unser Ziel ist zu zeigen, dass Pr(k_1)=Pr(k_2)
gilt. (Dann ist gezeigt,dass Pr_K
die uniforme Verteilung ist.) Wähle x\in X
beliebig und setze y:=e(x,k_1)
. Beachte, dass es wegen 1. keinen Schlüssel k\not=k_1
mit y=e(x,k)
gibt. Wegen 2. gibt es ein x′\in X
mit e(x′,k_2)=y
. Auch hier gibt es kein k′\not=k_2
mit e(x′,k′)=y
. Es gilt also: Pr(x)Pr(k_1)=\sum_{k\in K:e(x,k)=y} Pr(x)Pr(k) = Pr(x,y) = Pr(x|y)Pr(y) =^* Pr(x)Pr(y)
, und daher Pr(k_1)=Pr(y)
, wegen Pr(x)>0
. (* gilt, weil V
informationstheoretisch sicher ist.) Analog gilt Pr(x′)Pr(k_2)=Pr(x′)Pr(y)
, und daher Pr(k_2)=Pr(y)
. Es folgt Pr(k_1)=Pr(k_2)
, wie gewünscht.
Teil 2. dieses Lemmas hat eine Umkehrung.
Lemma 1.27 Sei V=(X,K,Y,e,d,Pr_K)
KSV mit |X|=|Y|=|K|
. Wenn S=(X,K,Y,e,d)
possibilistisch sicher ist und Pr_K
die Gleichverteilung ist, dann ist V
informationstheoretisch sicher.
Beweis: Es sei eine beliebige Klartextverteilung Pr_X
gegeben. Da S possibilistisch sicher ist und |X|=|Y|=|K|
gilt,existiert für jedes Paar (x,y)\in X\times Y
genau ein k_{x,y}\in K
mit e(x,k_{x,y}) =y
(vgl.Aussage 1. im Beweis des vorherigen Lemmas).
Damit gilt für jedes y\in Y
:$Pr(y)=\sum_{x\in X,k\in K:e(x,k)=y} Pr(x)Pr(k) =\sum_{x\in X} Pr(x) Pr(k_{x,y})=\frac{1}{|K|}* \sum_{x\in X} Pr(x) = \frac{1}{|K|}$.
Wir haben benutzt, dass Pr_K
die uniforme Verteilung ist und dass \sum_{x\in X} Pr(x) = 1
gilt.
Seien nun x\in X
und y\in Y
beliebig. Wenn Pr(x)=0
ist, gilt auf jeden Fall Pr(x|y)=0=Pr(x)
. Wir können also Pr(x)> 0
annehmen und rechnen: Pr(x|y) =\frac{Pr(x,y)}{Pr(y)}=\frac{Pr(y|x)*Pr(x)}{Pr(y)}=\frac{Pr_K(k_{x,y})*Pr(x)}{Pr(y)}=^* \frac{\frac{1}{|K|}*Pr(x)}{\frac{1}{|K|}}=Pr(x)
.
(Für * benutzen wir die Annahme über Pr_K
und die Gleichheit Pr(y)=\frac{1}{|K|}
von oben.) Das heißt, dass V für Pr_X
informationstheoretisch sicher ist.
Aus den beiden Lemmas erhalten wir den folgenden Satz, der die informationstheoretisch sicheren KSVs für den Fall |X|=|Y|=|K|
vollständig beschreibt.
Satz 1.28 Sei V= (X,K,Y,e,d,Pr_K)
ein KSV mit |X|=|Y|=|K|
. Dann sind äquivalent:
V
ist informationstheoretisch sicher.(X,K,Y,e,d)
ist possibilistisch sicher undPr_K(k)=\frac{1}{|K|}
für allek\in K
.
Beweis: ,,$(a)\Rightarrow (b)$'': Wenn V informationstheoretisch sicher ist, dann auch bezüglich einer Klartextverteilung Pr_X
, in der alle Klartexte aktiv sind. Lemma 1.26 liefert 2. ,,$(b)\Rightarrow (a)$'': Lemma 1.27.
Der Satz besagt, dass man informationstheoretisch sichere Systeme mit |X|=|Y|=|K|
daran erkennt, dass in der Verschlüsselungstabelle (für e) in jeder Spalte alle Chiffretexte vorkommen (possibilistische Sicherheit) und dass die Schlüsselverteilung Pr_K
uniform ist. Auch in jeder Zeile kommen natürlich alle Chiffretexte vor: das liegt aber einfach an der Dechiffrierbedingung.
Wir geben ein Beispiel für ein solches informationstheoretisch sicheres Kryptosystem mit |X|=|Y|=|K|=6
an. Die Klartextverteilung ist irrelevant. (Die Verschlüsselungsfunktion ist übrigens mit Hilfe der Multiplikationstabelle der multiplikativen Gruppe \mathbb{Z}^*_7
des Körpers \mathbb{Z}_7
konstruiert worden. Solche Tabellen haben die Eigenschaft, dass jeder mögliche Eintrag in jeder Zeile und in jeder Spalte genau einmal vorkommt.)
Beispiel 1.29 Wir betrachten X=\{a,b,c,d,e,f\},K=\{k_0 ,...,k_5\},Y=\{A,...,F\}
.
e | a | b | c | d | e | f |
---|---|---|---|---|---|---|
k_0 (\frac{1}{6}) |
A | B | C | D | E | F |
k_1 (\frac{1}{6}) |
B | D | F | A | C | E |
k_2 (\frac{1}{6}) |
C | F | B | E | A | D |
k_3 (\frac{1}{6}) |
D | A | E | B | F | C |
k_4 (\frac{1}{6}) |
E | C | A | F | D | B |
k_5 (\frac{1}{6}) |
F | E | D | C | B | A |
Nun betrachten wir allgemeinere Situationen, und fragen auch nach informationstheoretischer Sicherheit für spezifische Klartextverteilungen Pr_X
und für Mengen K
und Y
, die größer als X
sind. Die Bedingung ,,uniforme Verteilung auf den Schlüsseln'' verschwindet dann komplett! Wir erinnern uns: Klartexte x
mit Pr_X(x)> 0
heißen aktiv (bzgl. Pr_X
), die anderen passiv. Es wird sich herausstellen, dass sich informationstheoretische Sicherheit für Pr_X
mit dem Verhalten von e(x,k)
auf den aktiven Klartexten entscheidet, wobei es auf die tatsächlichen Wahrscheinlichkeiten für die aktiven Klartexte nicht ankommt.
Technisch hilfreich sind die folgenden Größen, die nur von der Verschlüsselungsfunktion und der Schlüsselverteilung abhängen (nicht von irgendeiner Klartextverteilung): P^x(y):=\sum_{k\in K, e(x,k)=y} Pr(k)
, für x\in X,y\in Y
(1.1).
Man beobachtet sofort die folgenden Gleichungen, die aus der Unabhängigkeit der Verteilungen Pr_X
und Pr_K
folgen:
- Für alle
x\in X:Pr(x,y) = Pr(x)*P^x(y)
. (1.2) - Wenn
Pr(x)> 0
:$Pr(y|x) = \frac{Pr(x,y)}{Pr(x)}=P^x(y)$. (1.3)
Umgekehrt wie bei der Definition der informationstheoretischen Sicherheit stellt man sich hier vor, dass ein Klartext x gegeben ist und man fragt nach der resultierenden Verteilung auf den Chiffretexten. Das nächste Lemma besagt, dass man die Wahrscheinlichkeiten aktiver Klartexte beliebig ändern kann (auch auf 0, also sie weglassen), ohne dass eine bestehende informationstheoretische Sicherheit zerstört wird.
Lemma 1.30 Sei V=(X,K,Y,e,d,Pr_K)
KSV und seien Pr_X
und Pr′_X
Klartextverteilungen mit Pr′_X(x)>0\Rightarrow Pr_X(x)>0
. Dann gilt: Ist V
informationstheoretisch sicher bzgl. Pr_X
, so ist V informationstheoretisch sicher bzgl. Pr′_X
.
Beweis: Sei V
informationstheoretisch sicher bzgl. Pr_X
. Wir haben es jetzt mit zwei Wahrscheinlichkeitsräumen zu tun, einem zu Pr_X
und Pr_K
(bezeichnet mit (X\times K,Pr)
) und einem zu Pr′_X
und Pr_K
(bezeichnet mit (X\times K,Pr′)
).
Wir zeigen nacheinander vier Aussagen.
Pr_X(x)> 0 \Rightarrow P^x(y) = Pr(y|x) = Pr(y)
für alley\in Y
. (Die VerteilungenPr^X(*)=Pr(*|x)
auf den Chiffretexten sind für alle (Pr-)aktiven Klartexte x gleich und sind auch gleich der globalen Verteilung auf den Chiffretexten.) Beweis hierzu: SeiPr(x)>0
. Dann giltP^x(y)=Pr(y|x)
, siehe (1.3). WennPr(y)=0
gilt, folgt auchPr(y|x)=0
. Sei alsoPr(y)>0
. Dann gilt:Pr(y|x) =\frac{Pr(x,y)}{Pr(x)}=\frac{Pr(x|y)Pr(y)}{Pr(x)}=^* \frac{Pr(x)Pr(y)}{Pr(x)}= Pr(y)
. (* gilt, weil V informationstheoretisch sicher bzgl.Pr_X
ist.)Pr′_X(x)> 0 \Rightarrow Pr′(y|x) = Pr(y)
für alley\in Y
. Beweis hierzu: AusPr′(x)>0
folgtPr(x)>0
, nach Voraussetzung. Wir wenden (1.3) fürPr′
und fürPr
an und erhalten für alley\in Y
:Pr′(y|x)=P^x(y)=Pr(y|x)=^a Pr(y)
.Pr′(y)=Pr(y)
für alley\in Y
. Beweis hierzu: Mit Lemma 1.15(a) (Formel von der totalen Wahrscheinlichkeit):Pr′(y)=\sum_{x\in X: Pr′(x)> 0} Pr′(y|x)Pr′(x)=^b \sum_{x\in X: Pr′(x)> 0} Pr(y)Pr′(x) = Pr(y)
.Pr′(x)=Pr′(x|y)
für allex\in X,y\in Y
mitPr′(y)>0
. (D.h.: V ist bzgl.Pr′_X
informationstheoretisch sicher.) Beweis hierzu: WennPr′(x)=0
gilt, dann folgtPr′(x|y)=0=Pr′(x)
. Sei nunPr′(x)>0
. Dann:Pr′(x|y)=\frac{Pr′(x,y)}{Pr′(y)}=\frac{Pr′(y|x)Pr′(x)}{Pr′(y)}=^{b,c} \frac{Pr(y)Pr′(x)}{Pr(y)} = Pr′(x)
.
Satz 1.31 Sei V=(X,K,Y,e,d,Pr_K)
KSV und sei Pr_X
eine Klartextverteilung. Dann sind äquivalent:
- V ist informationstheoretisch sicher für
Pr_X
. - Für jedes
x\in X
und jedesy\in Y
gilt:Pr(x,y)=Pr(x)Pr(y)
(das Eintreten von x und das Eintreten von y sind unabhängig). - Für alle
x\in X
mitPr(x)>0
und alley\in Y
giltPr(y)=Pr(y|x)
(andere Formulierung der Unabhängigkeit). - Für alle
x,x′\in X
mitPr(x),Pr(x′)>0
und alley\in Y
giltP^x(y)=P^{x′}(y)
.
Bemerkung: Bedingung 1. fragt nach der Situation bei gegebenem Chiffretext y mit Pr(y)>0
. Bedingung 2. ist die wahrscheinlichkeitstheoretisch klarste Charakterisierung von informationstheoretischer Sicherheit, ohne bedingte Wahrscheinlichkeiten zu verwenden. Bedingungen 3. und 4. machen deutlich, dass es nur auf das Verhalten des Kryptosystems (mit seiner Verteilung Pr_K
) auf den aktiven Klartexten ankommt, nicht auf die Klartextverteilung. Sie sagen auch, worauf genau es ankommt: Für jeden beliebigen aktiven Buchstaben ist die von e(x,*)
und der Schlüsselverteilung erzeugte Verteilung auf den Chiffretexten gleich, und zwar gleich der absoluten Verteilung auf den Chiffretexten. Informationstheoretische Sicherheit von V
(also für alle Klartextverteilungen) heißt also, dass alle Funktionen P^x:Y\rightarrow [0,1]
, für x\in X
, gleich sind (weil man als Pr_X
eine Verteilung wählen kann, bei der alle Klartexte aktiv sind, zum Beispiel die Gleichverteilung).
Beweis:
- ,,$1.\Rightarrow 2.$'': Wenn
Pr(y)=0
, giltPr(x,y)=0=Pr(x)Pr(y)
. Sei jetzt $Pr(y)>0. Dann giltPr(x,y)=Pr(y)Pr(x|y) = Pr(y)Pr(x)
, nach 1. - ,,2.\Rightarrow 3.'': Wegen 2. gilt
Pr(y)Pr(x)=Pr(x,y)
. Andererseits istPr(y|x)Pr(x)=Pr(x,y)
, also folgt 3. durch Kürzen mitPr(x)>0
. - ,,3.\Rightarrow 4.'': Verwende (1.3) für
x
undx′
und benutze 3. - ,,4.\Rightarrow 1.'': (Dies ist natürlich der entscheidende und schwierigste Beweisschritt!) Nach Voraussetzung 4. gibt es für jedes
y\in Y
einp_y
mitP^x(y)=p_y
für alle aktivenx\in X
.- Nach Lemma 1.15.1 (Formel von der totalen Wahrscheinlichkeit) gilt dann für jedes y:
Pr(y)=\sum_{x\in X:Pr(x)>0} Pr(y|x)*Pr(x) = \sum_{x\in X: Pr(x)>0} P^x(y)*Pr(x) = \sum_{x\in X:Pr(x)>0} p_y*Pr(x) =p_y
. - Sei nun
y\in Y
mitPr(y)>0
, und seix\in X
. WennPr(x)=0
gilt, folgt auchPr(x|y)=0
. Wennx
aktiv ist, dann giltPr(x|y)=\frac{Pr(x,y)}{Pr(y)}=\frac{Pr(y|x)Pr(x)}{p_y}=\frac{P^x(y)Pr(x)}{p_y}=Pr(x)
, wie gewünscht.
- Nach Lemma 1.15.1 (Formel von der totalen Wahrscheinlichkeit) gilt dann für jedes y:
Beispiel 1.32 Wir geben noch ein Beispiel für ein informationstheoretisch sicheres Kryptosystem mit |X|=4,|Y|=6
und |K|=8
an. Die Klartextverteilung ist irrelevant. Sei X=\{a,b,c,d\},K=\{k_0,...,k_7\},Y=\{A,B,C,D,E,F\}
, und e
durch die folgende Tabelle gegeben. (Sie entsteht durch Zusammensetzen zweier informationstheoretisch sicherer Kryptosysteme mit jeweils vier Schlüsseln und vier Chiffretexten.)
e | a | b | c | d |
---|---|---|---|---|
k_0 (\frac{1}{6}) |
A | B | C | D |
k_1 (\frac{1}{6}) |
B | C | D | A |
k_2 (\frac{1}{6}) |
C | D | A | B |
k_3 (\frac{1}{6}) |
D | A | B | C |
k_4 (\frac{1}{12}) |
A | B | E | F |
k_5 (\frac{1}{12}) |
B | A | F | E |
k_6 (\frac{1}{12}) |
E | F | A | B |
k_7 (\frac{1}{12}) |
F | E | B | A |
Offensichtlich ist die Schlüsselverteilung nicht uniform. Jeder Schlüssel k
hat eine andere Chiffre x\rightarrow e(x,k)
. Die (absoluten) Wahrscheinlichkeiten für die Chiffretexte sind ebenfalls nicht uniform (Pr(A)=Pr(B)=\frac{1}{4}
, Pr(C)=Pr(D)=\frac{1}{6}
, Pr(E)=Pr(F)=\frac{1}{12}
).
Die informationstechnische Sicherheit drückt sich dadurch aus, dass diese Chiffretextwahrscheinlichkeiten auch für jeden Klartext (also jede Spalte) separat auftreten.
Fallstudie für Cyphertext-only-Angriffe: Vigenère-Chiffre
In der Einleitung wurde schon kurz die sogenannte Vigenère-Chiffre angesprochen. Dies ist ein klassisches Verfahren zur Verschlüsselung natürlich sprachiger Texte. Üblicherweise nimmt man dabei den zu verschlüsselnden Text, lässt alle Satzzeichen und alle Leerzeichen weg und wandelt Groß-in Kleinbuchstaben um. Umlaute und andere Sonderzeichen werden umschrieben. Resultat ist eine Folge x=(x_0,...,x_{l-1})=x_0 ...x_{l-1}
von Buchstaben im Klartextalphabet \{a,...,z\}
der Größe 26. Wir betrachten hier nur den Fall, wo die Klartextlänge von vornherein beschränkt ist (gemäß Szenario 1), also ist l\geq L
für ein festes L. Nun möchte man x
verschlüsseln. Ein informationstheoretisch sicheres Verfahren ist, für jede Buchstabenposition 0\geq i < L
rein zufällig einen Schlüssel k_i\in\{A,...,Z\}
zu wählen und an Position i
die Verschiebechiffre mit Schlüssel k_i
anzuwenden. Der Schlüssel k_0,...,k_{L-1}
ist dann aber mindestens so lang wie die Klartextfolge. Allerdings ist das nach unseren bisherigen Ergebnissen auch unvermeidlich: Wenn V=(X,K,Y,e,d,Pr_K)
informationstheoretisch sicher ist, ist (X,K,Y,e,d)
possibilistisch sicher, also |X|\geq |K|
.
Es liegt nahe, zu versuchen, mit nur einem Schlüsselbuchstaben oder mit einem kürzeren Schlüssel auszukommen. Dies führt zur einfachen (wiederholten) Verschiebechiffre und zur Vigenère-Chiffre. Wir zeigen, dass man diese mit einfachen Mitteln ,,brechen'' kann.
Die Vigenère-Chiffre und Angriffe bei bekannter Schlüssellänge
Es ist bequem, anstelle von Buchstaben mit Zahlen zu rechnen. Mit Z_n
bezeichnen wir den Ring \mathbb{Z}/n\mathbb{Z}
, also (etwas vereinfachend gesagt) den Ring der Zahlen \{0,1,...,n-1\}
mit Addition und Multiplikation modulo n als Operationen.
Definition: Eine Verschiebechiffre ist ein Kryptosystem S=(Z_n,Z_n,Z_n,e,d)
mit e(x,k)=(x+k) mod\ n
. (Offensichtlich ist dann d(y,k)=(y-k)mod\ n
.)
Unser zentrales Beispiel ist der Fall n=26
, also X=Y=K=\{0,1,2,...,25\}
. Wir identifizieren die Elemente dieser Menge mit den Buchstaben a,...,z
(bei X) bzw. A,...,Z
(bei K und Y). Die Konvention ist nach wie vor, Klartextbuchstaben klein und Schlüsselbuchstaben und Chiffretextbuchstaben groß zu schreiben.
Die einfachste Methode ist folgende Version der Cäsar-Chiffre: Wähle einen Schlüssel k aus K=\{0,1,...,25\}=\{A,...,Z\}
zufällig. Um ,,Texte'' (d.h. Wörterüber \mathbb{Z}_n
) zu verschlüsseln, wird S buchstabenweise angewandt: Aus x_0 x_1...x_{l-1}
wird e(x_0,k)e(x_1,k)...e(x_{l-1},k)
.
Diese Methode ist allerdings sehr leicht zu brechen, sogar ,,von Hand'', also ohne massiven Einsatz von Computern. Es gibt mindestens die folgenden naheliegenden Möglichkeiten, einen gegebenen Chiffretext y_0...y_{l-1}
, der aus einem natürlichsprachigen Text entstanden ist, zu entschlüsseln:
- probiere die 26 möglichen Schlüssel aus, oder
- zähle, welche Buchstaben am häufigsten im Chiffretext vorkommen und teste die Hypothese, dass einer von diesen für ,,e'' steht.
Betrachte beispielsweise den Chiffretext RYFWAVSVNPLVOULHUZAYLUNBUN
.
- Zählen liefert folgende Häufigkeiten für die häufigsten Buchstaben:
U:4,L:3,N:3,V:3
. - Vermutung: Einer dieser Buchstaben entspricht dem ,,e''.
- Der Schlüssel
k
mite(e,k)=U
istk=Q
. Entschlüsselung mitQ
liefert das Wortbipgkfcfxzvfyevrejkivexlex
, das nicht sehr sinnvoll erscheint. - Der Schlüssel
k
mite(e,k)=L
istk=H
. Entschlüsselung mitH
liefert kryptologie ohne anstrengung, und wir sind fertig. - Als Basis für solche Entschlüsselungsansätze benutzt(e) man Häufigkeitstabellen für Buchstaben, wie die folgende (Angaben in Prozent):
Englisch Deutsch Italienisch E,e 12,31 E,e 18,46 E,e 11,79 T,t 9,59 N,n 11,42 A,a 11,74 A,a 8,05 I,i 8,02 I,i 11,28 O,o 7,94 R,r 7,14 O,o 9,83 - Dass das ,,e'' im Deutschen deutlich häufiger als im Englischen ist, liegt auch daran, dass bei der Umschreibung der Umlaute ä,ö und ü als ae, oe, ue jeweils ein ,,e'' entsteht.)
Man kann auch die Häufigkeiten von ,,Digrammen'' (zwei Buchstaben, z.B. ng) oder ,,Trigrammen'' (drei Buchstaben, z.B. ung oder eit) heranziehen, auch um unterschiedliche Sprachen zu unterscheiden.
Eine unangenehme Eigenschaft bei der wiederholten Anwendung von reinen Verschiebechiffren ist, dass identische Buchstaben stets gleich verschlüsselt werden. Zum Beispiel hat unabhängig vom Schlüssel der Klartext otto stets zu einem Chiffretext mit dem Muster abba.
Die Grundidee der Vigenère-Chiffre ist es nun, verschiedene Verschiebechiffren in festgelegter zyklischer Reihenfolge zu verwenden.
Schlüssel: k=k_0 k_1 k_2 ...k_{s-1}\in\mathbb{Z}^s_n,s\in\mathbb{N}
. (Eine Folge von Verschiebewerten.)
Klartext: x=x_0 x_1...x_{l-1} \in\mathbb{Z}^l_n,l\in\mathbb{N}
.
Man verschlüsselt x_0
mit k_0
, x_1
mit k_1
, und so weiter. Wenn irgendwann der Schlüssel ,,aufgebraucht'' ist, weil s<l
gilt, fängt man mit dem Schlüssel wieder von vorne an. Wir verschlüsseln also x_0
mit k_0,...,x_{s-1}
mit k_{s-1},x_l
mit k_0,...,x_{2s-1}
mit k_{s-1}
,usw.
Zusammengefasst: Der Chiffretext ist: y=y_0 y_1...y_{l-1}\in(\mathbb{Z}_n)^*
mit y_i:=e(x_i,k_{i\ mod\ s})
, für 0\geq i < l
.
Man kann dieses Verfahren mit einem festen Schlüssel k nun natürlich auf beliebig lange Klartexte anwenden. Damit liegt hier kein Kryptosystem im (technischen) Sinn des letzten Abschnitts vor!
Beispiel: Wir benutzen der einfacheren Lesbarkeit halber Buchstaben anstelle der Zahlen 0,...,25
. Der Schlüssel ist VENUS.
wiederholter Schlüssel | V E N U S V E N U S V E N U S V |
Klartext | p o l y a l p h a b e t i s c h |
Chiffretext | K S Y S S G T U U T Z X V M U C |
Wir werden die Längen s
des Schlüssels und l
des Klartextes ,,sinnvoll'' beschränken:
Definition 1.33 Das Vigenère-Kryptosystem (mit Parametern (n,S,L)\in\mathbb{N}^3
) ist das Kryptosystem ((\mathbb{Z}_n)\geq L,(\mathbb{Z}_n)\geq S,(\mathbb{Z}_n)\geq L,e,d
), so dass für alle s\geq S,l\geq L,x_i,k_j\in\mathbb{Z}_n
gilt: e(x_0...x_{l-1},k_0 ...k_{s-1})=y_0 ...y_{l-1}
mit y_i=(x_i+k_{i\ mod\ s}) mod\ n
, für alle 0\geq i < l
.
Für Anwendungen sollte man L ,,fast unendlich'' wählen, um die unendliche Menge der möglichen Klartexte zu approximieren. Hingegen wird S nicht sehr groß sein, da man die Anzahl der Schlüssel klein halten will.
Nun betrachten wir einen Angriff von Eva im Szenarium 1, bei dem sie nur einen Chiffretext y der Länge l hat. Nehmen wir zunächst an, dass sie auch die Schlüssellänge s<<l
und die zugrunde liegende (natürliche) Sprache kennt. Dann kann sie den Chiffretext durch Häufigkeitsanalysen zu entschlüsseln versuchen. Die zentrale Idee ist, dass für die Verschlüsselung des ,,Teiltextes'' y_i=y_iy_{i+s}y_{i+2s}...
,für 0\geq i<s
, der Buchstabe k_i
benutzt wurde, genau wie bei der einfachen Verschiebechiffre. Für i,0\geq i<s
, bestimmt Eva also die in diesem Teiltext y_i=y_iy_{i+s}y_{i+2s}...
am häufigsten vorkommenden Buchstaben und testet die Hypothesen, dass diese für ,,e'' oder einen anderen häufigen Buchstaben stehen.
Wir betrachten ein Beispiel für eine solche Analyse an einem Chiffretext. (In der klassischen Kryptographie war es üblich, die Texte in Fünfergruppen einzuteilen, um das Abzählen von Buchstabenpositionen zu erleichtern).
EYRYC FWLJH FHSIU BHMJO UCSEG TNEER FLJLV SXMVY SSTKC MIKZS |
JHZVB FXMXK PMMVW OZSIA FCRVF TNERH MCGYS OVYVF PNEVH JAOVW |
UUYJU FOISH XOVUS FMKRP TWLCI FMWVZ TYOIS UUIIS ECIZV SVYVF |
PCQUC HYRGO MUWKV BNXVB VHHWI FLMYF FNEVH JAOVW ULYER AYLER |
VEEKS OCQDC OUXSS LUQVB FMALF EYHRT VYVXS TIVXH EUWJG JYARS |
ILIER JBVVF BLFVW UHMTV UAIJH PYVKK VLHVB TCIUI SZXVB JBVVP |
VYVFG BVIIO VWLEW DBXMS SFEJG FHFVJ PLWZS FCRVU FMXVZ MNIRI |
GAESS HYPFS TNLRH UYR |
y^0 =EFFBUTFSSMJFPOFTMOPJUFXFTFTUESPHMBVFFJUAVOOLFEVTEJIJBUUPVTSJVBVDSFPFFMGHTU
.- Buchstaben in
y^0
mit Häufigkeiten>1:AB(4)DE(4)F(14)GH(2)IJ(5)LM(3)O(4)P(5)S(5)T(7)U(7)V(6)X
- Mögliches Bild von ,,e'': F. Schlüsselbuchstabe wäre: B
- Buchstaben in
y^1 =YWHHCNLXSIHXMZCNCVNAUOOMWMYUCVCYUNHLNALYECUUMYYIUYLBLHAYLCZBYVWBFHLCMNAYNY
.- Buchstaben in
y^1:A(4)B(3)C(8)EFH(6)I(2)L(7)M(5)N(7)O(2)SU(5)V(3)W(2)X(2)Y(19)Z(2)
- Mögliches Bild von ,,e'':Y. Schlüsselbuchstabe wäre: U
- Buchstaben in
y^2 =RLSMSEJMTKZMMSREGYEOYIVKLWOIIYQRWXHMEOYLEQXQAHVVWAIVFMIVHIXVVILXEFWRXIEPLR
.- Buchstaben in
y^2:A(2)E(7)F(2)GH(3)I(8)JK(2)L(5)M(6)O(2)PQ(3)R(5)S(3)TV(7)W(4)X(5)Y(4)Z
- Mögliche Bilder von ,,e'':I,V. Schlüsselbuchstaben wären: E,R
- Buchstaben in
y^3 =YJIJEELVKZVXVIVRYVVVJSURCVIIZVUGKVWYVVEEKDSVLRXXJREVVTJKVUVVFIEMJVZVVRSFR
.- Buchstaben in
y^3 :CDE(6)F(2)GI(5)J(6)K(4)L(2)MR(6)S(3)TU(3)V(21)WX(3)Y(3)Z(3)
- Mögliches Bild von ,,e'':V. Schlüsselbuchstabe wäre: R
- Buchstaben in
y^4 =CHUOGRVYCSBKWAFHSFHWUHSPIZSSVFCOVBIFHWRRSCSBFTSHGSRFWVHKBIBPGOWSGJSUZISSH
.- Buchstaben in
y^4 :AB(5)C(4)F(6)G(4)H(8)I(4)JK(2)O(3)P(2)R(4)S(13)TU(3)V(4)W(5)YZ(2)
- Mögliches Bild von ,,e'':S. Schlüsselbuchstabe wäre: O
- Buchstaben in
Man versucht Schlüssel BURRO und erhält keinen sinnvollen Text. Mit BUERO ergibt sich: denho echst enorg anisa tions stand erfuh rdiek rypto logie inven edigw osiei nform einer staat liche nbuer otaet igkei tausg euebt wurde esgab schlu essel sekre taere dieih rbuer oimdo genpa lasth atten undfu erihr etaet igkei trund zehnd ukate nimmo natbe kamen eswur dedaf uerge sorgt dasss iewae hrend ihrer arbei tnich tgest oertw urden siedu rften ihreb ueros abera uchni chtve rlass enbev orsie eineg estel lteau fgabe geloe sthat ten
Ohne Gruppierung erhält man: denhoechstenorganisationsstanderfuhrdiekryptologie invenedigwosieinformeinerstaatlichenbuerotaetigkei tausgeuebtwurdeesgabschluesselsekretaeredieihrbuer oimdogenpalasthattenundfuerihretaetigkeitrundzehnd ukatenimmonatbekameneswurdedafuergesorgtdasssiewae hrendihrerarbeitnichtgestoertwurdensiedurftenihreb uerosaberauchnichtverlassenbevorsieeinegestellteau fgabegeloesthatten
Nun muss man nur noch die Wortzwischenräume und Satzzeichen ergänzen, um zu erhalten: Den höchsten Organisationsstand erfuhr die Kryptologie in Venedig, wo sie in Form einer staatlichen Bürotätigkeit ausgeübt wurde. Es gab Schlüsselsekretäre, die ihr Büro im Dogenpalast hatten und für ihre Tätigkeit rund zehn Dukaten im Monat bekamen. Es wurde dafür gesorgt, dass sie während ihrer Arbeit nicht gestört wurden. Sie durften ihre Büros aber auch nicht verlassen, bevor sie eine gestellte Aufgabe gelöst hatten.
Der Kasiski-Test
Das bisher betrachtete Verfahren setzt voraus, dass die Schlüssellänge s bekannt ist. Ist die maximale Schlüssellänge S klein, dann kann man die Schlüssellängen 1 bis S einzeln durchprobieren. Ist S groß, möchte man die Suche nach der richtigen Schlüssellänge abkürzen. (Besonders vor dem Computerzeitalter, wo die Dechiffrierung per Hand durchgeführt werden musste, war eine solche Zeitersparnis wichtig.) Die Schlüssellänge kann oft durch den Kasiski-Test näherungsweise bestimmt werden. (Der Test ist benannt nach Friedrich Wilhelm Kasiski (1805, 1881), einem preußischen Infanteriemajor. Der Test wurde von ihm 1863 veröffentlicht. Er war aber bereits 1854 von Charles Babbage entwickelt, aber nicht veröffentlicht worden.)
Die zentrale Idee des Tests ist die folgende einfache Beobachtung: Gleiche Klartextfragmente, die eventuell mehrfach vorkommen (z.B. das Wort ,,ein'') werden in gleiche Chiffretexte übersetzt, wenn sie unter dem gleichen Schlüsselfragment liegen. Genauer: Stimmt der Klartext im Abschnitt i+s*l
bis j+s*(l+h)
mit dem Klartext im Abschnitt von i+s*l′
bis j+s*(l′+h)
überein, so gilt dies auch für den Chiffretext (1\geq i,j\geq s,l,l′,h\in\mathbb{N})
.
Anders ausgedrückt: Kommt ein Teilwort im Klartext an zwei Positionen i und j und ist j-i ein Vielfaches von s, so werden die beiden Vorkommen des Wortes gleich verschlüsselt.
Diese Beobachtung wird in die folgende Idee für einen Angriff umgemünzt: Für möglichst viele ,,lange'' Wörter, die im Chiffretext mehrfach auftreten, notiere die Abstände des Auftretens. (,,lang'' sollte wenigstens 3 sein.) Dann suche ein großes s, das viele dieser Abstände teilt (nicht unbedingt alle, denn einige Mehrfach vorkommen im Chiffretext könnten zufällig entstanden sein).
Beispiel 1.34 Im Chiffretext von Abbildung 1 kommen (mindestens) die folgenden Wörter der Länge 3 mehrfach vor. Wir geben die Positionen und die Abstände an.
#Wörter | |
---|---|
AWMCJ IENAW NMOZV EYJOK HPXNK TFKQC JPJSJ NTIVT TCOJA AWKBS | 50 |
NHKBV UYMJG NNUAH UEKFF DLNSJ SZRZL EUKRW IYLCJ MLZWC ECOBM | 100 |
NOPSV ECOBX OCSOL IVKFC EYTHF IDYSM EMKFV IPCSK EYZZA CSKBS | 150 |
LRUFA TSSWK CSKBO ECQNW URKVS BPTIW BPXGL RFQHM RPTRA EPYSJ | 200 |
LLAPW NOGHW NPLTA ZTKBL ZFUFY AYOGA ECKBM NOGIX ZFLWF DPTIW | 250 |
BPXVS EFLWY BPTIL ZEKOD GZXWL HXKBM NOAST ECJWW SEGBV ACJHW | 300 |
CSTWC EYSWL DPTSF MLTOD GZXWL HXOGU HPVFG BWKAW MZJSD LTKFW | 350 |
NGKFK TPNSF UYJZG EDKBC AYT |
Wort | Positionen | Abstände |
---|---|---|
ODGZXWLHX | 269 , 319 | 50 |
DPT | 246 , 311 | 65 |
BPT | 176 , 261 | 115 |
ECOB | 96 , 106 | 10 |
CSK | 138 , 146 , 161 | 8*, 15 |
AWM | 1 , 339 | 338* |
PTIWBPX | 177 , 247 | 70 |
BMNO | 99 , 234 , 279 | 135 , 45 |
Wir vermuten: Periode ist 5 (dann wären Wiederholungen von AWM und CSK durch Zufall entstanden)
Das Ergebnis der Entschlüsselung wie oben beschrieben mit vermuteter Schlüssellänge 5 und versuchten Schlüsseln ALGXS (erfolglos) und ALGOS (erfolgreich) ergibt den folgenden Text.
#Wörter | |
---|---|
algor ithme nbild endas herzs tueck jeder nicht trivi alena | 50 |
nwend ungvo ncomp utern daher sollt ejede infor matik erinu | 100 |
ndjed erinf ormat ikerk enntn isseu eberd iewes entli chena | 150 |
lgori thmis chenw erkze ugeha benue berst ruktu rendi eeser | 200 |
laube ndate neffi zient zuorg anisi erenu ndauf zufin denue | 250 |
berha eufig benut zteal gorit hmenu ndueb erdie stand ardte | 300 |
chnik enmit denen manal gorit hmisc hepro bleme model liere | 350 |
nvers tehen undlo esenk ann |
Mit Wortzwischenräumen und Satzzeichen: Algorithmen bilden das Herzstück jeder nichttrivialen Anwendung von Computern. Daher sollte jede Informatikerin und jeder Informatiker Kenntnisse über die wesentlichen algorithmischen Werkzeuge haben: über Strukturen, die es erlauben, Daten effizient zu organisieren und aufzufinden, über häufig benutzte Algorithmen und über die Standardtechniken, mit denen man algorithmische Probleme modellieren, verstehen und lösen kann.
Bemerkungen:
- (i) Der Test funktioniert nur gut, wenn die Schlüssellänge s gering im Verhältnis zur Chiffretextlänge l ist.
- (ii) Um ihn anwenden zu können, muss die Klartextsprache bekannt sein.
- (iii) Der Test kann auch in der viel allgemeineren Situation benutzt werden, in der Schlüssel nicht s Verschiebungen, sondern s beliebige Substitutionschiffren auf
X
bestimmen (z.B.X=Y
und Schlüssel ist Tupel(\pi_0,...,\pi_{s-1}
) von Permutationen vonX
).
Was passiert im Extremfall s=l
?
- Grundsätzlich hat man dann ein informationstheoretisch sicheres one-time pad vor sich...
- ... aber nur dann, wenn die Schlüssel gleichverteilt gewählt werden. Wenn der Schlüssel selbst ein deutscher Text ist (z.B. ein Textstück aus einem Buch), so weist der Chiffretext wieder statistische Merkmale auf, die zum Brechen ausgenutzt werden können. (Beispiel: Wenn Schlüssel und Klartext beides deutsche Texte sind, werden ca.
7,6%
der Buchstaben mit sich selbst verschlüsselt, d.h. Chiffretextbuchstabe$= 2 *$ Klartextbuchstabe modulo 26.)
Effektive Verfahren der Schlüsselverlängerung (die aber keine informationstheoretische Sicherheit bringen):
- Autokey-Vigenère: Schlüssel k, Klartext m. Dann wird klassische Vigenère-Chiffre mit Schlüssel km auf m angewendet.
- Pseudozufallszahlen: Geheimer Schlüssel ist seed eines (Pseudo-)Zufallszahlengenerators, mit dem eine lange Schlüsselfolge
k_0,...,k_{l-1}
erzeugt wird.
Koinzidenzindex und Friedman-Methode
Wir betrachten noch eine andere interessante Methode zur Abschätzung der Schlüssellänge, die bei der Verwendung einer Vigenère-Chiffre oder anderen Substitutionschiffren mit fester Schlüssellänge s helfen können, diese zu ermitteln. Die Methode beruht darauf, dass die Buchstabenhäufigkeiten (zu einer gegebenen Sprache) fest stehen und sich bei der Verschlüsselung mit einer einfachen Substitutionschiffre nicht ändert. Ebenso ändert sich nicht die Wahrscheinlichkeit, bei der zufälligen Wahl eines Buchstabenpaars zwei identische Buchstaben zu erhalten. Die Methode stammt von William F. Friedman (1891, 1969), einem amerikanischen Kryptographen.
Sei x=x_0...x_{l-1}
ein Klartext, sei y=y_0...y_{l-1}
der zugehörige Chiffretext, bei s=1
(an jeder Stelle derselbe Schlüssel). Seien n_0,...,n_{25}
die Anzahlen der Buchstaben a,...,z
in x,n′_0,...,n′_25
die in y
. Wir wählen zufällig ein Paar von zwei Positionen in x (ohne ,,Zurücklegen''). Dafür gibt es \binom{l}{2}
Möglichkeiten. Genau \binom{n_i}{2}
viele davon führen dazu, dass man zweimal den Buchstaben Nummer i zieht, und \sum_{0\geq i<26}\binom{n_i}{2}
viele führen dazu, dass man an den beiden Positionen denselben Buchstaben sieht. Wir setzen IC(x):=\frac{\sum_{0\geq i<26}\binom{n_i}{2}}{\binom{l}{2}}=\frac{\sum_{0\leq i<26}n_i(n_i-1)}{l(l-1)}
.
Diese Zahl nennt man den Koinzidenzindex von x. Sie ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass an den beiden zufällig gewählten Positionen der selbe Buchstabe steht. Weil die Verschlüsselung auf den Buchstaben eine Bijektion ist, also sich die vorkommenden Häufigkeiten durch die Verschlüsselung nicht ändern, gilt für IC(y):=\frac{\sum_{0\geq i<26} n′_i(n′_i -1)}{l(l-1)}
die Gleichung IC(x)=IC(y)
.
Für lange Texte mit (sprachtypischer) Häufigkeitsverteilung der Buchstaben nähert sich IC(x)
einem bestimmten Wert an. Wenn p_i
die Häufigkeit von Buchstabe i in der verwendeten Sprache ist, wird für lange Texte x die Näherung \frac{n_i}{l}\approx\frac{n_i-1}{l-1}\approx p_i
gelten, also IC(x)\approx \sum_{0\geq i<26} p^2_i
sein. Die Summe \sum_{0\geq i<26} p^2_i
hat beispielsweise einen Wert von etwa 0,076
für deutsche und 0,066
für englische Texte. Wenn (in einer fiktiven Sprache) jeder Buchstabe dieselbe Wahrscheinlichkeit hat, ist \sum_{0\geq i<26} p^2_i= 26*(\frac{1}{26})^2=\frac{1}{26}\approx 0,0385
; dies ist zugleich der minimal mögliche Wert.
Für die Ermittlung eines Schätzwertes für die Schlüssellänge s gehen wir wie folgt vor. Wir nehmen an, die zugrunde liegende Sprache ist Deutsch. Wir berechnen zunächst IC(y)
für den Chiffretext y. Die unbekannte Schlüssellänge nennen wir s. Dann berechnen wir eine Näherung für IC(y)
, auf eine zweite Weise. Dies wird uns eine (Näherungs-)Gleichung für s liefern.
Wir überlegen: Bilde die Teilwörter y^0,...,y^{s-1}
wie in Abschnitt 1.4, jedes mit der Länge \frac{l}{s}
. Innerhalb jedes Teilworts kommen Kollisionen ebenso häufig vor wie in einem gewöhnlichen Text mit nur einem Schlüssel, also erwarten wir zusammen \binom{l/s}{2} IC(y^0)+...+\binom{l/s}{2} IC(y^{s-1})\approx s\binom{l/s}{2}* 0,076 = \frac{1}{2}l(l/s-1)* 0,076
viele ,,Kollisionen'' (Paare identischer Chiffretextbuchstaben) aus den einzelnen Teilwörtern.
Zwischen zwei Teilwörtern y^u
und y^v
erwarten wir (l/s)^2*261\approx 0,0385(l/s)^2
Kollisionen, aus allen \binom{s}{2}
Paaren von Teilwörtern zusammen also \binom{s}{2} 0,0385(l/s)^2 =\frac{s(s-1)}{2}* 0,0385(l/s)^2 =\frac{1}{2} *0,0385 l^2 (1-\frac{1}{s})
viele. Zusammen ist die erwartete Anzahl an Kollisionen in y gleich \frac{1}{2}l(0,076(l/s-1) + 0,0385 l(1-\frac{1}{s}))
.
Diese Zahl sollte näherungsweise gleich \frac{1}{2}l(l-1)IC(y)
sein. Wir können die resultierende Gleichung (l-1)IC(y) = 0,076(l/s-1) + 0,0385 l(1-\frac{1}{s})
nach s auflösen und erhalten: s\approx \frac{(0,076-0,0385)l}{(l-1)IC(y)-0,0385l+0,076}
. (Wenn man anstelle der Konstanten 0,076
den Wert 0,066
einsetzt, erhält man die entsprechende Formel für englischsprachige Texte.)
Eine tatsächliche Durchführung des Verfahrens mit Chiffretexten wie im vorigen Kapitel erfordert viel Geduld (oder den Einsatz eines Computers).
Beim ,,venezianischen'' Chiffretext EYRYC...UYR von oben ergibt sich:
a_i |
A | B | C | D | E | F | G | H | I | J | K | L | M | N | O | P | Q | R | S | T | U | V | W | X | Y | Z |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
n′_i |
8 | 12 | 13 | 2 | 18 | 25 | 7 | 19 | 20 | 14 | 8 | 15 | 16 | 7 | 12 | 8 | 3 | 15 | 25 | 10 | 19 | 41 | 13 | 11 | 19 | 8 |
Dies liefert IC(y)\approx 0,048024
und l=368
. Damit erhalten wir s\approx\frac{0,0375*368}{367 *0,048024-0,0385 *368+0,076}\approx 3,9
.
Das ist nicht zu nahe am tatsächlichen Wert 5, aber auch nicht ungeheuer weit weg. (Die Formel reagiert sehr empfindlich auf kleine Änderungen in IC(y)
. Mit IC(y)=0,05
ergibt sich s\approx 3,24
, mit IC(y)=0,046
ergibt sich s\approx 4,95
.)
Frische symmetrische Verschlüsselung und Blockchiffren
Szenarium 2 (frische symmetrische Verschlüsselung): Alice möchte Bob mehrere verschiedene Klartexte vorher bekannter und begrenzter Länge übermitteln. Sie verwendet dafür immer denselben Schlüssel. Eva hört die Chiffretexte mit und kann sich sogar einige Klartexte mit dem verwendeten Schlüssel verschlüsseln lassen (chosen-plaintext attack, CPA).
Bemerkung: Das informationstheoretisch sichere Vernam-Kryptosystem aus Kapitel 1 ist nutzlos: Aus Kenntnis von x\in\{0,1\}^l
und y=e(x,k)
für ein einziges Paar (x,k)\in X\times K
kann Eva den Schlüssel k=x\oplus_l y
berechnen.
Gleiches gilt für das Cäsar-System und das Vigenère-System.
Mit dem nächsten Begriff erfassen wir folgende Situation: Eva kennt eine ganze Folge von Klartext-Chiffretext-Paaren bezüglich des (ihr unbekannten) Schlüssels k. Dabei kann sie sich die Klartexte sogar selbst herausgesucht haben. Wir wollen ,,possibilistische Sicherheit'' so definieren, dass sie trotzdem bei beliebigem gegebenem weiteren Chiffretext y keinen Klartext ausschließen kann.
Definition 2.1 Ein Kryptosystem S=(X,K,Y,e,d)
ist possibilistisch sicher bzgl. Szenarium 2 ,wenn für jedes 1 \leq r\leq |X|
, jede Folge von paarweise verschiedenen Klartexten x_1,x_2,...,x_r\in X
, jeden Schlüssel k\in K
und jedes y\in Y\backslash\{e(x_i,k)| 1 \leq i < r\}
ein Schlüssel k′\in K
existiert mit e(x_i,k)=e(x_i,k′)
für alle 1\leq i< r
und e(x_r,k′)=y
.
Wenn man die Definition auf r=1
anwendet, ergibt sich, dass S auch possibilistisch sicher im Sinn von Kapitel 1 ist.
Proposition 2.2 Für jede nichtleere Menge X
ist das Substitutionskryptosystem (Def.1.9) auf X possibilistisch sicher. (Erinnerung: K=P_X=\{\pi|\pi\text{ ist Permutation von }X\}
und e(\pi,x)=\pi(x)
.)
Beweis: Seien x_1,x_2,...,x_r\in X
paarweise verschieden, k\in K=P_X
und y\in Y\{e(x_i,k)|1\leq i<r\}
. Aufgrund der Dechiffrierbedingung sind die Geheimtexte e(x_i,k)
für 1\leq i<r
paarweise verschieden. Also gilt |Y\backslash(\{y\}\cup\{e(x_i,k)| 1\leq i<r\})|=|Y|-r=|X|-r=|X\backslash\{x_1 ,...,x_r\}|
, und es existiert eine Bijektion f:X\{x_1,...,x_r\}\rightarrow Y\backslash(\{y\}\cup\{e(x_i,k)| 1\leq i<r\})
.
Definiere nun \pi:X\rightarrow Y
durch \pi(x) =\begin{cases} e(x_i,k)\quad\text{ falls }\exists i\in\{1,...,r-1\}:x=x_i \\ y\quad\text{ falls } x=x_r \\ f(x)\quad\text{ sonst}\end{cases}
.
Dann ist \pi
eine Bijektion und damit eine Permutation von X (da X=Y
).
Proposition 2.3 Sei S=(X,K,Y,e,d)
ein Kryptosystem, das possibilistisch sicher ist bzgl. Szenarium 2. Dann ist \{e(.,k)|k\in K\}
die Menge aller injektiven Abbildungen von X nach Y.
Beweis: Aus der Dechiffrierbedingung folgt sofort, dass alle Abbildungen e(.,k)
injektiv sind.
Sei nun \pi:X\rightarrow Y
eine beliebige injektive Abbildung. Weiter gelte X=\{x_1,...,x_t\}
. Wir konstruieren induktiv Schlüssel k_1,...,k_t
mit \forall i\in\{1,...,r\}:e(x_i,k_r)=\pi(x_i)
.
Das heißt: Schlüssel k_r
realisiert \pi
eingeschränkt auf \{x_1,...,x_r\}
.
Da S auch possibilistisch sicher bzgl. Szenarium 1 ist, existiert der Schlüssel k_1
wie gewünscht. Die Schlüssel k_r
für r=2,...,t
ergeben sich nacheinander, indem man wiederholt Definition 2.1 auf \{x_1,...,x_r\},k_{r-1}
und y=\pi(x_r)
anwendet. Schließlich gilt e(.,k_t)=\pi
.
Im Fall X=Y
folgt, dass nur das Substitutionskryptosystem possibilistisch sicher bzgl. Szenarium 2 ist.
Ein Kryptosystem, das possibilistisch sicher bzgl. Szenarium 2 ist, hat also mindestens |\{\pi |\pi :X\rightarrow Y\text{ ist injektiv}\}|=\frac{|Y|!}{(|Y|-|X|)!} \geq |X|!
Schlüssel. Mit X=\{0,1\}^{128}
(das ist durchaus realistisch!) gibt es also \geq 2^{128}!
viele Schlüssel. Für die Speicherung eines Schlüssels braucht man also durchschnittlich (Es gilt log_2(N!)>N(log_2 N-log_2 e)> N(log_2 N- 1.45)
) log(2^{128}!)> 2^{128}*(128- 1.45)> 2^{134}>(10^3 )^{13.4} > 10^{40}
viele Bits, eine völlig unpraktikable Zahl.
Also können wir in realen Situationen im Szenarium 2 keine possibilistische Sicherheit, geschweige denn informationstheoretische Sicherheit erhalten.
Wir werden uns in diesem Kapitel also darauf verlassen müssen, dass Eva nur beschränkte Rechenressourcen hat, um einen praktikablen Angriff zu starten. Auf der anderen Seite wollen wir jetzt auch annehmen, dass Alice und Bob mit Computerhilfe verschlüsseln und entschlüsseln wollen, d.h. dass wir effiziente Algorithmen für die Ver- und Entschlüsselung benötigen. Damit wird es sinnvoll anzunehmen, dass Klar- und Geheimtexte und Schlüssel Bitvektoren sind.
Definition 2.4 Sei l>0
. Ein l-Block-Kryptosystem ist ein Kryptosystem S=(\{0,1\}^l,K,\{0,1\}^l,e,d)
mit K\subseteq \{0,1\}^s
für ein s>0
.
Beispiele für l-Block-Kryptosysteme sind das Vernam-System der Länge l und Substitutionskryptosystem mit X=\{0,1\}^l
, falls Permutationen als Bitvektoren kodiert sind. Wir sprechen dann vom Substitutionskryptosystem mit Parameter l
.
Eine weitere Klasse von Verfahren wird im nächsten Abschnitt vorgestellt.
Substitutions-Permutations-Kryptosysteme (SPKS)
Substitutions-Permutations-Kryptosysteme bilden eine große Familie von praktisch relevanten Kryptosystemen, zu denen auch die Verfahren des Data Encryption Standard (DES) und des Advanced Encryption Standard (AES) gehören.
Grundsätzlich handelt es sich um $mn$-Block-Kryptosysteme. Dabei werden die Klartexte x=(x_0,...,x_{mn-1})\in\{ 0,1\}^{mn}
als m-Tupel (x^{(0)},x^{(1)},...,x^{(m-1)})
von Bitvektoren der Länge n betrachtet. Dabei gilt x(i)=(x_{in},x_{in+1},...,x_{(i+1)n-1})
, für 0\leq i<m
.
Ein Baustein der Verschlüsselungs- und Entschlüsselungsfunktion bei diesen Systemen sind Bitpermutationen auf Bitstrings der Länge l: Sei β eine Permutation von \{0,...,l-1\}
und x\in\{0,1\}^l
. Dann bezeichnet x^β
den Bitvektor (x_{β(0)},x_{β(1)},...,x_{β(l-1)})
. Kurz: x^β_{(i)}=x_{β(i)}
, für 0\leq i<l
.
Sehr oft werden wir annehmen, dass β selbst invers ist, dass also β^{-1}=β
ist (oder β(β(i))=i
für 0\leq i<l
). Dann erhält man x^β
aus x, indem man x(i)
an die Stelle β(i)
des neuen Vektors schreibt.
Definition 2.5 Ein Substitutions-Permutations-Netzwerk (SPN) ist ein Tupel N=(m,n,r,s,S,\beta,\kappa)
wobei
- die positiven ganzen Zahlen
m,n,r
unds
die Wortanzahlm
, die Wortlängen, die Rundenzahl r und die Schlüssellänge s angeben, S:\{0,1\}^n\rightarrow\{0,1\}^n
eine bijektive Funktion ist (,,Substitution'',die S-Box),β:\{0,...,mn-1\}\rightarrow\{0,...,mn-1\}
eine selbstinverse Permutation (die Bitpermutation) ist und\kappa :\{0,1\}s\times\{0,...,r\}\rightarrow\{0,1\}^{mn}
die Rundenschlüsselfunktion ist.
Das zu N gehörende Substitutions-Permutations-Kryptosystem (SPKS) ist das mn-Block-Kryptosystem B(N)=(\{0,1\}^{mn},\{0,1\}^s,\{0,1\}^{mn},e,d)
, das durch folgende Operationen beschrieben ist:
Chiffrierung: e(x,k)
wird für x\in\{0,1\}^{mn}
und k\in\{0,1\}^s
wie folgt berechnet:
- Initialisierung (,,Weißschritt''): Berechne
u=x\oplus_{mn} \kappa (k,0)
. - Verschlüsselung in Runden: für
i=1,...,r-1
berechnev(j)=S(u(j))
für0\leq j<m
(jedes Wort einzeln durch die S-Box)w=v^β
(Bitpermutation auf dem Gesamtwort der Länge mn)u=w\oplus_{mn} \kappa (k,i)
(XOR mit dem Rundenschlüssel)
- Schlussrunde:
v(j)=S(u(j))
für0\leq j<m
- Ausgabe:
y=v\oplus \kappa (k,r)
(wie gewöhnliche Runde, ohne Bitpermutation)
Dechiffrierung: d(y,k)
wird aus y und k nach demselben Verfahren berechnet, wobei jedoch
- die S-Box (die eine Permutation ist) durch ihre Inverse
S^{-1}
ersetzt wird und - die Rundenschlüsselfunktion
\kappa
ersetzt wird durch die Funktion\kappa′:\{0,1\}^s\times\{0,...,r\}\rightarrow\{0,1\}^{mn}
,(k,i)\rightarrow\begin{cases} \kappa (k,r-i)\quad\text{ für } i\in\{0,r\}\\ \kappa(k,r-i)^{\beta} \quad\text{ für } 0<i<r \end{cases}
Vorteil der Struktur: Man kann dieselbe Hardware für Verschlüsselung und Entschlüsselung benutzen. Bei der Entschlüsselung läuft der Vorgang rückwärts ab, wobei die Runden anders gruppiert sind. Anstelle von S verwendet man S^{-1}
. Da β
selbst invers ist, kann man für die Permutation auch bei der Dekodierung β verwenden. Da Permutation und Schlüsselanwendung in den Runden vertauscht sind, muss man auf die Rundenschlüssel der ,,inneren'' Runden bei der Dekodierung auch noch β anwenden.
Ein typischer Vertreter dieser Art Kryptosystem ist DES (bzw. sind die Chiffren der DES-Familie). Die DES-Version mit Blocklänge 64 und effektiver Schlüsselbreite 56 (das heißt, dass der Schlüsselraum Größe 2^{56}
hat) wurde im Jahr 1977 als Standard für nicht geheime Dokumente in den USA publiziert. ,,Lineare Kryptanalyse'' ist eine Methode, solche Verfahren zu attackieren. Nach Weiterentwicklung der Methode gelang 1999 die Entschlüsselung einer DES-verschlüsselten Nachricht in weniger als einem Tag, mit einem Verbund von 100000 Arbeitsplatzrechnern, die im Wesentlichen alle Schlüssel durchprobierten. Dabei wurden über 240 Milliarden Schlüssel pro Sekunde getestet. Stärkere Varianten wie Triple-DES werden auch heute noch eingesetzt.
Beispiel 2.6 Die Wortanzahl ist m=3
, die Wortlänge n=4
, die Rundenzahl r=3
, die Schlüssellänge s=24=6*n
, und \kappa (k,i)=k^{(i)}k^{(i+1)}k^{(i+2)}
. Die Bitpermutation β vertauscht die Bits (0,4),(1,5),(2,8),(3,9),(6,10)
und (7,11)
und ist damit selbst invers. Die S-Box ist gegeben durch die folgende zweizeilige Tabelle:
| b | 0000 | 0001 | 0010 | 0011 | 0100 | 0101 | 0110 | 0111 | 1000 | 1001 | 1010 | 1011 | 1100 | 1101 | 1110 | 1111 |
| ---- | ---- | ---- | ---- | ---- | ---- | ---- | ---- | ---- | ---- | ---- | ---- | ---- | ---- | ---- | ---- |
| S(b) | 0101 | 0100 | 1101 | 0001 | 0011 | 1100 | 1011 | 1000 | 1010 | 0010 | 0110 | 1111 | 1001 | 1110 | 0000 | 0111 |
Für x= 0000 1111 0000
und k=0000 0001 0010 0011 0100 0101
ergeben sich nacheinander
\kappa (k,0) = 0000 0001 0010
und damitu= 0000 1110 0010
i=1
v=0101 0000 1101
,w=0011 0101 0100
,\kappa (k,1) = 0001 0010 0011
undu=0010 0111 0111
i=2
v=1101 1000 1000
,w=1010 1100 0100
,\kappa (k,2) = 0010 0011 0100
und damitu= 1000 1111 0000
v=1010 0111 0101
,\kappa (k,3) = 0011 0100 0101
und damity=1001 0011 0000
Einschub: Endliche Körper
Zur Vorbereitung der Beschreibung von AES und für die spätere Verwendung in asymmetrischen Systemen diskutieren wir kurz die Konstruktion von endlichen Körpern mit 2^k
Elementen. Dies ist eine Spezialisierung einer allgemeinen Konstruktion, die es erlaubt, aus einem Körper mit q
Elementen einen mit q^k
Elementen zu konstruieren.
Die Struktur \mathbb{Z}_2=(\{0,1\},\oplus,\odot, 0 ,1)
ist ein Körper, wobei \oplus
für die XOR-Operation und für \wedge
(AND) steht. (Körper: Addition, Multiplikation mit den üblichen Gesetzen, d.h. (F,\oplus ,0)
ist kommutative Gruppe, ist assoziativ und hat 1 als neutrales Element, die Distributivgesetze gelten, und Elemente \not=0
haben ein multiplikatives Inverses.) Man beachte, dass in \mathbb{Z}_2
die Subtraktion dasselbe ist wie die Addition: a\oplus a= 0
für a=0,1
.
Zu einem endlichen Körper F
(zentrales Beispiel:$\mathbb{Z}_2$) bildet man den Polynomring F[X]
. Vorstellen sollte man sich diesen als die Menge aller ,,formalen Ausdrücke'' a_n* X^n+...+a_2 *X^2 +a_1 *X+a_0
, für n\geq 0
und a_n,...,a_1,a_0\in F
. Ein solcher Ausdruck wird mit seiner Koeffizientenfolge (...,0,0,a_n,...,a_1,a_0)
(gegebenenfalls künstlich als unendliche Folge geschrieben) identifiziert. Normalerweise lässt man Terme mit Koeffizient 0 weg. Über \mathbb{Z}_2
schreibt man wie üblich oft nur den Bitstring a_n...a_1a_0
ohne Klammern und Kommas.
Beispiel: In \mathbb{Z}_2[X]
liegen die Polynome g=01011=(..., 0 , 1 , 0 , 1 ,1) =X^3 +X+1
und h=0110=(..., 0 , 1 , 1 ,0) =X^2 +X
.
Der Grad eines solchen Polynoms ist n, wenn n maximal mit a_n\not = 0
ist. Falls alle Koeffizienten gleich 0 sind (f ist das ,,Nullpolynom'', man schreibt 0), ist der Grad -\infty
. Man addiert und subtrahiert solche Polynome wie üblich (d.h. komponentenweise) und multipliziert sie wie üblich (aus multiplizieren, Koeffizienten bei der selben X-Potenz aufsammeln). Als geschlossene Formel: Das Produkt von (...,0,0,a_n,...,a_1,a_0)
und (...,0,0,b_m,...,b_1,b_0)
ist (...,0,0,c_{n+m},...,c_1,c_0)
mit c_k=\sum_{0\geq i\geq n; 0\geq j\geq m; i+j=k} a_i*b_j
.
Beispiel: Die Summe von g und h ist g+h=01101=(...,0,1,1,0,1)
, ihr Produkt ist g*h=X^5+X^4+X^3+X=(...,0,0,1,1,1,0,1,0)=111010
.
Mit diesen Operationen erhält F[X]
die Struktur eines Rings: Die Addition ist Gruppe mit neutralem Element 0 (Nullpolynom), die Multiplikation ist assoziativ mit neutralem Element 1=(...,0,0,0,1)
, die Distributivgesetze gelten.
Als Grundmenge des zu konstruierenden Körpers verwenden wir F^k
, die Menge aller k-Tupel über F. Dies entspricht der Menge aller Polynome vom Grad bis zu k-1
. Diese Menge hat genau |F|^k
Elemente. Im Fall F=\mathbb{Z}_2
erhalten wir \{0,1\}^k
, die Menge aller Bitstrings der Länge k.
Als Addition \oplus
benutzen wir die gewöhnliche Addition von Polynomen, also die komponentenweise Addition der Tupel. Bei F=\mathbb{Z}^k_2
ist dies einfach das bitweise XOR. Wir geben die Additionstafel für k=4
an. Die Elemente des Körpers GF(2^4)
werden dabei wir üblich als Hexadezimalziffern geschrieben. Achtung: Man muss die Einträge richtig interpretieren, nämlich als Bitstrings, nicht als Zahlen: 5\oplus C=0101\oplus 1100=1001=9
.
| \oplus
| 0 | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | A | B | C | D | E | F |
| -------- | --- | --- | --- | --- | --- | --- | --- | --- | --- | --- | --- | --- | --- | --- | --- |
| 0 | 0 | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | A | B | C | D | E | F |
| 1 | 1 | 0 | 3 | 2 | 5 | 4 | 7 | 6 | 9 | 8 | B | A | D | C | F | E |
| 2 | 2 | 3 | 0 | 1 | 6 | 7 | 4 | 5 | A | B | 8 | 9 | E | F | C | D |
| ... |
Die Multiplikation \odot
ist etwas komplizierter.
Es wird ein irreduzibles Polynom f=X^k+a_{k-1}* X^{k-1}+...+a_1*X+a_0
vom Grad k (mit ,,Leitkoeffizient'' a_k=1
) benötigt, also ein Koeffiziententupel (1,a_{k-1},...,a_1,a_0)
mit der Eigenschaft, dass man nicht f=f_1*f_2
schreiben kann, für Polynome f_1
und f_2
, die Grad \geq 1
haben. Man kann zeigen, dass es für jedes k\geq 2
stets solche Polynome gibt. Sie können mit randomisierten Algorithmen effizient gefunden werden. Hier einige Beispiele für F=\mathbb{Z}_2
. Wie üblich schreibt man die Koeffizientenfolge als Bitstring. Dieser Bitstring kann dann auch als natürliche Zahl (dezimal geschrieben) interpretiert werden.
k | irreduzibles Polynom vom Grad k über \mathbb{Z}_2 |
Kurzform | Zahl |
---|---|---|---|
1 | X+ 1 |
11 | 3 |
2 | X^2 +X+ 1 |
111 | 7 |
3 | X^3 +X+ 1 |
1011 | 11 |
4 | X^4 +X+ 1 |
10011 | 19 |
5 | X^5 +X^2 + 1 |
100101 | 37 |
6 | X^6 +X+ 1 |
1000011 | 67 |
7 | X^7 +X^3 + 1 |
10001001 | 137 |
8 | X^8 +X^4 +X^3 +X+ 1 |
100011011 | 283 |
Das Polynom X^2+1=(1,0,1)=101
ist nicht irreduzibel, da über \mathbb{Z}_2
die Gleichung (X+1)*(X+1)=X^2+1
gilt.
Die Multiplikation funktioniert nun wie folgt: Wenn g und h gegeben sind, berechnet man das Prddukt g*h
(Grad maximal 2k-2
) und bestimmt den Rest r
von g*h
bei der Division durch f
. Dieser Rest (genannt ,,$g*h mod f$'') ist das eindeutig bestimmte Polynom r vom Grad höchstens k-1
, das g*h=q*f+r
erfüllt, für ein ,,Quotientenpolynom'' q.
Beispiel: Sei k=4
und f=(1,0,0,1,1)=10011
. Die Faktoren seien g=(1,0,1,1)=1011
und h=(0,1,1,0)=110
. Das Produkt ist g*h=(1,1,1,0,1,0)=111010
. Wenn wir hier von f*(X+1)=(1,1,0,1,0,1)=110101
subtrahieren, erhalten wir das Produkt (1,1,1,1)=1111
im Körper.
Man kann durch geduldiges Multiplizieren und Bilden von Resten (also Dividieren von Polynomen) in dieser Weise eine komplette Multiplikationstabelle aufstellen. Geschickter ist Folgendes: Man berechnet alle Produkte g*h mod f
, für die in g und in h jeweils die ersten beiden Bits oder die letzten beiden Bits 0 sind. (Wenn man beobachtet, dass (0,0,0,1)=0001
das neutrale Element ist, und die Kommutativität berücksichtigt, muss man nur 15 Produkte berechnen.) Es ergibt sich die folgende Tabelle.
\odot |
0000 | 0001 | 0010 | 0011 | 0100 | 1000 | 1100 |
---|---|---|---|---|---|---|---|
0000 | 0000 | 0000 | 0000 | 0000 | 0000 | 0000 | 0000 |
0001 | 0000 | 0001 | 0010 | 0011 | 0100 | 1000 | 1100 |
0010 | 0000 | 0010 | 0100 | 0110 | 1000 | 0011 | 1011 |
0011 | 0000 | 0011 | 0110 | 0101 | 1100 | 1011 | 0111 |
0100 | 0000 | 0100 | 1000 | 1100 | 0011 | 0110 | 0101 |
1000 | 0000 | 1000 | 0011 | 1011 | 0110 | 1100 | 1010 |
1100 | 0000 | 1100 | 1011 | 0111 | 0101 | 1010 | 1111 |
Wir notieren weiterhin Bitstrings (a_3,a_2,a_1,a_0)=a_3a_2a_1a_0
hexadezimal. Das Polynom g=(1,0,1,1)=1011
ist also B=1000\oplus 0011=8\oplus 3
, das Polynom h=(0,1,1,0)=0110
ist 6=0100\oplus 0010=4\oplus 2
.
Die Tabelle sieht dann so aus:
\odot |
0 | 1 | 2 | 3 | 4 | 8 | C |
---|---|---|---|---|---|---|---|
0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 |
1 | 0 | 1 | 2 | 3 | 4 | 8 | C |
2 | 0 | 2 | 4 | 6 | 8 | 3 | B |
3 | 0 | 3 | 6 | 5 | C | B | 7 |
4 | 0 | 4 | 8 | C | 3 | 6 | 5 |
8 | 0 | 8 | 3 | B | 6 | C | A |
C | 0 | C | B | 7 | 5 | A | F |
Nun wollen wir beliebige Polynome multiplizieren. Beispiel: Um g=(1,0,1,1)=1011=B
und h=(0,1,1,0)=0110=6
zu multiplizieren, rechnet man unter Benutzung der Tabelle und des Distributivgesetzes wie folgt (Multiplikation modulo f):
B\odot 6=(8\oplus 3)(4\oplus 2)=(8\odot 4)\oplus(8\odot 2)\oplus(3\odot 4)\oplus(3\odot 2)=6\oplus 3\oplus C\oplus 6= 0110\oplus 0011 \oplus 1100 \oplus 0110 = 1111 = F
.
Mit etwas Geduld und unter Ausnutzung des Distributivgesetzes lässt sich auf diese Weise die folgende Multiplikationstabelle für die Elemente von \mathbb{Z}^4_2
finden.
0 | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | A | B | C | D | E | F | |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 |
1 | 0 | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | A | B | C | D | E | F |
2 | 0 | 2 | 4 | 6 | 8 | A | C | E | 3 | 1 | 7 | 5 | B | 9 | F | D |
3 | 0 | 3 | 6 | 5 | C | F | A | 9 | B | 8 | D | E | 7 | 4 | 1 | 2 |
4 | 0 | 4 | 8 | C | 3 | 7 | B | F | 6 | 2 | E | A | 5 | 1 | D | 9 |
5 | 0 | 5 | A | F | 7 | 2 | D | 8 | E | B | 4 | 1 | 9 | C | 3 | 6 |
6 | 0 | 6 | C | A | B | D | 7 | 1 | 5 | 3 | 9 | F | E | 8 | 2 | 4 |
7 | 0 | 7 | E | 9 | F | 8 | 1 | 6 | D | A | 3 | 4 | 2 | 5 | C | B |
8 | 0 | 8 | 3 | B | 6 | E | 5 | D | C | 4 | F | 7 | A | 2 | 9 | 1 |
9 | 0 | 9 | 1 | 8 | 2 | B | 3 | A | 4 | D | 5 | C | 6 | F | 7 | E |
A | 0 | A | 7 | D | E | 4 | 9 | 3 | F | 5 | 8 | 2 | 1 | B | 6 | C |
B | 0 | B | 5 | E | A | 1 | F | 4 | 7 | C | 2 | 9 | D | 6 | 8 | 3 |
C | 0 | C | B | 7 | 5 | 9 | E | 2 | A | 6 | 1 | D | F | 3 | 4 | 8 |
D | 0 | D | 9 | 4 | 1 | C | 8 | 5 | 2 | F | B | 6 | 3 | E | A | 7 |
E | 0 | E | F | 1 | D | 3 | 2 | C | 9 | 7 | 6 | 8 | 4 | A | B | 5 |
F | 0 | F | D | 2 | 9 | 6 | 4 | B | 1 | E | C | 3 | 8 | 7 | 5 | A |
Das neutrale Element der Multiplikation ist das Polynom 1=(0,..., 0 ,1) = 0... 01
. Man beobachtet, dass in jeder Zeile (und ebenso in jeder Spalte) der Tabelle, außer der für das Nullpolynom, alle Elemente genau einmal vorkommen. Dies ist für jeden Körper F und jedes beliebige k so, und es folgt daraus, dass die Elemente der Menge F^k-\{0\}
ein Inverses haben.
Fakt: Wenn man die Multiplikation wie beschrieben definiert, mit einem irreduziblen Polynom f mit Leitkoeffizient a_k=1
, dann gibt es für jedes Polynom g\not=(0,...,0)
vom Grad <k
(genau) ein Polynom h mit g*h\ mod\ f=(0,...,0,1)=1
. Dieses Polynom h ist also g^{-1}
, das multiplikative Inverse von g.
(Beweisidee: Man zeigt, dass die Abbildung h\rightarrow g*h\ mod\ f
in der Menge dieser Polynome injektiv ist. Ist h_1*g\ mod\ f=h_2*g\ mod\ f
, so ist (h_1-h_2)*g\ mod\ f= 0
, also ist (h_1-h_2)*g
durch f teilbar. Nach einem Lemma über irreduzible Polynome (analog zur Situation bei Primzahlen) folgt, dass f Teiler von h_1-h_2
oder Teiler von g sein muss. Weil g
nicht das Nullpolynom ist und Grad <k
hat, kann f kein Teiler von g sein. Also teilt f das Polynom h_1-h_2
. Da auch dieses Grad <k
hat, muss h_1-h_2
das Nullpolynom sein, also h_1=h_2
gelten. Aus der Injektivität von h\rightarrow g*h\ mod\ f
folgt die Surjektivität, also gibt es ein h
mit g*h\ mod\ f=1
.)
Weil die üblichen Rechenregeln in der Struktur (F^k,\oplus,\odot,0,1)
mit den angegebenen Operationen leicht nachzuweisen sind, bedeutet dies, dass wir einen Körper mit |F|^k
Elementen erhalten haben. Wir nennen ihn F[X]/(f)
, für das gewählte irreduzible Polynom f
vom Grad k
. Wenn |F|^k=q
ist, nennen wir diesen Körper GF(q)
. Im Fall F=\mathbb{Z}_2
erhalten wir so Körper GF(2^k)
, deren zugrunde liegende Menge einfach \{0,1\}^k
ist, die Menge der Bitstrings der Länge k.
Bemerkung: In der Algebra zeigt man folgende Fakten über endliche Körper:
- Es gibt einen endlichen Körper
GF(q)
mitq
Elementen genau dann wennq=p^r
für eine Primzahl p und einen Exponentenr\geq 1
. - Es ist gleichgültig, auf welchem Konstruktionsweg man zu einem Körper mit
q
Elementen gelangt: alle diese Körper sind isomorph, also strukturell identisch. (Insbesondere ist der KörperGF(2^k)
immer ,,der gleiche'' , ganz egal welches irreduzible Polynom f man benutzt.) Die Tabellen für die Operationen können eventuell unterschiedlich aussehen, aber nur aufgrund von Umbenennungen von Objekten.
Ab hier schreiben wir +
für die Körperaddition und *
für die Körpermultiplikation.
Bemerkungen zur Zeit- und Platzeffizienz: Allgemein, und für beliebig große k, kann man für ein festes Polynom f den Rest der Division durch f stets als Produkt des Zeilenvektors, der g*h
darstellt, mit einer festen $((2k-1)\times k)$-Matrix M_f
erhalten.
Damit ist die Komplexität der Multiplikation in einem solchen Körper definiert: Es muss das Produkt g*h
berechnet werden (,,Konvolution'' von zwei Bitvektoren) und dann eine Vektor-Matrix-Multiplikation ausgeführt werden. Über dem Körper \mathbb{Z}_2
lässt sich die Vektor-Matrix-Multiplikation mit Hilfe der wortweisen XOR-Operation sehr effizient durchführen. Wenn zusätzlich f
nur wenige Terme hat, hat M_f
nur wenige 1-Einträge und die Matrix-Vektor-Multiplikation läuft auf einer Addition weniger Shifts eines Vektors hinaus. Für die Konvolution ist effiziente Ausführung etwas schwieriger; es gibt aber moderne Prozessoren, die diese Operation für konstante Wortlängen bereitstellen, was diese Operation auch für beliebige Wortlängen beschleunigt.
Wenn die Bitlänge k
kurz und bekannt ist, wird man Tabellen benutzen. (Zum Beispiel benutzt AES einen Körper der Größe 256.) Für die Multiplikation verwendet man auch gerne Potenz- und Logarithmentabellen.
Fakt 2.7 Sei F ein endlicher Körper mit q
Elementen. Dann gibt es in Fein ,,primitives Element'' g, d.h., g erfüllt \{g^i| 0 \geq i < q-1\}=F-\{0\}
. (g ist erzeugendes Element der multiplikativen Gruppe von F.)
Beispiel: Wir hatten oben eine Multiplikationstabelle für GF(2^4)
aufgestellt. Mit ihrer Hilfe findet man leicht die ersten 15 Potenzenvon 2:
Potenztab elle:
i | 0 | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
exp_2(i)=2^i |
1 | 2 | 4 | 8 | 3 | 6 | C | B | 5 | A | 7 | E | F | D | 9 |
Diese Potenzen sind alle verschieden, also ist g=2
primitives Element. Die entsprechende Logarithmentab elle sieht so aus:
x | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | A | B | C | D | E | F |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
log_2(x) |
0 | 1 | 4 | 2 | 8 | 5 | 10 | 3 | 14 | 9 | 7 | 6 | 13 | 11 | 12 |
Achtung: Der Index der Exponential- und der Logarithmenfunktion ist nicht die natürliche Zahl 2, sondern 2, das ist das Element X=0010
von GF(2^4)
.
Allgemein: Wenn g
primitives Element ist, dann betrachtet man die Exponentialfunktion zur Basis g
: exp_g:\mathbb{Z}\in i\rightarrow g^i\in F-\{0\}
.
Diese ist periodisch: Wenn i-j
durch q-1
teilbar ist, dann ist g^i=g^j
. Es genügt also, die Werte g^i
für 0\geq i<q-1
zukennen. Man erstellt eine Tabelle mit diesen q-1
Werten.
Die Umkehrfunktion ist die Logarithmusfunktion log_g
zur Basis g
. Sie ordnet jedem x\in F-\{0\}
den (eindeutig bestimmten) Wert i\in\{0,1,...,q-2\}
mit x=g^i
zu, genannt log_g(x)
. Es gilt log_g(g^i)=i
für i\in\{0,1,...,q-2\}
und g^{log_g(x)}=x
für alle x\in F-\{0\}
. Man erstellt ebenfalls eine Tabelle mit diesen Werten.
Nun kann man leicht multiplizieren.
Aufgabe: Berechne z=x*y
.
Falls x=0
oder y=0
in F
, ist z=0
. Andernfalls schaue in die log-Tabelle, um i=log_g(x)
und j=log_g(y)
zu finden. Berechne k=(i+j)\ mod\ (q-1)
. Das Ergebnis z=g^k
liest man nun in der exp-Tabelle an Stelle k
ab.
Beispiel: In GF(2^4)
seien x=9
und y=C
gegeben. Die $log_2$-Tabelle liefert i=log_2(9)=14
und j=log_2(C)=6
. Wir erhalten k= (14+6)\ mod\ 15 = 5
und z=g^5=6
mit der $exp_2$-Tabelle. Man kontrolliert mit der Multiplikationstabelle für GF(2^4)
, dass dort tatsächlich 9*C=6
gilt.
Aufwand für eine Multiplikation: Drei Zugriffe auf Tabellen, eine modulare Addition!
Der Rechenaufwand für die Erstellung der Tabellen und auch ihr Platzbedarf ist O(q)
und damit akzeptabel, wenn q
nicht zu groß ist. Im Fall von q=256
hat man zwei Tabellen mit je 255
Einträgen und kann damit sehr leicht in konstanter Zeit multiplizieren. Auch Tabellen für q=2\frac{1}{6}=65536
stellen weiter kein Problem dar. Für noch größere q
benötigt man weitere Tricks zum Ermitteln diskreter Logarithmen mit Hilfe von Tabellen der Größe etwa \sqrt{q}
. (Wir werden später darauf zurückkommen.) Sollte q
sehr groß werden (Hunderte oder Tausende von Bits), wird man, wie oben skizziert, Konvolution und Matrix-Vektor-Multiplikation benutzen.
AES: Advanced Encryption Standard
Der ,,Advanced Encryption Standard(AES)'' ist ein symmetrisches Verschlüsselungsverfahren (d.h., beide Kommunikationspartner benutzen denselben Schlüssel). AES wird in vielen Standardverfahren beider Kommunikation im Internet benutzt, zum Beispiel bei Secure Socket Layer (SSL)/Transport Layer Security (TLS) und bei Secure Shell (SSH).
Die AES-Chiffren gehören in die Klasse der Substitutions-Permutations-Kryptosysteme, auch wenn es in Details Abweichungen von der in Abschnitt 2.1 vorgestellten Struktur gibt. Bei der standardisierten Version AES ist die Klartextlänge und Chiffretextlänge stets l= 128
, die Schlüssellänge 128,192
oder 256
Bits. Wir konzentrieren uns auf die Variante mit Klartextlänge 128
, Schlüssellänge 128
. AES umfasst einige Spezialfälle der Rijndael-Familie von Chiffren, mit der Klartexte der Länge 128, 160,192, 224 oder 256 Bits ver- und entschlüsselt werden können.
In AES wird Arithmetik im Körper GF(2^8)
benutzt, dessen Elemente $8$-Bit-Vektoren, also Bytes, entsprechen.
Klartext und alle Zwischenergebnisse beider Ver- und Entschlüsselung sind Strings aus 128 Bits, die als 16 Wörter von 8 Bit Länge aufgefasst werden (1 Wort= 1 Byte= 2 Hexziffern). Die Bytes werden als Elemente von GF(2^8)
aufgefasst, konstruiert aus \mathbb{Z}_2
mit irreduziblem Polynom f(X) =X^8 +X^4 +X^3 +X+ 1 (= (1, 0 , 0 , 0 , 1 , 1 , 0 , 1 ,1) )
.
Die 16 Bytes werden als $4\times 4$-Matrix (mit Einträgen aus GF(2^8)=GF(256)
) aufgefasst. Die Leseanordnung ist dabei spaltenweise von links nach rechts, wobei Spalten von oben nach unten gelesen werden. Ein Bitstring z\in\{0,1\}^{128}
wird also in 16 Bytes z^{(0)},z^{(1)},...,z^{(15)}
mit z=z^{(0)}z^{(1)}...z^{(15)}
aufgeteilt und wie folgt als Matrix A(z)\in(\{0,1\}^8)^{4\times 4}
geschrieben: A(z) =\begin{pmatrix} z^{(0)}& z^{(4)}& z^{(8)}& z^{(12)} \\ z^{(1)}& z^{(5)}& z^{(9)}& z^{(13)} \\ z^{(2)}& z^{(6)}& z^{(10)}& z^{(14)} \\ z^{(3)}& z^{(7)}& z^{(11)}& z^{(15)} \end{pmatrix}
.
Die Einträge einer solchen Matrix sind mit 0\geq i,j\geq 3
indiziert, wie folgt: A=\begin{pmatrix} A_{00}& A_{01}& A_{02}& A_{03}\\ A_{10}& A_{11}& A_{12}& A_{13}\\ A_{20}& A_{21}& A_{22}& A_{23}\\ A_{30}& A_{31}& A_{32}& A_{33}\end{pmatrix}
.
Aus jeder solchen Matrix ergibt sich durch spaltenweises Auslesen wieder ein Bitstring A_{00} A_{10} A_{20} A_{30} A_{01} A_{11} A_{21} A_{31} A_{02} A_{12} A_{22} A_{32} A_{03} A_{13} A_{23} A_{33}
.
Abkürzungen für Zeilen und Spalten einer Matrix A:
- Zeile
i: row_i(A)=(A_{i0},A_{i1},A_{i2} ,A_{i3})
, füri=0,1,2,3
. - Spalte
j:col_j(A)=\begin{pmatrix} A_{0j}\\ A_{1j}\\ A_{2j}\\ A_{3j} \end{pmatrix}
, fürj=0,1,2,3
.
Elementare Operationen auf Matrizen:
- Für Matrizen A und B in
GF(2^8)^{4\times 4}
bedeutetA\oplus B
die komponentenweise Anwendung der Addition im KörperGF(2^8)
. (Diese ist wiederum\oplus_8
, die bitweise XOR-Operation auf Bytes.) - Zyklischer Linksshift von Zeile i um
h=1,2,3
Positionen:rotLeft_1((A_{i0}, A_{i1}, A_{i2}, A_{i3})) =(A_{i1}, A_{i2}, A_{i3}, A_{i0})
usw.- Beispiel:
rotLeft_2((A1,06,4B,EF)) = (4B,EF,A1,06)
. - In AES wird Zeile i um i Positionen nach links rotiert. Die Abbildung ist also folgende:
\begin{pmatrix} A_{00}& A_{01}& A_ {02}& A_{03}\\ A_{10}& A_{11}& A_{12}& A_{13}\\ A_{20}& A_{21}& A_{22}& A_{23}\\ A_{30}& A_{31}& A_{32}& A_{33}\end{pmatrix} \rightarrow \begin{pmatrix} A_{00}& A_{01}& A_{02}& A_{03}\\ A_{11}& A_{12}& A_{13}& A_{10}\\ A_{22}& A_{23}& A_{20}& A_{21}\\ A_{33}& A_{30}& A_{31}& A_{32}\end{pmatrix}
- Diese Zeilenrotation ist eine Bitpermutation. Ihre Inverse besteht offenbar darin, Zeile i um i Positionen nach rechts zu rotieren. (Sie ist also nicht selbst invers)
- Zyklischer Shift von Spalte
j
umh=1,2,3
Positionen nach oben:rotUp_1((A_{0j},A_{1j},A_{2j},A_{3j})^T) = (A_{1j},A_{2j},A_{3j},A_{0j})^T
usw. (Benötigt bei der Rundenschlüsselerzeugung.) - ,,Lineare Spaltendurchmischung''
col_j(A) \rightarrow M*col_j(A)
, für0\geq j\geq 3
, für die feste MatrixM=\begin{pmatrix} 02& 03& 01& 01\\ 01& 02& 03& 01\\ 01& 01& 02& 03\\ 03& 01& 01& 02\end{pmatrix}\in GF(2^8)^{4\times 4}
.
Achtung: Gerechnet wird in GF(2^8)
!
Beispiel: M*\begin{pmatrix} 4F\\ B0\\ 3E\\ A0\end{pmatrix} = \begin{pmatrix} 02*4F\oplus 03*B0\oplus 01*3E\oplus 01*A0\\ ... \end{pmatrix} = \begin{pmatrix} 9E\oplus CB\oplus 3E\oplus A0 \\ ... \end{pmatrix} = \begin{pmatrix} CB\\...\end{pmatrix}
.
In AES werden einmal alle vier Spalten auf diese Weise transformiert. Dies kann man auch zu einer Matrixmultiplikation zusammenfassen: A \rightarrow M*A
.
Diese Operation ,,vermischt'' die Einträge, ist aber keine Bitpermutation mehr, da Bits nicht nur vertauscht werden, sondern mit Körperoperationen verrechnet. Allerdings ist M invertierbar, sodass man die Operation auch wieder rückgängig machen kann, indem man mit M^{-1}=\begin{pmatrix} 0E& 0B& 0D& 09\\ 09& 0E& 0B& 0D\\ 0D& 09& 0E& 0B\\ 0B& 0D& 09& 0E\end{pmatrix}
multipliziert.
- Die S-Box von AES ist eine feste bijektive Abbildung
\{0,1\}^8\rightarrow {0,1}^8
. Der mathematische Hintergrund der S-Box wird weiter unten diskutiert. - Rundenschlüssel: Aus Schlüssel
k\in\{0,1\}^{128}
und Rundennummer r wird Rundenschlüssel\kappa (k,r)\in\{0,1\}^{128}=(\{0,1\}^8)^{4\times 4}
berechnet. Details hierzu folgen.
AES-Chiffrieralgorithmus
- X:128-Bit-Klartext,
- k:128-Bit-Schlüssel)
- Umarrangiert:
X\in GF(2^8)^{4\times 4}
: Klartextmatrix;k\in\{0,1\}^{128}
: Schlüssel.
- Initialschritt (,,Weißschritt''):
U\leftarrow X\oplus \kappa (k,0)
// addiere Rundenschlüssel für Runder=0
, als 128-Bit-String.
- Für
r=1,...,9
tue- Substitution: Anwendung der S-Box auf jedes Byte in U
V_{ij}\leftarrow S(U_{ij})
, für0\geq i,j\geq 3
;
- Zeilenrotation: i-te Zeile um i Positionen nach links
row_i(W)\leftarrow rotLeft_i(row_i(V))
, für0\geq i\geq 3
;
- Lineare Spalten durchmischung: M wie oben beschrieben
Z\leftarrow M*W
, für0\geq i\geq 3
;
- Schlüsseladdition: Rundenschlüssel für Runde r
U\leftarrow Z\oplus \kappa (k,r)
// komponentenweise Addition
- Substitution: Anwendung der S-Box auf jedes Byte in U
- Verkürzte Schlussrunde,
r=10
, keine Spaltendurchmischung:- Substitution
V_{ij}\leftarrow S(U_{ij})
, für0\geq i,j\geq 3
;
- Zeilenrotation
row_i(Z)\leftarrow rotLeft_i(row_i(V))
, für0\geq i\geq 3
;
- Schlüsseladdition
Y\leftarrow Z\oplus \kappa (k,10)
- Substitution
- Ausgabe:
Y\in GF(2^8)^{4\times 4}
, geschrieben als 128-Bit-Wort.
Abbildung 3: Die S-Box für AES. S(z_1 z_0)
für Hexziffern z_1,z_0
steht in Zeile z_1
, Spalte z_0
. Beispiel: S(A4)=49
.
0 | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | A | B | C | D | E | F | |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
0 | 63 | 7C | 77 | 7B | F2 | 6B | 6F | C5 | 30 | 01 | 67 | 2B | FE | D7 | AB | 76 |
1 | CA | 82 | C9 | 7D | FA | 59 | 47 | F0 | AD | D4 | A2 | AF | 9C | A4 | 72 | C0 |
2 | B7 | FD | 93 | 26 | 36 | 3F | F7 | CC | 34 | A5 | E5 | F1 | 71 | D8 | 31 | 15 |
3 | 04 | C7 | 23 | C3 | 18 | 96 | 05 | 9A | 07 | 12 | 80 | E2 | EB | 27 | B2 | 75 |
4 | 09 | 83 | 2C | 1A | 1B | 6E | 5A | A0 | 52 | 3B | D6 | B3 | 29 | E3 | 2F | 84 |
5 | 53 | D1 | 00 | ED | 20 | FC | B1 | 5B | 6A | CB | BE | 39 | 4A | 4C | 58 | CF |
6 | D0 | EF | AA | FB | 43 | 4D | 33 | 85 | 45 | F9 | 02 | 7F | 50 | 3C | 9F | A8 |
7 | 51 | A3 | 40 | 8F | 92 | 9D | 38 | F5 | BC | B6 | DA | 21 | 10 | FF | F3 | D2 |
8 | CD | 0C | 13 | EC | 5F | 97 | 44 | 17 | C4 | A7 | 7E | 3D | 64 | 5D | 19 | 73 |
9 | 60 | 81 | 4F | DC | 22 | 2A | 90 | 88 | 46 | EE | B8 | 14 | DE | 5E | 0B | DB |
A | E0 | 32 | 3A | 0A | 49 | 06 | 24 | 5C | C2 | D3 | AC | 62 | 91 | 95 | E4 | 79 |
B | E7 | C8 | 37 | 6D | 8D | D5 | 4E | A9 | 6C | 56 | F4 | EA | 65 | 7A | AE | 08 |
C | BA | 78 | 25 | 2E | 1C | A6 | B4 | C6 | E8 | DD | 74 | 1F | 4B | BD | 8B | 8A |
D | 70 | 3E | B5 | 66 | 48 | 03 | F6 | 0E | 61 | 35 | 57 | B9 | 86 | C1 | 1D | 9E |
E | E1 | F8 | 98 | 11 | 69 | D9 | 8E | 94 | 9B | 1E | 87 | E9 | CE | 55 | 28 | DF |
F | 8C | A1 | 89 | 0D | BF | E6 | 42 | 68 | 41 | 99 | 2D | 0F | B0 | 54 | BB | 16 |
Die S-Box von AES:
Die S-Box ist als $16\times 16$-Tabelle gegeben, siehe Abb.3. Zur kompakten Darstellung wird ein Element (a_7,a_6,a_5,a_4,a_3,a_2,a_1,a_0)
von GF(2^8)
in zwei Hexziffern zerlegt: (a_7,a_6,a_5,a_4)
ist der Zeilenindex, (a_3,a_2,a_1,a_0)
der Spaltenindex der Position von S((a_7,a_6,a_5,a_4,a_3,a_2,a_1,a_0))
.
Interessanterweise steckt hinter dieser chaotisch aussehenden Tabelle eine einfache Formel, die eine ,,nichtlineare'' Komponente in AES einbringt. Zu x\in GF(2^8)
betrachtet man x^{-1}
, das multiplikative Inverse. Künstlich definiert man 00^{-1}:= 00
(nur hier und nur für diesen Zweck). Weiter ist h eine invertierbare lineare Funktion auf dem $\mathbb{Z}_2$-Vektorraum \{0,1\}^8
. Dazu werden die Elemente von GF(2^8)
als Spaltenvektoren aufgefasst, die 8 Bits enthalten.
$h((a_7,...,a_0))^T= \begin{pmatrix} 1& 1& 1& 1& 1& 0& 0& 0\\ 0& 1& 1& 1& 1& 1& 0& 0\\ 0& 0& 1& 1& 1& 1& 1& 0\\ 0& 0& 0& 1& 1& 1& 1& 1\\ 1& 0& 0& 0& 1& 1& 1& 1\\ 1& 1& 0& 0& 0& 1& 1& 1\\ 1& 1& 1& 0& 0& 0& 1& 1\\ 1& 1& 1& 1& 0& 0& 0& 1\end{pmatrix} * \begin{pmatrix} a_7\\ a_6\\a_5\\a_4\\a_3\\a_2\\a_1\\a_0\end{pmatrix}
Dann ist die S-Box wie folgt definiert: S(x)=h(x^{-1})\oplus_8 63
.
Auch hinter der Matrix M, die im Teil ,,Lineare Spaltendurchmischung'' benutzt wird, steckt eine relativ einfache lineare Operation über einer passenden algebraischen Struktur.
Wir nehmen den endlichen Körper \mathbb{F}_{2^8}=GF(2^8)
als Ausgangssituation und betrachten Polynome b_0+b_1X+b_2X^2+b_3X^3
vom Grad maximal 3 über diesem Körper. Diese bilden die Grundmenge des Rings \mathbb{F}_{2^8} [X]/(X^4+1)
: Addition wie gewöhnlich, Multiplikation modulo X^4+1
. Ein solches Polynom wird durch den Spaltenvektor (b_0,b_1,b_2,b_3)^T\in (F_{2^8})^4
beschrieben. Wir multiplizieren dieses Polynom über F_{2^8} [X]/(X^4+1)
mit dem festen Polynom c(X)=02+01*X+01*X^2+03*X^3
. (Da die Koeffizienten Elemente von F_{2^8}
sind, werden sie durch zwei Hexziffern dargestellt.) Der Koeffizientenvektor (c_0,c_1,c_2,c_3)^T
des Produktpolynoms bildet die transformierte Spalte. Man kann nachrechnen, dass sie sich als M*(b_0,b_1,b_2,b_3)^T
ergibt.
Die Rundenschlüssel werden mit einem iterativen Verfahren berechnet. Dabei wird zunächst Spalte 3 intensiv manipuliert und auf Spalte 0 addiert.
AES-Rundenschlüsselberechnung
K_0 =\kappa (k,0)\leftarrow k
//128-Bit-Schlüssel als $4\times 4$-Matrix
Für r= 1,..., 10
führe Runde r aus.
- Input: Rundenschlüssel
K_{r-1}
als $4\times 4$-Matrix - Output: Rundenschlüssel
K_r
als $4\times 4$-Matrix - Berechnung von Spalte 0:
- Rotation (analog zur Zeilenrotation):
U\leftarrow rotUp_1(col_3(K_{r-1}))
//Spalte 3 zyklisch eine Position nach oben - Substitution:
V_i\leftarrow S(U_i)
, für0\geq i\geq 3
; - Konstantenaddition:
V_0\leftarrow V_0+02^{r-1}
; //Potenz inGF(2^8)
; - Addition auf Spalte 0:
col_0(K_r)\leftarrow col_0(K_{r-1})+V
; //Vektoraddition;
- Rotation (analog zur Zeilenrotation):
- Berechnung von Spalten 1 bis 3:
- Iterative Addition: für
i=1,2,3: col_i(K_r)\leftarrow col_i(K_{r-1})+col_{i-1}(K_r)
; //Vektoraddition;
- Iterative Addition: für
- Ergebnis:
K_r=\kappa (k,r)
fürr=0,1,...10
.
Entschlüsselung:
Man geht nach dem schon diskutierten grundsätzlichen Ansatz bei Substitutions-Permutations-Kryptosystemen vor. Erst werden alle Rundenschlüssel berechnet. Diese werden in umgekehrter Reihenfolge benutzt. Für die Substitution wird stets die inverse S-Box S^{-1}
benutzt. Rotationen werden in umgekehrter Richtung ausgeführt. Die ,,lineare Spaltendurchmischung'' wird mit der zu M
inversen Matrix M^{-1}
ausgeführt. Ansonsten ist der Ablauf völlig analog der Verschlüsselung.
Aktuelle Lage: Bisher gilt AES als praktisch sicher (insbesondere die 192-Bit- und die 256-Bit-Variante), wenn auch nicht in dem im Folgenden zu besprechenden technischen Sinn. Es wurden einige Angriffe vorgeschlagen, die zu schnellerem ,,Brechen'' führen als dem vollständigen Durchsuchen des Schlüsselraums (nur noch 299 Schlüssel müssen getestet werden... ), aber dies führt nicht zu praktisch durchführbaren Verfahren.
Bemerkungen zu randomisierten Algorithmen
Wir benötigen ein Algorithmenmodell, um die Angreifer in Eva zu modellieren. Offensichtlich wird sie alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, insbesondere auch Zufallsexperimente (wenn es ihr nützt). Also müssen unsere Algorithmen auch Zufallsexperimente ausführen können. Grundsätzlich werden wir klassische Turingmaschinen bzw. üblichen Pseudocode (für gewöhnliche Computer) verwenden und ihre Laufzeit messen, allerdings mit einigen Änderungen/Erweiterungen/Einschränkungen, wie im Weiteren erläutert wird.
Ressourcenverbrauch
Da wir nicht erwarten können, dass reale Kryptosysteme in einem idealen Sinn wie der informationstheoretischen Sicherheit sicher sind, wollen wir Sicherheit gegenüber einer Angreiferin Eva studieren, die nur beschränkte Ressourcen hat. Welche Ressourcen kommen in Frage? Sicherlich Zeit verbrauch bzw. Anzahl der Rechenoperationen, aber auch andere.
Vorüberlegung: Ein ,,zeiteffizienter'' Angriff (mit Klartextwahl, ,,chosen-plaintext attack'', CPA)
Sei B=(\{0,1\}^l,\{0,1\}^s,\{0,1\}^l,e,d)
ein Block-Kryptosystem und seien x_i,y_i\in\{0,1\}^l
für 1\geq i\geq t
paarweise verschiedene Klar- bzw. Chiffretexte. Ein Schlüssel k\in\{0,1\}^s
ist konsistent mit den Paaren (x_i,y_i)
, wenn e(x_i,k)=y_i
für alle 1\geq i\geq t
gilt. Für realistische (d.h. praktisch relevante) SPKS gibt es im Fall t\approx 5
höchstens einen konsistenten Schlüssel. (Man denke an AES. t=5
bedeutet, dass 5*128
Bit Information über k
vorliegen, eventuell redundant, aber k
ist nur 128
Bit lang.)
Wir können also für Eva in Szenario 2 den folgenden Angriff nach dem CPA-Muster planen:
- Lasse fünf Klartexte
x_1,...,x_5
zuy_1,...,y_5
verschlüsseln. - ,,Schaue nach'', welcher Schlüssel
k
mit den Paaren(x_1,y_1),...,(x_5,y_5)
konsistent ist (wenigstens einer ist es und es gibt höchstens einen). - Höre Chiffretext
y
ab und berechnex=d(y,k)
ausy
.
Um in Schritt 2. ,,nachsehen'' zu können, benötigt Eva eine Tabelle mit allen möglichen Chiffretextkombinationen für die fünf Klartexte x_1,...,x_5
. Dafür gibt es \geq |K|= 2^s
Möglichkeiten, nämlich für jeden Schlüssel eine. Die Hashtabelle oder der Suchbaum (oder die entsprechende Struktur in einem Turingmaschinen-Programm) hat Größe 2^s
. Wenn der Programmtext oder die Turingmaschine binäre Suche (oder einen binären Suchbaum) benutzt, dann führt dieser ,,Angriff '' in Zeit O(log(|K|)) =O(log(2^s)) =O(s)
zum Klartext x
.
Dieses Vorgehen ist natürlich unrealistisch, denn niemand kann ein so großes Programm schreiben oder speichern, wenn etwa (wie bei AES) die Zahl der Schlüssel 2^{128}>10^{38}
beträgt. Um diesen Trick auszuschließen, werden wir den Ressourcenverbrauch eines Algorithmus als Summe von Laufzeit und Länge des Programmcodes (=Größe der Transitionstabelle der Turingmaschine) messen. Die Programmgröße ist eine untere Schranke für die Zeit, die Eva zur Erstellung ihres Programms benötigt. Unser Ressourcenmaß erfasst also die Zeit für die Erstellung und die Zeit für die Ausführung des Algorithmus.
Unsere Algorithmen werden oft mit Kryptosystemen einer festen Blocklänge l
und einer fixen Anzahl von Klartext-/Chiffretext-Paaren arbeiten. Damit sind nur endlich viele Eingaben möglich, der Ressourcenverbrauch kann also nicht asymptotisch (,,bei großen Eingaben'') angegeben werden. Daher betrachten wir zunächst Algorithmen mit konstanter Laufzeit. Das führt dazu, dass alle eventuell vorhandenen Schleifen nur konstant oft durchlaufen werden. Damit können wir aber auf Schleifenanweisungen vollständig verzichten. Die resultierenden Programme heißen ,,Straight-Line-Programme''. Man kann sie sich in Pseudocode geschrieben vorstellen (ohne ,,while'' und ,,for'' und ohne Rückwärtssprünge), oder als Turingmaschinenprogramme mit der Eigenschaft, dass nie eine Programmzeile zweimal ausgeführt wird.
Randomisierung bei Straight-Line-Programmen
In unseren Algorithmen wollen wir zusätzlich die Anweisung ,,$y\leftarrow flip(M)$'' erlauben, wobei M
eine endliche Menge ist. Die Idee dabei ist, dass der Variable y
ein zufälliges Element von M
(bzgl. der Gleichverteilung auf M
) zugewiesen wird. Damit berechnen unsere Algorithmen keine Funktionen, sondern zufällige Werte, die durch eine Wahrscheinlichkeitsverteilung gesteuert werden.
Um den Wahrscheinlichkeitsraum definieren zu können, machen wir die folgenden Annahmen (die keine Einschränkung darstellen):
- Bei nacheinander ausgeführten Kommandos der Form
y\leftarrow flip(M)
, mit identischem oder unterschiedlichemM
, werden immer neue, unabhängige Zufallsexperimente ausgeführt. - Wie eben diskutiert, enthalten unsere Algorithmen keine Schleifen. Wir können daher jedes Ergebnis eines Zufallsexperiments in einer eigenen Variable speichern. Zusätzlich können wir die flip-Kommandos aus dem gesamten Programm, auch den bedingten Anweisungen, herausziehen und sie alle (vorab, auf Vorrat) ausführen. Damit können wir annehmen: Wenn die Anweisung
y\leftarrow flip(M)
im Programmtext vorkommt, dann wird sie in jedem Durchlauf des Algorithmus (unabhängig von der Eingabe und den Ergebnissen der flip-Anweisungen) genau einmal ausgeführt.
Abkürzung: flip(l)
für flip(\{0,1\}^l)
(l-facher Münzwurf) und flip()
für flip(1)
, also flip(\{0,1\})
(einfacher Münzwurf).
Sei nun A ein randomisierter Algorithmus (also ein Straight-Line-Programm), indem die $flip$-Anweisungen y_i\leftarrow flip(M_i)
für 1\geq i\geq r
vorkommen. Dann verwenden wir als zugrundeliegenden Wahrscheinlichkeitsraum die Menge M=M_1\times M_2\times...\times M_r
mit der Gleichverteilung. Dies modelliert die Idee, dass die r
Zufallsexperimente jeweils mit der uniformen Verteilung und insgesamt unabhängig voneinander ausgeführt werden.
I
sei die Menge der Eingaben, Z
sei die Menge der Ausgaben.
Ist x\in I
eine Eingabe, so erhalten wir für jedes m=(m_1,...,m_r)\in M
genau eine Ausgabe A^m(x)\in\mathbb{Z}
, indem wir in A
die Anweisung y_i\leftarrow flip(M_i)
durch y_i\leftarrow m_i
ersetzen. Auf diese Weise erhalten wir
- Für jedes
m\in M
eine FunktionA^m:I\rightarrow Z,x \rightarrow A^m(x)
, und - für jedes
x\in I
eine ZufallsgrößeA(x):M\rightarrow Z,m\rightarrow A^m(x)
.
Beispiel 2.8 Betrachte den folgenden Algorithmus:
A(x:\{0,1\}^4):\{0,1\}
// nach dem Doppelpunkt: Typ der Eingabe bzw. Ausgabeb_0 \leftarrow flip()
b_1 \leftarrow flip()
b_2 \leftarrow flip()
b_3 \leftarrow flip()
if b_0 = 1 \text{ then return } x(0)
if b_1 = 1 \text{ then return } x(1)
if b_2 = 1 \text{ then return } x(2)
if b_3 = 1 \text{ then return } x(3)
- return 1
Dann ist M=\{0,1\}^4
, und es gilt: A^{0110}(1101)=1
und A^{0010}(1101)=0
. Kompakt: Wenn b_0 b_1 b_2 b_3
mit i
Nullen und einer 1
(an Position i
) beginnt, dann ist die Ausgabe x(i)
, für i=0,1,2,3
. Ist b_0 b_1 b_2 b_3=0000
, so ist die Ausgabe 1. Also gilt: Pr(A(1101)=0) = Pr(\{w\in\{0,1\}^4 |w_0=w_1=0, w_2=1\}) =(\frac{1}{2})^3 =\frac{1}{8}
und Pr(b_1=1) =Pr(\{w\in\{0,1\}^4 |w(1)=1\})=\frac{1}{2}
Damit erhalten wir auch sinnvolle kombinierte und bedingte Wahrscheinlichkeiten: Pr(A(1101)=0, b_0=0)= Pr(\{w\in\{0,1\}^4 |w_0=w_1=0, w_2=1\}) =\frac{1}{8}
und Pr(A(1101)=0| b_0=0) =\frac{Pr(A(1101)=0, b_0=0)}{Pr(b_0=0)}=\frac{1}{4}
Wir können auch den Algorithmus A
so ändern, dass eine Anweisung y_i\leftarrow flip(M_i)
durch y_i\leftarrow m^{(0)}_i
ersetzt wird. (Diesen Algorithmus bezeichnen wir dann mit A(y_i=m^{(0)}_i)
.) Es gilt dann für alle Eingaben x
und Ausgaben z
: Pr(A(x)=z| y_i=m^{(0)}_i) =Pr(A(y_i=m^{(0)}_i)(x) =z)
. Die verallgemeinerte Notation A(y_1=m^{(0)}_1,...,y_s=m^{(0)}_s)
erklärt sich von selbst.
Prozeduren als Parameter
Wir werden Algorithmen A
betrachten, die als Eingabe eine Prozedur B
(z.B. die Verschlüsselungsfunktion einer Blockchiffre mit fest eingesetzem Schlüssel) erhalten. Diese Prozedur darf nur aufgerufen werden, sie wird nicht als Text in den Rumpf von A
eingefügt. Sie könnte aber wiederum zufallsgesteuert sein. Um den Wahrscheinlichkeitsraum von A
mit einem solchen Funktionsparameter zu bestimmen, müssen folgende Informationen gegeben sein:
B
,- die Anzahl der Aufrufe von
B
inA
, - welche Aufrufe
y\leftarrow flip(M)
inB
vorkommen.
Wir behandeln dann die Variablen y
in verschiedenen Aufrufen von B
genau wie die aus einem gewöhnlichen randomisierten Programm (Umbenennen der Variablen, Herausziehen der Zufallsexperimente an den Anfang). In dem resultierenden Wahrscheinlichkeitsraum sind dann die Zufallsexperimente in den verschiedenen Aufrufen von B
und die in Teilen von A
außerhalb von B
unabhängig.
Sicherheit von Block-Kryptosystemen
Wir betrachten hier l-Block-Kryptosysteme B=(X,K,Y,e,d)
mit X=Y=\{0,1\}^l
und K\subseteq\{0,1\}^s
für ein s
. e
ist die Verschlüsselungsfunktion und d
die Entschlüsselungsfunktion. Wir erinnern uns:
- Im Szenario 2 (chosen-plaintext attack,CPA) kann die Angreiferin Eva sich eine ,,geringe Zahl'' von Klartexten verschlüsseln lassen, also hat sie eine Liste von Klartext-Chiffretext-Paaren:
(x_1,y_1),...,(x_r,y_r)
. Nun kann jedenfalls nur ein ,,neuer'' Klartextx
, also einx\in X\{x_1,...,x_r\}
, geheim übertragen werden. Die possibilistische Sicherheit verlangt genau, dass dies möglich ist: Wenny\in Y\{y_1,...,y_r\}
ein neuer gegebener Chiffretext ist, dann gibt es für jeden Klartextx\in X\{x_1,...,x_r\}
einen Schlüsselk
, derx_i
zuy_i
chiffriert,1 \geq i\geq r
, undx
zuy
chiffriert. - Wenn dabei
r
beliebig groß sein darf, können nach Prop.2.3 nur Substitutionskryptosysteme in diesem Sinne sicher sein. Da sie|X|!
Schlüssel haben müssen und daher immense Schlüssellänge (mindestens|X|log|X|-O(|X|)
Bits) erfordern, kommen sie in der Praxis nicht in Frage.
Idee eines neuen Sicherheitsbegriffs (für Block-Kryptosysteme): Gegeben sei eine Angreiferin Eva mit beschränkten Berechnungsressourcen. Wir fragen, wie sehr aus Evas Sicht das $l$-Block-Kryptosystem B=(\{0,1\}^l,K,\{0,1\}^l,e,d)
dem Substitutionskryptosystem S′=(\{0,1\}^l,P\{0,1\}^l,\{0,1\}^l,e′,d′)
(siehe Def.1.9) ähnelt. Ist es ihr mit ,,signifikanter Erfolgswahrscheinlichkeit'' möglich, aufgrund der ihr vorliegenden Information und im Rahmen ihrer Ressourcen, zu unterscheiden, welches der beiden Systeme verwendet wird? Wenn dies nicht der Fall ist, kann das Kryptosystem B
als sicher gelten, wie die folgende Überlegung zeigt.
Wenn Eva aufgrund der ihr vorliegenden Information (2.4) nicht mit nennenswerter Erfolgswahrscheinlichkeit unterscheiden kann, ob sie es mit der Chiffre e(.,k)
(für ein zufälliges k\in K
) oder mit e′(.,\pi)
(für ein zufälliges \pi\in P_{\{0,1\}^l}
) zu tun hat, dann hat sie aus der ihr vorliegenden Information keine nennenswerte Information über die konkrete Chiffree (.,k)
gelernt. Insbesondere kann sich ihre Information über die Klartextverteilung nicht (wesentlich) ändern, wenn ihr ein neuer Chiffretext y
vorgelegt wird, da bei S′=(\{0,1\}^l,P\{0,1\}^l,\{0,1\}^l,e′,d′)
keine solche Änderung eintritt.
Wir modellieren Verfahren, die eine Chiffre benutzen dürfen und dann ,,raten'' sollen, ob es eine Chiffre zu einem BKS B
oder eine Zufallspermutation ist, als randomisierte Algorithmen.
Definition 2.9 Ein l-Unterscheider ist ein randomisierter Algorithmus U(F:\{0,1\}^l\rightarrow\{0,1\}^l):\{0,1\}
, dessen Laufzeit bzw. Ressourcenaufwand durch eine Konstante beschränkt ist.
Das Argument des l-Unterscheiders ist also eine Chiffre F
. Diese ist als ,,Orakel'' gegeben, das heißt als Prozedur, die nur ausgewertet werden kann, deren Programmtext U
aber nicht kennt. Das Programm U
kann F
endlich oft aufrufen, um sich Paare wie in (2.4) zu besorgen. Danach kann U
noch weiter rechnen, um zu einer Entscheidung zu kommen. Das von U
gelieferte Ergebnis ist ein Bit.
Am liebsten hätte man folgendes Verhalten, für ein gegebenes Block-Kryptosystem B
: Programm U
sollte 1 liefern, wenn F
eine Chiffre e(.,k)
zu B
ist, und 0
, wenn F=\pi
für eine Permutation \pi\in P\{0,1\}^l
ist, die keine $B$-Chiffre ist. Das gewünschte Verhalten wird sich bei U
natürlich niemals mit absoluter Sicherheit, sondern nur mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit einstellen, je nach Situation.
Beispiel 2.10 Als Beispiel betrachten wir das Vernam-Kryptosystem B=B_{Vernam}
, siehe Beispiel 1.6. Wir definieren einen l-Unterscheider U=U_{Vernam}
, der als Parameter eine Funktion F:\{0,1\}^l\rightarrow\{0,1\}^l
erhält und Folgendes tut:
k\leftarrow F(0^l)
y\leftarrow F(1^l)
- falls
1^l\oplus_l k=y
, dann gib1
aus, sonst0
.
Dieser Unterscheider benutzt keine Zufallsexperimente, obwohl es ihm erlaubt wäre. Man sieht leicht Folgendes: Wenn F(.) =e(.,k)
für die Vernam-Chiffre mit beliebigem Schlüssel k
, liefert U_{Vernam}
immer das Ergebnis 1. Wenn hingegen F
eine zufällige Permutation \pi
von \{0,1\}^l
ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass F(1^l)=1^l\oplus_l F(0^l)
gilt, genau \frac{1}{2^{l-1}}
, also wird die Ausgabe 1
nur mit sehr kleiner Wahrscheinlichkeit ausgegeben (wenn l
nicht ganz klein ist).
Wir definieren nun ein Spiel (,,game''), mit dem ein beliebiges Block-Kryptosystem B
und ein beliebiger Unterscheider U
darauf getestet werden, ob B
gegenüber U
,,anfällig'' ist oder nicht. (Das Spiel ist ein Gedankenexperiment, es ist nicht algorithmisch.) Die Idee ist folgende: Man entscheidet mit einem Münzwurf (Zufallsbit b), ob U
für seine Untersuchungen als F(.)
eine zufällige Chiffre e(.,k)
von B
(,,Realwelt'') oder eine zufällige Permutation \pi
von \{0,1\}^l
(,,Idealwelt'') erhalten soll. Dann rechnet U
mit F
als Orakel und gibt dann seine Meinung ab, ob er sich in der Realwelt oder in der Idealwelt befindet. U ,,gewinnt'', wenn diese Meinung zutrifft.
Definition 2.11 Sei B=(\{0,1\}^l,K,\{0,1\}^l,e,d)
ein l-Block-Kryptosystem, und sei U
ein Unterscheider. Das zugehörige Experiment (oder Spiel) ist der folgende Algorithmus:
GBU():\{0,1\}
// kein Argument, Ausgabe ist ein Bit
- $b\leftarrow flip({0,1})$
- if
b=1
(,,Realwelt'') thenk\leftarrow flip(K);F\leftarrow e(.,k)
// Zufallschiffre von B - ifb=0
(,,Idealwelt'') thenF\leftarrow flip(P\{0,1\}^l)
// Zufallspermutation b′\leftarrow U(F)
// Der l-Unterscheider versucht herauszubekommen, obb=0
oderb=1
gilt.- if
b=b′
then return 1 else return 0. // 1 heißt, dassU
das richtige Ergebnis hat.
Das verkürzte Experiment/Spiel S^B_U
(,,short'') gibt im 3.Schritt einfach b′
aus.
Der Wahrscheinlichkeitsraum für die Analyse des Spiels wird über die Zufallsexperimente zur Wahl von b, von k, der Zufallspermutation \pi
aus P_{\{0,1\}^l}
und die Zufallsexperimente in U
gebildet. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Unterscheider richtig liegt, ist Pr(G^B_U=1)
, gemessen in diesem etwas verschachtelten Wahrscheinlichkeitsraum.
Wir erläutern intuitiv, wieso diese Definition eine sehr allgemeine Situation erfasst. Angenommen, Angreiferin Eva kann auf irgendeine algorithmische Weise mit einer gewissen positiven Wahrscheinlichkeit eine ,,nicht triviale Information'' über die Klartexte gewinnen, wenn diese mittels einer zufälligen Chiffre des l-Block-Kryptosystems B
verschlüsselt worden sind. Damit kann sie einen Unterscheider mit nichttrivialer Erfolgswahrscheinlichkeit bauen! Sie ruft die Verschlüsselungsfunktion F
auf, um einige selbstgewählte Klartexte x_1,...,x_q
zu F(x_1)=y_1,...,F(x_q)=y_q
zu verschlüsseln. Dann berechnet sie aus y_1,...,y_q
ihre ,,nichttriviale Information'' I_1,...,I_q
zu den entsprechenden Klartexten und prüft, ob I_r
auf x_r
zutrifft, für r=1,...,q
. Gibt es eine gute Übereinstimmung, so geht sie davon aus, dass F
aus der ,,Realwelt'' stammt, also eine Chiffre von B
ist. Ansonsten vermutet sie, dass F
aus der ,,Idealwelt'' stammt, also eine zufällige Permutation ist.
Beispiel 2.12 Für einen l-Bit-String z
sei p(z)=\oplus_{1 \geq i\geq l} z_i
seine Parität. Nehmen wir an, das Chiffrierverfahren von N
ist unvorsichtig geplant und zwar so, dass p(e(x,k)) =p(x)
ist für beliebige x\in X
und k\in K
. Bei der Chiffrierung ändert sich also die Parität nicht. (Die Parität ist sicher ,,nichttriviale Information'', auch wenn sie vielleicht nicht unmittelbar nützlich ist.)
U_{Parität}(F)
:
- Wähle Klartexte
x_1,...,x_q
mitp(x_1)=...=p(x_q) = 0
. y_r\leftarrow F(x_r)
, fürr=1,...,q
.- falls
p(y_1)=...=p(y_q)=0
, dann gib 1 aus, sonst 0.
Wenn wir in der ,,Realwelt'' sind (b=1)
, also F
eine Chiffre e(.,k)
ist, dann ist die Antwort von U
immer ,,1'', also korrekt. Wenn wir in der ,,Idealwelt'' sind (b=0)
, also F
eine zufällige Permutation ist, dann ist die Antwort nur mit Wahrscheinlichkeit \frac{2^{l-1} (2^{l-1} -1)(2^{l-1}-2)...(2^{l-1} -q+ 1)}{2^l (2^l-1)(2^l-2)...(2^l-q+ 1)} \geq \frac{1}{2^q}
falsch. (Alle Werte F(x_1),...,F(x_q)
müssen zufällig zu Chiffretexten geführt haben, die Parität 0 haben, von denen es 2^{l-1}
viele gibt.) Es ergibt sich Pr(G^B_U= 1)\geq\frac{1}{2} (1+1-2^{-q}) =1-2^{-(q+1)}
. Mit der effizienten Berechenbarkeit der ,,nichttrivialen Information'' hat man also einen Unterscheider gefunden, der Pr(G^B_U=1)
,, groß'' macht.
Beispiel: Der folgende triviale l-Unterscheider U_{trivial}
erreicht Pr(G^B_{U_{trivial}}= 1)=\frac{1}{2}
: b\leftarrow flip(\{0,1\}); return\ b
.
Daher interessieren wir uns nicht für die Wahrscheinlichkeit Pr(G^B_U= 1)
ansich, sondern für den Abstand von Pr(G^B_U=1)
zu Pr(G^B_{U_{trivial}}= 1) =\frac{1}{2}
:
Definition 2.13 Sei U
ein l-Unterscheider und B
ein l-Block-KS. Der Vorteil von U
bzgl. B ist $adv(U,B):= 2(Pr(G^B_U=1)-\frac{1}{2})$-
Klar ist:
- Für jeden l-Unterscheider
U
und jedes l-Block-KSB
gilt-1\geq adv(U,B)\geq 1
. - Werte
adv(U,B)<0
sind uninteressant. (Wenn man einen UnterscheiderU
mitadv(U,B)<0
hat, sollte man inU
die Ausgaben0
und1
vertauschen und erhält einen Unterscheider mit positivem Vorteil.) - Für den trivialen l-Unterscheider
U_{trivial}
giltadv(U,B) = 0
.
Um den Vorteil eines Unterscheiders auszurechnen, sind seine ,,Erfolgswahrscheinlichkeit'' und seine ,,Misserfolgswahrscheinlichkeit'' hilfreiche Werte: Der Erfolg von U bzgl. B ist (für das verkürzte Spiel S=S_U^B
) suc(U,B) := Pr(S〈b= 1〉= 1)
, d.h. die Wahrscheinlichkeit, dass U die Verwendung des l-Block-KS B richtig erkennt. Der Misserfolg ist fail(U,B) := fail(U) := Pr(S〈b= 0〉= 1)
, d.h. die Wahrscheinlichkeit, dass U die Verwendung des idealen Substitutionskryptosystems nicht erkennt. Man kann in der Notation für ,,fail'' das ,,B'' auch weglassen, da im Fall b=0
das Kryptosystem B überhaupt keine Rolle spielt.
Lemma 2.14 adv(U,B) = suc(U,B)-fail(U)
.
Beweis: Pr(G^B_U= 1) = Pr(S_U^B=b)
= Pr(S_U^B= 1,b= 1) + Pr(S_U^B= 0,b= 0)
= Pr(S_U^B= 1|b= 1)* Pr(b= 1) + Pr(S^B_U= 0|b= 0)*Pr(b= 0)
=\frac{1}{2}( Pr(S_U^B〈b= 1〉= 1) + Pr(S_U^B〈b= 0〉= 0))
=\frac{1}{2}( Pr(S_U^B〈b= 1〉= 1) + (1-Pr(S_U^B〈b= 0〉= 1)))
=\frac{1}{2}( (suc(U,B) + (1-fail(U)))
=\frac{1}{2}(suc(U,B)-fail(U)) + \frac{1}{2}
Durch Umstellen ergibt sich die Behauptung.
Unterscheider mit Werten adv(U,B)
substanziell über 0 können als interessant (oder möglicherweise gefährlich) für B gelten. Wir müssen noch die beschränkten Ressourcen des Unterscheiders ins Spiel bringen.
Definition 2.15 Sei l\in\mathbb{N}
, U ein l-Unterscheider, B ein l-Block-KS. Für q,t\in\mathbb{N}
heißt U $(q,t)$-beschränkt, wenn die Laufzeit des Aufrufs von U innerhalb von G^B_U
durch t beschränkt ist und dieser Aufruf die Funktion F mit höchstens q
verschiedenen Argumenten ausführt.
Beispiel 2.10 (Fortsetzung) Der l-Unterscheider U_{Vernam}
wertet die Funktion F
an zwei Stellen 0^l
und 1^l
aus. Die Laufzeit des Aufrufs von U
ist beschränkt durch c*l
für eine Konstante c\geq 1
. Also ist U_{Vernam}
$(2,c*l)$-beschränkt.
Definition 2.16 Sei \epsilon>0
. Dann heißt $B(q,t,\epsilon)$-sicher, wenn für jeden $(q,t)$-beschränkten l-Unterscheider U
gilt adv(U,B)< \epsilon
.
Man kann diese Bedingung auch umgedreht lesen, nämlich so: ,,Um mit Wahrscheinlichkeit größer als \frac{1}{2}(1 +\epsilon)
im Experiment G^B_U
die richtige Antwort 1 zu erzeugen, braucht ein l-Unterscheider mehr als q Auswertungen oder mehr Laufzeit/Platz als t
.'' Mit beliebig hohen Rechenzeiten lassen sich praktisch alle Block-Kryptosysteme brechen, selbst mit sehr kleinem q
.
Beispiel 2.10 (Fortsetzung) Sei B
das Vernam-System der Länge l
. Um den Vorteil von U_{Vernam}
bzgl. B
zu bestimmen, berechnen wir Erfolg und Misserfolg von U
: Es gilt offensichtlich 1=Pr(S^B_U〈b= 1〉= 1) = suc(U,B)
.
Es gilt fail(U) = Pr(S^B_U〈b= 0〉= 1) = Pr(S_U^B= 1|b= 0)
. Das verkürzte Experiment S_U^B
gibt 1 aus, wenn der Unterscheider U
dies tut. Dieser tut es aber genau dann, wenn 1^l\oplus_l F(0^l) =F(1^l)
gilt, d.h. fail(U) = Pr(S_U^B〈b= 0〉= 1) = Pr(1^l\oplus_l F(0^l) =F(1^l)) = \frac{1}{2^l- 1}
.
Damit haben wir aber adv(U,B) = suc(U,B)-fail(U) = 1-\frac{1}{2^l- 1}=\frac{2^l-2}{2^l-1}\approx 1
.
Das Vernam-System der Länge l
ist also nicht $(2,c*l,\frac{2^l- 2}{2^l- 1})$-sicher. Dafür realistische Werte von l
(z.B. 128) der Wert \frac{2^l-2}{2^l-1}
praktisch 1 ist, muss das Vernam-System im Szenario 2 als unsicher angesehen werden.
Natürlich sieht man auch mit bloßem Auge, dass die Vernam-Chiffre bei mehrfacher Verwendung nicht ,,sicher'' ist, da sie leicht entschlüsselt werden kann. Hier geht es aber um die Formulierung eines Sicherheitskonzepts, das allgemein anwendbar ist. Es ist beruhigend, dass im Fall der Vernam-Chiffre herauskommt, dass sie auch im Sinn dieser Definition unsicher ist.
Am obigen Beispiel eines Block-Kryptosystems, das die Parität von x
auf den Chiffretext e(x,k)
überträgt, sieht man aber auch, dass das Unterscheiderkonzept sehr empfindlich ist: Obwohl die Information über die Parity klein und harmlos scheint, erklärt es das System für nicht $(q,O(ql), 1-2^{-q})$-sicher, weil die Auswertung der Parität nur Zeit O(l)
kostet.
Beispiel 2.17 Es sei B
ein l-Block-Kryptosystem. (Man denke an AES.) Wir nehmen (realistisch) an, dass t
(etwa t=6
) Klartext-Chiffretext-Paare (x_1,y_1),...,(x_t,y_t)
in B
den Schlüssel k
der Länge s=l
eindeutig bestimmen, für mindestens die Hälfte der Schlüssel (*).
Der l-Unterscheider U_{brute-force}
wertet die Funktion F an t+1
Stellen x_1,...,x_t,x
aus, mit Ergebnissen y_1,...,y_t,y
. Er probiert alle 2^l
Schlüssel k
, um einen zu finden, der e(x_1,k)=y_1 ,...,e(x_t,k) =y_t
erfüllt. Wenn kein solches k
gefunden wird, gibt U
den Wert 0
aus.
Sonst wird getestet, ob e(x,k)=y
ist. Falls ja, wird 1
ausgegeben, sonst 0
.
Das Verhalten lässt sich so beschreiben: In der ,,Realwelt'', wenn F=e(.,k)
ist für einen zufälligen Schlüssel k
, dann findet U
dieses k
mit Wahrscheinlichkeit größer als \frac{1}{2}
(wegen (*)). Dann ist e(x,k) =F(x)
nach Wahl von F
und y=F(x)
, weil y
so bestimmt wurde.
Also ist e(x,k) =y
, also gibt U
den Wert 1 aus. In der ,,Idealwelt'' wird entweder kein passendes k
gefunden, oder wenn doch, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass e(x,k) =y
ist, wo y
einzufälliger Wert in \{0,1\}^l-\{y_1,...,y_t\}
ist, durch 1/(2^l-t)
beschränkt. Damit ist adv(U,B) = suc(U,B)-fail(U)\geq \frac{1}{2}-\frac{1}{2^l-t}\approx\frac{1}{2}
.
Die Laufzeit des Aufrufs von U
ist beschränkt durch O(|K|) =O(2^l)
.
Daher ist B
nicht $(7, O(2^l),\frac{1}{2})$-sicher. Das ist natürlich nicht sehr schlimm, weil die Rechenzeit von U
unrealistisch hoch ist.
Schlussbemerkung: Gesucht wäre nun natürlich ein l-Block-Kryptosystem, das $(q,t,\epsilon)$-sicher ist, wobei q
und t
einigermaßen groß sind und \epsilon
möglichst klein ist. Es gibt unter bestimmten Annahmen (,,Existenz von Einwegfunktionen'') theoretisch konstruierbare Systeme, die für große l
einigermaßen effiziente (,,polynomiell in l'') Verschlüsselung und Entschlüsselung erlauben und im definierten Sinn für Angreifer mit (im Bezug zu l
) nicht zu großen Ressourcen (,,polynomiell in l'') $\epsilon$-sicher sind, für recht kleine \epsilon
(der Wert 1/\epsilon
darf polynomiell groß sein). Diese Systeme sind aber praktisch nicht verwendbar. Von praktisch relevanten Systemen wie AES weiß man nicht, für welche Werte sie sicher sind.
Uneingeschränkte symmetrische Verschlüsselung
Szenarium 3: Alice möchte Bob mehrere Klartexte beliebiger Länge schicken. Sie verwendet dafür immer denselben Schlüssel. Eva hört die Chiffretexte mit und kann sich einige wenige Klartexte mit dem verwendeten Schlüssel verschlüsseln lassen.
Erweiterungen im Vergleich zu vorher:
- Beliebig lange Texte sind erlaubt.
- Mehrfaches Senden desselben Textes ist möglich; Eva sollte dies aber nicht erkennen.
Wir müssen die bisher benutzten Konzepte anpassen, um auch das mehrfache Senden derselben Nachricht zu erfassen. Ein grundlegender Ansatz, um mit identischen Botschaften umzugehen, ist Folgendes: Alices Verschlüsselungsalgorithmus ist randomisiert, liefert also zufallsabhängig unterschiedliche Chiffretexte für ein und denselben Klartext. Allerdings ist normalerweise die Anzahl der Zufallsexperimente fest und nicht von der Klartextlänge abhängig, sodass wir wie vorher davon ausgehen können, dass nur ein Experiment am Anfang ausgeführt wird. Auch der Sicherheitsbegriff und die Rechenzeitbeschränkungen müssen verändert werden.
Klartexte und Chiffretexte sind nun endliche Folgen von Bitvektoren (,,Blöcken'') der festen Länge l
. Die Menge aller dieser Folgen bezeichnen wir mit (\{0,1\}^l)^*
oder kürzer mit \{0,1\}^{l*}
. Es gibt also unendlich viele Klartexte und Chiffretexte. Die Menge der Schlüssel heißt K
. Der Verschlüsselungsalgorithmus E
ist randomisiert und transformiert einen Klartext x
und einen Schlüssel k
in einen Chiffretext. Der Entschlüsselungsalgorithmus D
ist deterministisch und transformiert einen Chiffretext y
und einen Schlüssel k
in einen Klartext. Sicher muss man den Algorithmen eine Rechenzeit zugestehen, die von der Länge der zu verarbeitenden Texte abhängt. Als effizient werden Algorithmen angesehen, die eine polynomielle Rechenzeit haben. Es muss eine verallgemeinerte Dechiffrierbedingung gelten, die die Randomisierung der Verschlüsselung berücksichtigt.
Definition 3.1 Ein symmetrisches $l$-Kryptoschema ist ein Tupel S= (K,E,D)
, wobei
K\subseteq\{0,1\}^s
eine endliche Menge ist (für eins\in\mathbb{N}
),E(x:\{0,1\}^{l*},k:K) :\{0,1\}^{l*}
ein randomisierter Algorithmus undD(y:\{0,1\}^{l*},k:K) :\{0,1\}^{l*}
ein deterministischer Algorithmus sind, so dass gilt:- Die Laufzeiten von
E
undD
sind polynomiell beschränkt in der Länge vonx
bzw.y
. - Für jedes
x\in\{0,1\}^{l*},k\in K
und jedesm\in M_1\times...\times M_r
(die Ausgänge der flip-Anweisungen inE
) gilt:D(E^m(x,k),k)=x
(Dechiffrierbedingung).
Die Elemente von
K
heißen ,,Schlüssel''\{0,1\}^{l*}
heißen ,,Klartexte'' bzw. ,,Chiffretexte'', je nachdem, welche Rolle sie gerade spielen.
E
ist der Chiffrieralgorithmus, D
der Dechiffrieralgorithmus.
Bemerkungen:
- Zentral: Die Nachrichtenlänge ist unbestimmt.
- Wir werden immer davon ausgehen, dass der Schlüssel
k
uniform zufällig ausK
gewählt wurde und beiden Parteien bekannt ist. Die Angreiferin Eva kenntk
natürlich nicht. - Etwas allgemeiner ist es, wenn man den Schlüssel nicht uniform zufällig aus einer Menge wählt, sondern von einem randomisierten Schlüsselerzeugungsalgorithmus
G(s:integer):\{0,1\}^*
generieren lässt. Konzeptuell besteht zwischen den beiden Situationen aber kein großer Unterschied. - Jeder Klar-und jeder Chiffretext ist ein Bitvektor der Länge
l*h
für einh\in\mathbb{N}
. (Um auf ein Vielfaches der Blocklänge zu kommen, muss man die Texte notfalls mit Nullen auffüllen.) - Um einen Klartext
x
zu verschicken, wird der AlgorithmusE
mit einem neuen, uniform zufällig gewählten Elementm
abgearbeitet und es wirdE^m(x,k)
als Chiffretext verschickt. Insbesondere entsteht bei wiederholter Verschlüsselung eines Textesx
(mit sehr großer Wahrscheinlichkeit) jedes mal ein anderer Chiffretext. - In der Literatur finden sich auch Kryptoschemen, bei denen auch die Dechiffrierung randomisiert ist. Wir betrachten dies hier nicht.
Der Standardansatz zur Konstruktion eines Kryptoschemas besteht darin, von einer Block-chiffre wie in Kapitel 2 auszugehen und sie zu einem Kryptoschema auszubauen. Dies wird im Folgenden beschrieben.
Betriebsarten
Symmetrische Kryptoschemen erhält man z.B. aus Blockchiffren. Durch einfache Regeln wird erklärt, wie ein Klartext, der aus einer Folge von Blöcken besteht, zu chiffrieren ist. Für alle folgenden Konstruktionen sei B=(\{0,1\}^l,K_B,\{0,1\}^l,e_B,d_B)
ein l-Block-
Kryptosystem für Blöcke einer Länge l
. (Man darf sich hier zum Beispiel AES mit l=128
vorstellen, oder eine Variante von DES.)
ECB-Betriebsart ( ,,Electronic Code Book mode'' )
Dies ist die nächstliegende Methode. Ein Schlüssel ist ein Schlüssel k
von B
. Man verschlüsselt einfach die einzelnen Blöcke von x
mit B
, jedes mal mit demselben Schlüssel k
.
Definition: Das zu B
gehörende $l$-ECB-Kryptoschema S=ECB(B)=(KB,E,D)
ist gegeben durch die folgenden Algorithmen:
E(x:\{0,1\}^{l*},k:K_B) :\{0,1\}^{l*}
- zerlege
x
in Blöcke der Längel:x=x_0 x_1 ...x_{m-1}
; - für
0\geq i < m
setzey_i\leftarrow e_B(x_i,k)
; - gib
y=y_0 ...y_{m-1}
zurück.
- zerlege
D(y:\{0,1\}^{l*},k:K_B) :\{0,1\}^{l*}
- zerlege
y
in Blöcke der Längel:y=y_0 y_1 ...y_{m-1}
; - für
0\geq i < m
setzex_i\leftarrow d_B(y_i,k)
; - gib
x=x_0 ...x_{m-1}
zurück.
- zerlege
Die Verschlüsselung verzichtet auf die Option, Randomisierung zu verwenden. (Sie hat den großen Vorteil, parallel ausführbar zu sein.) Es ist klar, dass die Dechiffrierbedingung erfüllt ist. Jedoch hat dieses Kryptoschema ein ziemlich offensichtliches Problem, nämlich,
dass ein Block x\in\{0,1\}^l
immer gleich verschlüsselt wird, Eva also ganz leicht nicht-triviale Informationen aus dem Chiffretext erhalten kann. Zum Beispiel kann sie sofort sehen, ob der Klartext die Form x=x_1 x_1
, mit x_1\in\{0,1\}^l
, hat oder nicht.
Das Problem wird augenfällig zum Beispiel bei der Verschlüsselung von Bildern. Ein Bild ist dabei einrechteckiges Schema (eine Matrix) von ,,Pixeln'', denen jeweils ein Farbcode (z.B. 1 Byte) zugeordnet ist. Man könnte dabei die Pixel in Gruppen (quadratische Blöcke oder Zeilensegmente) unterteilen. Das Farbmuster jeder solchen Gruppe liefert einen Klartextblock. Wenn viele Bildteile identisch aussehen, etwa gleich konstant gefärbt sind, ergibt sich jeweils derselbe Klartext für den entsprechenden Block, und damit auch derselbe Chiffretext. Wenn man den Chiffretext bildlich darstellt, ergibt sich leicht ein grober Eindruck des Originalbildes. Als Beispiel betrachte diese Bilder aus Wikipedia: wikipedia.
Fazit: Obwohl er so naheliegend ist, sollte der ECB-Modus niemals benutzt werden!
CBC-Betriebsart( ,,Cipher Block Chaining mode'' )
Diese Betriebsart weicht dem zentralen Problem von ECB aus, indem man die Blöcke in Runden i=0, 1 ,...,m-1
nacheinander verschlüsselt und das Ergebnis einer Runde zur Modifikation des Klartextblocks der nächsten Runde benutzt. Konkret: Es wird nicht x_i
mit B
verschlüsselt, sondern x_i\oplus_l y_{i-1}
(bitweises XOR). Man benötigt dann einen Anfangsvektor y_{-1}
für die erste Runde. Dieser ist Teil des Schlüssels des Kryptoschemas (nicht von B), ein Schlüssel des Schemas ist also ein Paar (k,v)
mit k\in K_B
und v\in\{0,1\}^l
.
Definition: Das zu B
gehörende $l$-CBC-Kryptoschema S=CBC(B)=(KB\times\{0,1\}^l,E,D)
ist durch die folgenden Algorithmen gegeben:
E(x:\{0,1\}^{l*},(k,v) :KB\times\{0,1\}^l) :\{0,1\}^{l*}
- zerlege
x
in Blöcke der Längel:x=x_0 x_1 ...x_{m-1}
; y_{-1} \leftarrow v
;- für
i= 0,...,m-1
nacheinander:y_i\leftarrow e_B(x_i\oplus_l y_{i-1},k)
; - gib
y=y_0 ...y_{m-1}
zurück.
- zerlege
E(x:\{0,1\}^{l*},(k,v) :K_B\times\{0,1\}^l) :\{0,1\}^{l*}
- zerlege
y
in Blöcke der Längel:y=y_0 y_1 ...y_{m-1}
y_{-1} \leftarrow v
;- für
i=0,...,m-1
nacheinander:x_i\leftarrow d_B(y_i,k)\oplus_l y_{i-1}
; - gib
x=x_0 ...x_{m-1}
zurück.
- zerlege
Der Vektor v
wird Initialisierungsvektor genannt. Man versteht recht gut, was beim Chiffrieren passiert, wenn man sich das Bild auf Seite 104 im Buch von Küsters/Wilke ansieht. Beim Dechiffrieren geht man den umgekehrten Weg: Entschlüssele einen Block y_i
mittels B, dann addiere y_{i-1}
, um den Klartextblock x_i
zu erhalten. Es ist klar, dass die Dechiffrierbedingung erfüllt ist.
Interessant ist die folgende Eigenschaft der Entschlüsselung im CBC-Modus: Wenn bei der Übertragung des Chiffretextes ein einzelner Block y_i
durch einen Fehler zu y_i′
verfälscht wird, dann ist die Entschlüsselung ab Block y_{i+2}
trotzdem wieder korrekt.
In diesem Kryptoschema ist der zentrale Nachteil der ECB-Betriebsart verschwunden: Identische Klartextblöcke führen nun praktisch immer zu verschiedenen Chiffretextblöcken. Die Verschlüsselung von x=x_1 x_1
mit x_1\in\{0,1\}^l
liefert i.a. keinen Chiffretext der Form y=y_1 y_1
. Die oben erwähnte Wikipedia-Seite zeigt auch, dass bei der Verschlüsselung des Bildes mit CBC keine offensichtlichen Probleme mehr auftauchen.
Ein Problem bleibt aber bestehen: Wird zweimal der Klartext x
verschlüsselt, so geschieht dies immer durch denselben Chiffretext y=E(x,(k,v))
. Dies ist eine Folge der Eigenschaft von CBC, deterministisch zu sein. Auch CBC wird man in der Praxis daher nicht benutzen.
R-CBC-Betriebsart( ,,Randomized CBC mode'' )
Um das Problem der identischen Verschlüsselung identischer Klartexte zu beseitigen, muss in die Verschlüsselung eine Zufalls komponente eingebaut werden. Beispielsweise kann man dazu CBC leicht modifizieren. Der Initialisierungsvektor y_{-1}=v\in\{0,1\}^l
ist nicht mehr Teil des Schlüssels, sondern wird vom Verschlüsselungsalgorithmus einfach zufällig gewählt, und zwar für jeden Klartext immer aufs Neue. Damit der Empfänger entschlüsseln kann, benötigt er v
. Daher wird y_{-1}
als Zusatzkomponente dem Chiffretext vorangestellt. Damit ist der Chiffretext um einen Block länger als der Klartext, und Eva kennt auch v=y_{-1}
.
Definition: Das zu B
gehörende l-R-CBC-Kryptoschema S=R-CBC(B) = (K_B,E,D)
ist gegeben durch die folgenden Algorithmen:
E(x:\{0,1\}^{l*},k:K_B) :\{0,1\}^{l*}
;- zerlege
x
inm
Blöcke der Längel:x=x_0 x_1 ...x_{m-1}
- setze
y_{-1}= flip(\{0,1\}^l)
; - für
i=0,...,m-1
nacheinander:y_i\leftarrow e_B(x_i\oplus_l y_{i-1} ,k)
; - gib
y=y_{-1} y_0 ...y_{m-1}
zurück. //Länge:m+1
Blöcke
- zerlege
D(y:\{0,1\}^{l*},k:K_B) :\{0,1\}^{l*}
;- zerlege
y
inm+1
Blöcke der Längel:y=y_{-1} y_0 y_1 ...y_{m-1}
- für
i=0,...,m-1
nacheinander:x_i\leftarrow d_B(y_i,k)\oplus_l y_{i-1}
; - gib
x=x_0 ...x_{m-1}
zurück. //Länge: m Blöcke
- zerlege
Es gibt zwei Unterschiede zu CBC:
- Für jede Verschlüsselung eines Klartextes wird ein neuer zufälliger Initialisierungsvektor verwendet. Dadurch wird ein Klartext
x
bei mehrfachem Auftreten mit hoher Wahrscheinlichkeit immer verschieden verschlüsselt. - Der Initialisierungsvektor ist nicht Teil des geheimen Schlüssels, sondern ist dem Angreifer bekannt, da er Teil des Chiffretextes ist. (Intuitiv würde man vielleicht sagen, dass dies ,,die Sicherheit verringert'' .)
Tatsächlich und etwas unerwartet kann man nach einer sorgfältigen Formulierung eines Sicherheitsbegriffs für Kryptoschemen beweisen, dass die Betriebsart R-CBC zu ,,sicheren'' Verfahren führt, wenn die zugrundeliegende Blockchiffre ,,sicher'' ist. (Der Beweis ist aufwendig.)
Warnung, als Beispiel für harmlos erscheinende Modifikationen, die Kryptoschemen unsicher machen:
- Man könnte meinen, dass es genügt, bei jeder Verschlüsselung einen neuen Initialisierungsvektor zu benutzen, also zum Beispiel nacheinander
v,v+1,v+2,...
. Dies führt jedoch zu einem unsicheren Kryptoschema. - Um Kommunikation zu sparen, könnte man auf die Idee kommen, dass Alice und Bob sich von einer Kommunikationsrunde zur nächsten den letzten Chiffretextblock merken und ihn bei der nächsten Runde als Initialisierungsvektor benutzen. Dieses Verfahren heißt ,,chained CBC'' und wurde in SSL3.0 und TLS1.0 verwendet. Es stellte sich heraus, dass dieses Verfahren mit einem Angriff mit gewähltem Klartext erfolgreich attackiert werden kann!
OFB-Betriebsart( ,,Output Feed Back mode'' )
Wir kommen nun zu zwei Betriebsarten, die einen ganz anderen Ansatz für die Verschlüsselung der einzelnen Blöcke von x
verfolgen. Es wird dazu nämlich nicht B
mit Schlüssel k
benutzt, sondern der Mechanismus des Vernam-Systems (One-Time-Pads, siehe Beispiel 1.6) :$y_i=x_i\oplus_l k_i$, wobei k_i\in\{0,1\}^l
ein ,,Rundenschlüssel'' für Block x_i
ist. Das Kryptosystem B
wird nur dafür benutzt, diese Rundenschlüssel herzustellen, die bei Verschlüsselung und bei Entschlüsselung identisch sind. Die Dechiffrierbedingung folgt dann daraus, dass das Vernam-System korrekt dechiffriert. Der Ansatz führt dazu, dass die Entschlüsselungsfunktiond B
des Block-Kryptosystems gar nicht benötigt wird.
Zuerst betrachten wir die Betriebsart ,,Output Feedback''. Dabei wird ein zufälliger Startvektor v
aus \{0,1\}^l
gewählt. Man setzt k_{-1}=v
, und konstruiert die Rundenschlüssel k_0,...,k_{m-1}
dadurch, dass man iteriert den letzten Rundenschlüssel durch die Verschlüsselungsfunktion von B
schickt: k_i=e_B(k_{i-1}, k)
, für i=0,1,...,m-1
. (Der Name ''Output Feedback''rührt daher, dass das Ergebnis einer Verschlüsselung durch e_B
wieder als Input des nächsten Aufrufs von e_B
benutzt wird.) Der Empfänger benötigt v
, um seinerseits die Rundenschlüssel zu berechnen; daher wird v
als y_{-1}
dem Chiffretext vorangestellt, wie beim R-CBC-Modus.
Definition: Das zu B
gehörende l-OFB-Kryptoschema S=(K_B,E,D) =OFB(B) =(K_B,E,D)
ist gegeben durch die folgenden Algorithmen:
E(x:\{0,1\}^{l*},k:K_B) :\{0,1\}^{l*}
;- zerlege
x
inm
Blöcke der Längel:x=x_0 x_1 ...x_{m-1}
; k_{-1} \leftarrow y_{-1} \leftarrow flip(\{0,1\}^l)
;- für
i=0,...,m-1
nacheinander:k_i\leftarrow e_B(k_{i-1},k)
undy_i\leftarrow x_i\oplus_l k_i
; - gib
y=y_{-1} y_0 ...y_{m-1}
zurück.
- zerlege
D(y:\{0,1\}^{l*},k:K_B) :\{0,1\}^{l*}
;- zerlege
y
inm+1
Blöcke der Längel:y=y_{-1} y_0 y_1 ...y_{m-1}
; k_{-1} \leftarrow y_{-1}
;- für
i=0,...,m-1
nacheinander:k_i\leftarrow e_B(k_{i-1} ,k)
undx_i\leftarrow y_i\oplus k_i
; - gib
x=x_0 ...x_{m-1}
zurück.
- zerlege
Dieses Verfahren hat einen interessanten Vorteil. Oft werden die Blöcke des Chiffretextes beim Empfänger nacheinander eintreffen. Die Hauptarbeit, nämlich die iterierte Verschlüsselung mit e_B
zur Ermittlung der Rundenschlüssel k_i
, kann unabhängig von der Verfügbarkeit der Klartextblöcke erfolgen, sobald y_{-1}
eingetroffen ist.
Man kann beweisen, dass die Betriebsarten R-CBC und OFB ,,sicher'' sind, wenn die zugrundeliegende Blockchiffre ,,sicher'' ist. Dazu weiter unten mehr.
R-CTR-Betriebsart (,,Randomized CounTeR mode'' )
Dies ist die zweite Betriebsart, bei der das Kryptosystem B
nur zur Herstellung von m ,,Rundenschlüsseln'' benutzt wird, mit denen dann die Blöcke per \oplus_l
verschlüsselt werden. Anstatt iteriert zu verschlüsseln, was bei OFB eine sequentielle Verarbeitung erzwingt, werden hier die mit B
zu verschlüsselnden Strings anders bestimmt. Man fasst \{0,1\}^l
als äquivalent zur Zahlenmenge \{0,1,...,2^{l-1}\}
auf, interpretiert einen $l$-Bit-String also als Block oder als Zahl, wie es passt. In dieser Menge wählt man eine Zufallszahl r
. Man ,,zählt'' von r
ausgehend nach oben und berechnet die Rundenschlüssel k_0,...,k_{m-1}
durch Verschlüsseln von r,r+1,...,r+m-1
(modulo 2^l
gerechnet) mittelse B(.,k)
. Rundenschlüssel k_i
ist also e_B((r+i) mod\ 2^l,k)
, und Chiffretextblock y_i
ist k_i\oplus_l x_i
. Interessant ist, dass hier die Berechnung der Rundenschlüssel und die Ver- bzw. Entschlüsselung der Blöcke parallel erfolgen kann, also sehr schnell, falls mehrere Prozessoren zur Verfügung stehen.
Definition: Das zu B
gehörende l-R-CTR-Kryptoschema S=R-CTR(B) = (K_B,E,D)
ist gegeben durch die folgenden Algorithmen:
E(x:\{0,1\}^{l*},k:K_B) :\{0,1\}^{l*}
;- zerlege
x
inm
Blöcke der Längel:x=x_0 x_1 ...x_{m-1}
; r\leftarrow flip(\{0,..., 2^l-1\})
;- für
0\geq i < m:y_i\leftarrow e_B((r+i) mod\ 2^l,k)\oplus_l x_i
; - gib
y=r y_0 ...y_{m-1}
zurück.
- zerlege
D(y: (\{0,1\}^l)+,k:K_B) :\{0,1\}^{l*}
;- zerlege
y
inm+1
Blöcke der Längel:y=y_{-1} y_0 y_1 ...y_{m-1}
; r\leftarrow y_{-1}
;- für
0\geq i < m:x_i\leftarrow e_B((r+i) mod\ 2^l,k)\oplus_l y_i
; - gib
x=x_0 ...x_{m-1}
zurück.
- zerlege
Es ist offensichtlich, dass die Dechiffrierbedingung erfüllt ist.
Bemerkungen:
- Wie bei R-CBC und OFB wird hier ein zufälliger Initialisierungswert
r
verwendet, der als Teil des Chiffretextes dem Angreifer bekannt ist. - Wie bei OFB wird die Entschlüsselungsfunktion
d_B
gar nicht verwendet, man kann also anstelle der Verschlüsselungsfunktione_B
eine beliebige Funktione_B:\{0,1\}^l\times\{0,1\}^l\rightarrow\{0,1\}^l
benutzen, bei der die ,,Chiffren''e_B(.,k)
nicht einmal injektiv sein müssen. - Man kann dieses Kryptoschema auch wie folgt verstehen: Zu einem gegebenen Klartext
x\in\{0,1\}^{lm}
wird aus einem zufälligen Initialwertr
ein langer Bitstringk′=E_B(r,k) E_B((r+1) mod\ 2^l,k)... E_B((r+m-1) mod\ 2^l,k)
berechnet und der Klartextx
dann mittels Vernamsystem und diesem Schlüssel verschlüsselt. Der Empfänger erhältr
und den Chiffretext, kann also ebenfallsk′
b erechnen und damit entschlüsseln. IstB
ein sicheres Block-Kryptosystem, so kann ein Angreifer ausr
den Vernam-Schlüsselk′
nicht so einfach berechnen, da erk
nicht kennt. Die R-CTR-Betriebsart liefert also intuitiv einen hohen Grad an Sicherheit.
Sicherheit von symmetrischen Kryptoschemen
Wir werden hier ein Sicherheitsmodell definieren, das es gestattet, Aussagen wie die folgende zu formulieren (und zu beweisen): Wenn B ein ,,sicheres'' l-Block-Kryptosystem ist (bzgl. einer Reihe von Parametern), und das Kryptoschema S
wird aus B
konstruiert, indem man einen geeigneten Betriebsmodus verwendet, dann ist S
ebenfalls ,,sicher'' (bzgl. einer variierten Reihe von Parametern). Ziel ist dabei, Betriebsmodi zu identifizieren, die keine unnötigen neuen Unsicherheitskomponenten ins Spiel bringen, die nicht im Block-KS
B
schon vorhanden waren.
Wir beschränken uns hier auf den Fall, wo Eva begrenzte Ressourcen (Zeit, Orakelaufrufe) hat. Damit müssen wir uns bei Überlegungen zu Kryptoschemen auf das Verhalten auf Klartexten begrenzter Länge und auf feste Rechenzeiten beschränken. Nach dem Kerckhoffs-Prinzip nehmen wir an, dass Eva das Kryptoschema kennt, also zum Beispiel das verwendete Block-Kryptosystem und den Betriebsmodus. Sie kann sich einige Klartexte verschlüsseln lassen (,,known-plaintext attack'') und sieht einen Chiffretext y
. Ihr Ziel ist, aus y
Information über den zugrundeliegenden Klartext x
zu gewinnen. Wir können nicht verhindern, dass Eva aus der Länge des Chiffretextes y
auf die Länge von x
schließt. (Bei allen Betriebsmodi, die wir gesehen haben, ergibt sich die Länge von x
direkt aus der Länge von y
). Abgesehen hiervon soll sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ,,keine signifikante Information'' über den Klartext erhalten können.
Wir skizzieren zunächst eine Idee für ein Sicherheitsmodell, das die Fähigkeit, in so einer Situation ,,Information zu ermitteln'', formalisiert. Eva behauptet, sie könne ,,aus y
Information über x
ermitteln, die über die Länge von x
hinausgeht''. Um das zu überprüfen, stellt ihr ein ,,Herausforderer'' Charlie folgende Aufgabe: Eva darf sich zunächst eine Reihe von Klartexten ihrer Wahl verschlüsseln lassen. Dann wählt sie selbst zwei verschiedene, gleichlange Klartexte z_0
und z_1
. Charlie verschlüsselt einen von diesen; der Chiffretext ist y
. Eva bekommt y
. Sie soll herausfinden, ob y
von z_0
oder von z_1
kommt. Für diese Entscheidung darf sie sich weitere Klartexte verschlüsseln lassen und weiter rechnen. Wir betrachten ein Kryptoschema als unsicher, wenn Eva eine signifikant von ,,purem Raten'' abweichende Erfolgswahrscheinlichkeit hat, sie also mit guten Chancen unterscheiden kann, ob z_0
oder z_1
zu y
verschlüsselt wurde.
Wie in Abschnitt 2.4 formulieren wir den Vorgang wieder als Spiel. Gegeben ist also S=(K,E,D)
. Akteure sind Eva, hier ,,Angreifer'' (engl.: adversary) genannt, und Charlie (,,Herausforderer'' ,engl.: challenger). Die Parameter, mit denen wir die Erfolgschancen von Eva unter Ressourcenbeschränkungen messen, sind der ,,Vorteil'' in Analogie zu Definition 2.13, die Rechenzeit (inklusive Speicherplatz, wie vorher), Anzahl der Orakelaufrufe und Anzahl der bei der Verschlüsselung bearbeiteten Blöcke.
- Charlie wählt zufällig einen Schlüssel
k
ausK
und legt damit die ChiffreH=E(.,k)
fest, die Klartexte aus\{0,1\}^{l*}
in Chiffretexte aus\{0,1\}^{l*}
transformiert. - Eva wählt einige Klartexte und lässt sie sich von Charlie mit
H
verschlüsseln. - Eva wählt zwei Klartexte
z_0
undz_1
gleicher Länge und gibt sie an Charlie. - Verdeckt vor Eva: Charlie wirft eine Münze, um zufällig einen der beiden Klartexte zu wählen. Er verschlüsselt ihn mit
H
, das Ergebnis isty
. Charlie gibty
an Eva. - Eva kann sich weitere Klartexte verschlüsseln lassen und (mit beschränkten Ressourcen) rechnen und muss schließlich sagen (raten?), ob Charlie
z_0
oderz_1
zuy
verschlüsselt hat.
Wenn die Wahrscheinlichkeit, dass Eva richtig antwortet, weit von zufälligem Raten abweicht, wollen wir das Kryptoschema als unsicher ansehen.
Man beachte: Unter den vorher oder nachher verschlüsselten Klartexten können auch z_0
und z_1
sein. Ein deterministisches Kryptoschema, also eines, das zu gegebenem Schlüssel k
einen Klartext stets gleich verschlüsselt, ist damit sofort disqualifiziert. Wenn aber bei der Verschlüsselung Randomisierung im Spiel ist, liefern wiederholte Verschlüsselungsanforderungen mit Klartexten z_0
und z_1
(wahrscheinlich) lauter unterschiedliche Antworten, so dass dieser direkte Weg zur Ermittlung des verschlüsselten Klartextes nicht funktioniert.
Wir beschreiben den Part von Eva in diesem Spiel als Algorithmenpaar. Der erste Algorithmus AF
(der ,,Finder'', ,,find'' ) ist für das Erzeugen von z_0
und z_1
zuständig. Als Argument erhält dieser Teil eine Chiffre H
, die er im Sinne eines Orakels benutzen kann. Außerdem werden Aufzeichnungen über die angeforderten Verschlüsselungen und ihre Ergebnisse gemacht. Diese Aufzeichnungen sind als Element v
einer endlichen Menge V
kodiert. Der zweite Algorithmus AG
(der ,,Rater'' , ,,guess'' ) ist dafür zuständig, herauszufinden, ob z_0
oder z_1
verschlüsselt wurde. Dieser Algorithmus bekommt H
als Orakel, die Aufzeichnungen v
von AF
und den Chiffretext y
als Input.
Definition 3.2 Ein l-Angreifer A
ist ein Paar von randomisierten Algorithmen
AF(H(\{0,1\}^{l*}) :\{0,1\}^{l*}) : (\{0,1\}^l\times\{0,1\}^l)^+\times V
AG(v:V,H(\{0,1\}^{l*}) :\{0,1\}^{l*},y:\{0,1\}^{l*}) :\{0,1\}
Hierbei ist H
ein randomisierter Algorithmus (und nicht als Funktion zu verstehen).
Der ,,Finder'' AF bekommt also eine Chiffre H=E(.,k)
für einen zufälligen Schlüssel k
gegeben. (Er darf diese Chiffre nur zum Verschlüsseln benutzen; k
kennt er nicht.) Daraus berechnet er zwei verschiedene Klartexte (z_0,z_1)
gleicher Länge und ,,Notizen'' v\in V
. Das Ausgabeformat (\{0,1\}^l\times\{0,1\}^l)^+
sagt, dass eine Folge ((z_0^{(0)},z^{(0)}_1),(z_0^{(1)},z_1^{(1)}),...,(z_0^{(m-1)},z_1^{(m-1)}))
von Blockpaaren ausgegeben werden soll, die wir dann als Paar (z_0 ,z_1) = ((z^{(0)}_0 ,z_0^{(1)},...,z_0^{(m-1)}),(z_1^{(0)},z^{(1)}_1 ,...,z_1^{(m-1)}))
von zwei Folgen gleicher Länge lesen. Danach wird zufällig z_0
oder z_1
zu y
verschlüsselt.
Im zweiten Schritt verwendet der ,,Rater'' AG
die Notizen v
, die Chiffre H=E(.,k)
und die ,,Probe'' y
, um zu bestimmen, ob z_0
oder z_1
verschlüsselt wurde.
Definition 3.3 Sei S=(K,E,D)
ein symmetrisches Kryptoschema, und sei A=(AF,AG)
ein l-Angreifer. Das zugehörige Experiment (oder Spiel) ist der folgende Algorithmus G^S_A:\{0,1\}:
k\leftarrow flip(K)
,H\leftarrow E(.,k)
(In diesem Schritt wählt Charlie zufällig eine Chiffre des KryptoschemasS
.)(z_0, z_1 ,v)\leftarrow AF(H)
(In dieser Phase berechnet der Finder ein Paar von Klartexten gleicher Länge, von denen er annimmt,ihre Chiffretexte unterscheiden zu können.)b\leftarrow flip(\{0,1\})
undy\leftarrow E(z_b,k)
(In dieser Phase wählt Charlie zufällig einen der beiden Klartexte und verschlüsselt ihn zuy
.)b′\leftarrow AG(v,H,y)
(In dieser Phase versucht der Rater herauszubekommen, obz_0
oderz_1
verschlüsselt wurde.)- falls
b=b′
, so gib1
zurück, sonst0
. (Charlies Auswertung: HatAG
recht oder nicht?)
Das verkürzte Experiment oder Spiel S^S_A
gibt im 5.Schritt einfach b′
aus.
Dann ist Pr(G^S_A = 1)
die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angreifer A
sich für den korrekten Klartext entscheidet. Der Wahrscheinlichkeitsraum entsteht durch die expliziten Zufallsexperimente in Schritt 1. und 3. in Kombination mit den Zufallsexperimenten, die bei der Verwendung von H
ausgeführt werden. Man kann jetzt wie in Abschnitt 2.4 (Sicherheit von l-Block-Kryptosystemen) den Vorteil adv(A,S) = 2(Pr(G^S_A= 1)-\frac{1}{2})
und die Größen suc(A,S) = Pr(S^S_A〈b= 1〉= 1)
(,,Erfolg'') und fail(A,S) = Pr(S_A^S〈b= 0〉= 1)
( ,,Misserfolg'' ) definieren. Allerdings haben die beiden letzten Werte eine etwas andere Semantik. Der Wert suc(A,S)
ist die bedingte Wahrscheinlichkeit, dass richtig erkannt wird, dass z_1
verschlüsselt wurde, fail(A,S)
ist die bedingte Wahrscheinlichkeit, dass nicht erkannt wird, dass z_0
verschlüsselt wurde. Lemma 2.14 gilt wörtlich. Das heißt: $$adv(A,S) = suc(A,S)-fail(A,S).
Wenn ein Angreifer A
mit ,,nicht zu großem Rechenaufwand'' einen Vorteil erzielen kann, der deutlich über 0
liegt, wird man das Kryptoschema als unsicher einstufen.
Beispiel 3.4 Ziel ist es, die ECB-Betriebsart anzugreifen, d.h. sei S=ECB(B)
für ein l-Block-Kryptosystem B
. Wir wollen zeigen, dass es einen l-Angreifer A
mit Pr(G^S_A= 1) = 1
, also adv(A,S) = 1
, gibt. Dieser ist wie folgt aufgebaut.
- l-Angreifer
A
mitV=\{1\}
(V=\{1\}
bedeutet, dass stetsv=1
gilt, dass die Aufzeichnungv
also keinerlei Information übermittelt.) AF(H)
arbeitet wie folgt:z_0\leftarrow 0^{2l}; z_1\leftarrow 0^l 1^l;
Ausgabe:(z_0,z_1 ,1)
AG(v,H,y)
tut Folgendes: fallsy=y_1y_1
für einy_1\in\{0,1\}^l
, gib0
aus, sonst1
.
Im Ablauf des Spiels G^S_A
wird der Rater AG
mit y=E(0^{2l},k)=e_B(0^l,k)e_B(0^l,k)
oder mit y=E(0^l 1^l,k)=e_B(0^l,k)e_B(1^l,k)
gestartet. Im ersten Fall ist y=y_1y_1
für ein y_1\in\{0,1\}^l
, im zweiten Fall ist dies nicht so, wegen der Dechiffrierbedingung. Daher gilt Pr(G^S_A= 1) = 1
, d.h. adv(A,S) = 1
.
Die Ressourcen, die A
benötigt, sind sehr klein: Zwei Aufrufe des Verschlüsselungsverfahrens e_B
des Block-Kryptosystems. Wir können schließen, dass es einen effizienten Angreifer A
gibt, dem das Sicherheitsmodell Vorteil 1 gibt. Damit gilt das Kryptoschema ECB(B)
als komplett unsicher (ganz egal was ist).
Beispiel 3.5 Ziel ist es, die CBC-Betriebsart anzugreifen, d.h. es sei S=CBC(B)
für ein Block-Kryptosystem B
. Das Problem mit dieser Betriebsart ist, dass ein Klartext bei Wiederholung identisch verschlüsselt wird. Um dies auszunutzen, verwenden wir den folgenden l-Angreifer A
mit V=\{0,1\}^l
, der zwei verschiedene Klartexte benutzt, die nur einen Block enthalten:
AF(H)
arbeitet wie folgt:z_0\leftarrow 0^l;v\leftarrow H(z_0);z_1\leftarrow 1^l;
Ausgabe:(z_0,z_1,v)
- (
A
merkt sich den Chiffretext zux=0^l
.) AG(v,H,y)
tut Folgendes: fallsv=y
, so gib0
aus, sonst1
.
Im Ablauf des Spiels G^S_A
wird der Rater AG
mit E(0^l,k)
oder mit E(1^l,k)
gestartet. Wegen e_B(0^l,k)\not=e_B(1^l,k)
(wegen der Dechiffrierbedingung) gilt also Pr(G^S_A=1)=1
, d.h. adv(A,S)=1
.
Dieses Beispiel lässt sich verallgemeinern:
Lemma 3.6 Es gibt einen l-Angreifer A
, so dass für jedes l-Kryptoschema S
mit deterministischer Verschlüsselungsfunktion gilt: adv(A,S) = 1
.
Wir benutzen einfach den in Beispiel 3.5 beschriebenen Angreifer. Damit zeigt sich, dass das beschriebene Spiel in der Lage ist, alle deterministischen Kryptoschemen als unsicher einzustufen (und damit die intuitive Einschätzung zu bestätigen).
Nun bringen wir die Ressourcen ins Spiel, die der Angreifer benutzen darf. Komponenten dabei sind die Laufzeit des gesamten Experiments, die Anzahl der durchgeführten H-Verschlüsselungen von Chiffretexten und die Anzahl der dabei bearbeiteten Blöcke. (S
kann eine beliebige Struktur haben, muss also nicht notwendigerweise auf einem l-Block-Kryptosystem beruhen. Dennoch sind die Klartexte in Blöcke eingeteilt, und die Gesamtlänge aller betrachteten Blöcke ist eine sinnvolle Maßzahl.)
Definition 3.7 Sei n,q,t,l\in\mathbb{N}
, A
ein l-Angreifer, S
ein symmetrisches l-Kryptoschema. Dann heißt $A(n,q,t)$-beschränkt, wenn die Laufzeit des Experiments G^S_A
durch t
beschränkt ist, der Algorithmus H
(als Orakel) höchstens q
mal aufgerufen wird und bei diesen Aufrufen höchstens n
Blöcke verwendet werden.
Sei \epsilon> 0
. Dann heißt $S(n,q,t,\epsilon)$-sicher, wenn für jeden $(n,q,t)$-beschränkten l-Angreifer A
gilt adv(A,S)\geq\epsilon
.
Nach obigem Lemma gibt es (kleine) Konstanten c_1,c_2
und c_3
, so dass kein deterministisches l-Kryptoschema $(c_1,c_2,c_3,1-\delta)$-sicher ist, für jedes noch so kleine \delta > 0
.
Wir stellen nun fest, dass man aus sicheren Block-Kryptosystemen mit der R-CTR-Betriebsart sichere Kryptoschemen erhält, wenn man die Parameter richtig wählt, das heißt im Wesentlichen, wenn die Blocklänge genügend groß ist.
Diese ,,relative Sicherheit'' kann man folgendermaßen ,,rückwärts'' ausdrücken: Wenn das Kryptoschema S=R-CTR(B)
unsicher ist, es also einen Angreifer mit großem Vorteil adv(A,S)
gibt, bei beschränkten Ressourcen, dann ist schon B
unsicher, das heißt, es gibt einen Unterscheider U
für B
mit großem Vorteil adv(U,B)
, bei beschränkten Ressourcen. Technisch wird dies folgendermaßen formuliert, unter Einbeziehung gewisser Fehlerterme und genauer Benennung der Ressourcenschranken.
Satz 3.8 Es gibt eine kleine Konstante c
, so dass für alle t,n,q,l > 0
, alle l-Block-Kryptosysteme B
und alle $(n,q,t)$-beschränkten l-Angreifer A
ein $(n,t+c(q\ log(q) +n)*l)$-beschränkter l-Unterscheider U
existiert, so dass adv(A,S)\geq 2 *adv(U,B) + \frac{2 qn+n^2}{2^l}
, wobei S
das symmetrische l-Kryptoschema ist, das B
in der R-CTR-Betriebsart verwendet.
Den Fehlerterm (2qn+n^2)/2^l
kann man vernachlässigen, wenn l
genügend groß gewählt wird. Die Zahlen q
und n
entsprechen der Verarbeitung von Blöcken, Werte für q
und n
von mehr als 1012
sind also eher unrealistisch. Mit l=128
ist 2^l> 3 * 10^{38}
. Damit kann man ohne Weiteres \frac{2qn+n^2}{2^l} <10^{-14}
annehmen. Im Wesentlichen besagt der Satz also, dass aus der Existenz eines effizienten l-Angreifers mit einem gewissen Vorteil a>0
gegen R-CTR(B
) folgt, dass es einen effizienten l-Unterscheider U
mit Vorteil a/2
gegen B
gibt. Wenn also R-CTR(B
) unsicher ist (nicht $\epsilon$-sicher für relativ großes \epsilon
), dann muss schon B
unsicher gewesen sein (nicht $\epsilon/2$-sicher). Oder noch kürzer: Wenn B
,,sicher'' ist, dann auch R-CTR(B
). Durch die R-CTR-Betriebsart wird keine neue Unsicherheitskomponente ins Spiel gebracht.
Mit den folgenden Definitionen lässt sich diese Aussage vielleicht noch griffiger formulieren.
Definition 3.9 Die Unsicherheit eines Block-Kryptosystems B=(X,K,Y,e,d)
zu Parametern q,t
ist insec(q,t,B) := max\{adv(U,B)|\text{ U ist } (q,t) \text{-beschränkter Unterscheider}\}
.
Man beachte: Weil mit t
auch die Programmtextlänge beschränkt ist, gibt es nur endlich viele solche Unterscheider. Damit ist das Maximum wohl definiert. Offensichtlich gilt, nach den Definitionen aus Abschnitt 2.4: B
ist $(q,t,\epsilon)-sicher 4\Leftrightarrow insec(q,t,B)\geq\epsilon
.
Analog definiert man:
Definition 3.10 Die Unsicherheit eines Kryptoschemas S=(K,E,D)
zu Parametern n,q,t
ist insec(n,q,t,S):=max\{adv(A,S)|A \text{ ist }(n,q,t)\text{-beschränkter Angreifer}\}
.
Satz 3.8 liest sich dann wie folgt: Wenn S
das symmetrische l-Kryptoschema ist, das B
in der R-CTR-Betriebsart verwendet, dann gilt für beliebige n,t,q
: insec(n,q,t,S)\geq 2 * insec(n,t+c(q\ log(q) +n)*l,B) +\frac{2qn+n^2}{2^l}
.
S
,,erbt'' also die obere Schranke für die Unsicherheit von B
, bezüglich n
Orakelanfragen und einer vergrößerten Rechenzeit von t+c(q\ log(q) +n)*l
, verschlechtert nur um einen Faktor 2
und einen additiven Term \frac{2qn+n^2}{2^l}
. Die Unsicherheit kommt also nicht durch die Verwendung der Betriebsart R-CTR ins Spiel, sondern steckt gegebenenfalls schon in B
.
Bemerkung: Für die Betriebsarten R-CBC und OFB gelten Aussagen, die zu Satz 3.8 analog sind. Die Beweise sind allerdings noch aufwendiger. Einen vollständigen Beweis von Satz 3.8 findet man in ,,Küsters und Wilke, Moderne Kryptographie'' (S.114, 121), und im Anhang.
Im Buch werden auch die folgenden konkreten Parameter diskutiert: l=128
. Nehmen wir an, die zugelassene Laufzeit t
für den Angreifer ist 2^{60} > 10^{18}
Rechenschritte (das ist so groß, dass es nicht wirklich realisierbar ist), und wir gestatten q=2^{30} \approx 10^{9}
Orakelanfragen, wobei die gesamte betroffene Textlänge n=2^{36}\approx 64*10^9
Blöcke ist (etwa 2^{40}
Byte,also ein Terabyte). Wenn die Konstante aus dem Satz etwa c=10
ist, erhalten wir: $insec(2^{36}, 2^{30}, 2^{60},S)\geq 2*insec(2^{36}, 2^{60}+ 10(30*2^{30}+ 2^{36})* 128 ,B) +\frac{2^{66} + 2^{72}}{2^{128}}
.
Man sieht, dass der additive Term \frac{2^{66} +2^{72}}{2^{128}}
kleiner als 2^{-55}
ist, und die für den Unterscheider zugelassene Zeitschranke mit 2^{60} + 10(30* 2^{30}+2^{36})*128 < 2^{61}
kaum größer ist als die für den Angreifer. Wenn man für insec(2^{36}, 2^{61} ,B)
eine Schranke \geq 2^{-55}
hätte, wäre insec(2^{36}, 2^{30}, 2^{60},S)
auch kleiner als 2^{-54}
. (Solche konkreten Schranken sind allerdings für kein konkretes Block-Kryptosystem bewiesen.)
Zahlentheorie und Algorithmen
Zu Aussagen, die mit (∗) markiert sind, gibt es Beweise oder Anmerkungen im Anhang A. Beweise von rein zahlentheoretischen Aussagen sind nicht prufungsrelevant. Beweise für Wahrscheinlichkeitsaussagen und Begründungen für Rechenzeiten von Algorithmen dagegen sind prüfungsrelevant.
Fakten aus der Zahlentheorie und grundlegende Algorithmen
Unsere Zahlenbereiche:
\mathbb{N}=\{ 0 , 1 , 2 , 3 ,...\}
,\mathbb{Z}=\{...,- 2 ,- 1 , 0 , 1 , 2 , 3 ,...\}
Wir stellen uns die Zahlen immer als zu einer passenden Basis b
dargestellt vor: Binärdarstellung, (Oktaldarstellung,) Dezimaldarstellung, Hexadezimaldarstellung, Darstellung zur Basis 256 (eine Ziffer ist ein Byte) oder 2^{32}
oder 2^{64}
(eine Ziffer ist ein 32- bzw. 64-Bit-Wort, passend für die Darstellung in einem Rechner).
Die Anzahl der Ziffern in der Darstellung von a\in\mathbb{N}
zur Basis b
ist \lceil log_b(a+1)\rceil
. Das ist etwa \frac{ln\ a}{ln\ b}=\frac{log\ a}{log\ b}
.
Verwendete Operationen: Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division mit Rest.
Wir nehmen an, dass zwei einziffrige Zahlen in Zeit O(1)
addiert und subtrahiert werden können (,,von der Hardware''). Addition zweier n-ziffriger Zahlen kostet dann Zeit O(n)
, Multiplikation einer n-ziffrigen und einer l-ziffrigen Zahl mit der Schulmethode kostet Zeit O(nl)
. Es gibt schnellere Verfahren: Karatsuba mit O(n^{1,59})
für zwei n-ziffrige Zahlen, Schönhage-Strassen (1977) sogar mit O(n\ log\ n\ log\ log\ n)
. Nach längerer Pause erschienen 2007 und 2008 Verbesserungen. Im März 2019 erschien eine Arbeit, die zeigt, wie man zwei n-Bit-Zahlen in Zeit O(n\ log\ n)
multiplizieren kann. Man vermutet, dass das optimal ist. (Nach aktuellem Stand ergeben sich Vorteile gegenüber Karatsuba aber erst für unrealistisch lange Zahlen.)
Fakt 4.1 Division mit Rest: Zu x\in\mathbb{Z}
und m\geq 1
gibt es ein r
mit 0\leq r < m
und ein q
mit x=qm+r
. Die Zahlen q
und r
sind eindeutig bestimmt.
Die Zahl r
(,,Rest'') bezeichnen wir mit x\ mod\ m
. Sie hat die Darstellung x-qm
, unterscheidet sich also von x
um ein Vielfaches von m
. Der Quotient q
wird mit x\ div\ m
bezeichnet.
Beispiel: 30 = 3*9 + 3, 30\ mod\ 9 = 3, -30 = (-4) *9 + 6, (-30)\ mod\ 9 = 6
.
Aufwand für Division mit Rest: Die Division einer n-ziffrigen Zahl durch eine l-ziffrige Zahl mit der Schulmethode kostet Zeit O(nl)
.
Wir sagen, dass eine ganze Zahl y
die ganze Zahl x
teilt (oder dass y
ein Teiler von x
ist), wenn x=qy
für eine ganze Zahl q
gilt. Oft schreibt man dafur kurz y|x
. Wenn y
kein Teiler von x
ist, schreiben wir y\not|x
.
Beispiel: 3|12,-3|12,-3|-12,-3|12,3|0,0|0
.
Beobachtungen: Die Teilbarkeitsrelation |
ist reflexiv und transitiv. Es handelt sich damit um eine ,,Präordnung'' (oft auch ,,Quasiordnung'' genannt). Zahlen x
und -x
können von ihr nicht unterschieden werden: Es gilt x|y\Leftrightarrow -x|y
und y|x\Leftrightarrow y|-x
, und weiter x|-x
und -x|x
. Die Präordnung ist also nicht antisymmetrisch. Sie ist auch nicht total, weil manche Elemente nicht verglichen werden können: 4\not|9
und 9\not|4
. Aus 0|x
folgt x=0
; für jede ganze Zahl y
gilt y|0
; also ist in dieser Präordnung 0
das eindeutig bestimmte größte Element. Für jede ganze Zahl x
gilt: 1|x
und -1|x
, also sind 1
und -1
kleinste Elemente. Wenn m\geq 1
ist, ist m|x
gleichbedeutend mit x\ mod\ m= 0
.
Fakt 4.2 Teilbarkeit: Für beliebige x,y,z\in\mathbb{Z}
gilt:
- Aus
x|y
undx|z
folgtx|uy+vz
für alleu,v\in\mathbb{Z}
. - Aus
x|y
folgtux|uy
für alleu\in\mathbb{Z}
. - Aus
x|y
undy|z
folgtx|z
(Transitivität). - Aus
x|y
undy\not= 0
folgt0<|x|\leq |y|
. - Aus
x|y
undy|x
folgt|x|=|y|
. Wenn zudemx,y\geq 0
gilt, folgtx=y
.
Einige Zahlen und ihre Teilbarkeitsbeziehungen. Beziehungen, die aus der Transitivität folgen, sind nicht eingetragen. Man erkennt
1
und -1
als kleinste Elemente und 0
als größtes Element der Teilbarkeitsbeziehung als Präordnung. Die Elemente in der Ebene unmittelbar über \{1,-1\}
sind die Primzahlen, positiv und negativ, also Zahlen x\not=\pm 1
, die durch keine Zahl außer \pm x
und \pm 1
teilbar sind.
Der Beweis ist eine einfache Übung.
Definition 4.3 Größter gemeinsamer Teiler:
- Für
x,y\in\mathbb{Z}
heißtt\in\mathbb{Z}
ein gemeinsamer Teiler vonx
undy
, wennt|x
undt|y
gilt. (Bemerkung: 1 ist stets gemeinsamer Teiler vonx
undy
.) - Für
x,y\in\mathbb{Z}
seiggT(x, y)
, der größte gemeinsame Teiler vonx
undy
, die (eindeutig bestimmte) nichtnegative Zahld
mit:d
ist gemeinsamer Teiler vonx
undy
;- jeder gemeinsame Teiler von
x
undy
ist Teiler vond
.
x,y\in\mathbb{Z}
heißen teilerfremd, wennggT(x,y)=1
gilt, d.h. wenn sie nicht beide0
sind und keine Zahl>1
beide teilt.
Bei Definition 4.3.2 stellt sich die Frage nach Existenz und Eindeutigkeit von ggT(x,y)
. Wir beweisen diese Eigenschaften im Anhang.
Wir bemerken, dass ggT(0,0) = 0
gilt. (Sei d = ggT(0,0)
. Weil 0|0
, folgt mit Def. 4.3.2 0|d
und damit d=0
.) Wenn x\not= 0
oder y\not= 0
gilt, kann es keinen gemeinsamen Teiler geben, der größer als max\{|x|,|y|\}
ist, und der größte gemeinsame Teiler ist auch größtmöglich im Sinn der gewöhnlichen Ordnung auf \mathbb{Z}
. Weil das Vorzeichen für die Teilbarkeit irrelevant ist, gilt stets ggT(x,y) = ggT(|x|,|y|)
, und man kann sich immer auf den Fall nichtnegativer Argumente beschränken. Weiter gilt $$ggT(x,y) = ggT(x+uy,y) \quad\quad(4.1), für beliebige
x,y,u\in\mathbb{Z}
. (Wenn d
gemeinsamer Teiler von x
und y
ist, dann teilt d
auch x+uy
. Wenn d
gemeinsamer Teiler von z=x+uy
und y
ist, dann teilt d
auch z-uy =x
. Also haben die Paare (x,y)
und (x+uy,y)
dieselbe Menge gemeinsamer Teiler, und es folgt ggT(x,y) = ggT(x+uy,y)
.)
Es gibt einen effizienten Algorithmus zur Ermittlung des größten gemeinsamen Teilers. Er beruht auf den Gleichungen
ggT(x,y) = ggT(|x|,|y|)
für allex,y\in\mathbb{Z}
,ggT(x,y) = ggT(y,x)
für allex,y\in\mathbb{Z}
,ggT(a,0) =a
füra\geq 0
,ggT(a,b) = ggT(b,a\ mod\ b)
füra\geq b >0
.
(1. gilt, weil Teilbarkeit das Vorzeichen ignoriert. 2. ist trivial. 3. folgt daraus, dass jede Zahl Teiler von 0
ist. 4. folgt aus 4.1 und 2., weil a\ mod\ b=a-qb
mit q=ba/bc
gilt.)
Wir setzen die Beobachtung in ein iteratives Verfahren um.
Algorithmus 4.1 Euklidischer Algorithmus:
- Input: Zwei ganze Zahlen
x
undy
. - Methode:
a,b:integer;a\leftarrow |x|;b\leftarrow |y|;
while\ b> 0\ repeat
(a,b)\leftarrow (b,amodb);
// simultane Zuweisung- return
a
.
Die eigentliche Rechnung findet in der while-Schleife statt. In dieser Schleife wird immer ein Zahlenpaar durch ein anderes ersetzt, das dieselben gemeinsamen Teiler hat wie x
und y
. Wenn der Algorithmus terminiert, weil der Inhalt b
von b
Null geworden ist, kann man den Inhalt von a
ausgeben.
Beispiel: Auf Eingabe x=10534, y=12742
ergibt sich der nachstehenden Tabelle angegebene Ablauf. Die Zahlen a_i
und b_i
bezeichnen den Inhalt der Variablen a
und b
, nachdem die Schleife in Zeilen 2-3
i-mal ausgeführt worden ist. Die Ausgabe ist 46 = ggT(10534,12742)
.
i | a_i |
b_i |
---|---|---|
0 | 10534 | 12742 |
1 | 12742 | 10534 |
2 | 10534 | 2208 |
3 | 2208 | 1702 |
4 | 1702 | 506 |
5 | 506 | 184 |
6 | 184 | 138 |
7 | 138 | 46 |
8 | 46 | 0 |
Fakt 4.4 Algorithmus 4.1 gibt ggT(x,y)
aus.
Wenn |x|<|y|
, hat der erste Schleifendurchlauf nur den Effekt, die beiden Zahlen zu vertauschen. Wir ignorieren diesen trivialen Schleifendurchlauf. Wir betrachten die Zahlen a
in a
und b
in b
. Es gilt stets a>b
, und b
nimmt in jeder Runde strikt ab, also terminiert der Algorithmus. Um einzusehen, dass er sogar sehr schnell terminiert, bemerken wir Folgendes. Betrachte den Beginn eines Schleifendurchlaufs. Der Inhalt von a
sei a
, der Inhalt von b
sei b
, mit a\geq b >0
. Nach einem Schleifendurchlauf enthält a
den Wert a′=b
und b
den Wert b′=a\ mod\ b
. Falls b′=0
, endet der Algorithmus. Sonst wird noch ein Durchlauf ausgeführt, an dessen Ende a
den Wert b′=a\ mod\ b
enthält. Wir behaupten: b′<\frac{1}{2} a
. Um dies zu beweisen, betrachten wir zwei Fälle: Wenn b>\frac{1}{2} a
ist, gilt b′=a\ mod\ b=a-b<\frac{1}{2} a
. Wenn b\leq\frac{1}{2} a
ist, gilt b′=a\ mod\ b < b\leq\frac{1}{2} a
. - Also wird der Wert in a
in jeweils zwei Durchläufen mindestens halbiert. Nach dem ersten Schleifendurchlauf enthält a
den Wert min\{x,y\}
. Daraus ergibt sich Teil 1. der folgenden Aussage.
Fakt 4.5
- Die Schleife in Zeilen
2-3
wird höchstens $O(log(min{x,y}))$-mal ausgeführt. - Die gesamte Anzahl von Ziffernoperationen für den Euklidischen Algorithmus ist
O((log\ x)(log\ y))
.
Man beachte, dass \lceil log(x+1)\rceil\approx log\ x
die Anzahl der Bits in der Binärdarstellung von x
ist. Damit hat der Euklidische Algorithmus bis auf einen konstanten Faktor denselben Aufwand wie die Multiplikation von x
und y
, wenn man die Schulmethode benutzt. (Der Beweis der Schranke in 2. benötigt eine Rechnung, die die Längen der beteiligten Zahlen genauer verfolgt.)
Beispiel:
21
und25
sind teilerfremd. Es gilt31*21 + (-26)*25 = 651-650 = 1
.- Auch
-21
und25
sind teilerfremd. Aus 1. folgt sofort(-31)*(-21) + (-26)*25 =651 -650 = 1
. - Es gilt
ggT(21,35) = 7
, und2* 35 - 3 *21 = 7
.
Die folgende sehr nützliche Aussage verallgemeinert diese Beobachtung:
Lemma 4.6... von Bezout
- Wenn
x,y\in\mathbb{Z}
teilerfremd sind, gibt ess,t\in\mathbb{Z}
mitsx+ty= 1
. - Für
x,y\in\mathbb{Z}
gibt ess,t\in\mathbb{Z}
mitsx+ty= ggT(x,y)
.
Wir geben einen Algorithmus an, der zu x
und y
die Werte s
und t
(sehr effizient) berechnet. Damit ist die Frage der Existenz natürlich gleich mit erledigt. Vorab bemerken wir noch, dass es eine Art Umkehrung von 1. gibt: Wenn sx+ty= 1
für ganze Zahlen s
und t
gilt, dann sind x
und y
teilerfremd. (Beweis: Alle gemeinsamen Teiler von x
und y
teilen auch 1
, sind also 1
oder -1
. Daraus folgt ggT(x,y) = 1
.)
Für den Algorithmus können wir o.B.d.A. annehmen, dass x,y\geq 0
gilt. Die Umrechnung für negative Inputs ist offensichtlich.
Algorithmus 4.2 Erweiterter Euklidischer Algorithmus:
- Eingabe: Natürliche Zahlen
x
undy
. - Methode:
a,b,sa,ta,sb,tb,q:integer;
a\leftarrow x; b\leftarrow y;
sa\leftarrow 1; ta\leftarrow 0; sb\leftarrow 0; tb\leftarrow 1;
- while
b> 0
repeatq\leftarrow a\ div\ b
;(a,b)\leftarrow (b,a-q*b)
;(sa,ta,sb,tb)\leftarrow (sb,tb,sa-q*sb,ta-q*tb)
;
- return$(a,sa,ta)$;
Genau wie im ursprünglichen Euklidischen Algorithmus findet die eigentliche Arbeit in der while-Schleife (Zeilen 4 - 7 ) statt.
Die Idee hinter dem Algorithmus ist folgende. Wie im (einfachen) Euklidischen Algorithmus werden in den Variablen a
und b
Zahlen a
und b
mit geführt, die stets ggT(a,b) =d= ggT(x,y)
erfüllen. Nach dem ersten Durchlauf gilt b\leq a
. Die Variablen sa,ta,sb
und t_b
enthalten immer Zahlenpaare (s_a,t_a)
und (s_b,t_b)
, die folgende Gleichungen erfüllen:
a=s_a*x+t_a*y
b=s_b*x+t_b*y \quad\quad(4.2)
Diese Gleichung wird durch die Initialisierung hergestellt. In einem Schleifendurchlauf wird a
durch b
ersetzt und (s_a,t_a)
durch (s_b,t_b)
, und es wird b
durch a-q*b
ersetzt sowie (s_b,t_b)
durch (s_a-q*s_b, t_a-q*t_b)
. Dadurch bleiben die Gleichungen (4.2) gültig. Wenn schließlich b=0
geworden ist, gilt d=ggT(x,y) =a=s_a*x+t_a*y
. Das bedeutet, dass die Ausgabe das gewünschte Ergebnis darstellt.
Als Beispiel betrachten wir den Ablauf des Algorithmus auf der Eingabe (x,y) =(10534,12742)
. Die Zahlen a_i,b_i,s_{a,i},t_{a,i},s_{b,i},t_{b,i}
bezeichnen den Inhalt von a,b,sa,ta,sb,tb
nach dem i-ten Schleifendurchlauf.
i |
a_i |
b_i |
s_{a,i} |
t_{a,i} |
s_{b,i} |
t_{b,i} |
q_i |
---|---|---|---|---|---|---|---|
0 | 10534 | 12742 | 1 | 0 | 0 | 1 | |
1 | 12742 | 10534 | 0 | 1 | 1 | 0 | |
2 | 10534 | 2208 | 1 | 0 | - | 1 | 1 |
3 | 2208 | 1702 | - | 1 | 1 | 5 - | 4 |
4 | 1702 | 506 | 5 | - | 4 | - 6 | 5 |
5 | 506 | 184 | - | 6 | 5 | 23 | - |
6 | 184 | 138 | 23 | - | 19 | - | 52 |
7 | 138 | 46 | - | 52 | 43 | 75 | - |
8 | 46 | 0 75 | - | 62 | - | 277 | 229 |
Die Ausgabe ist (46, 75 ,-62)
. Man überprüft leicht, dass
46 = ggT(10534,12742) = 75* 10534 - 62 * 12742
gilt. - Allgemein gilt:
Fakt 4.7: Wenn Algorithmus 4.2 auf Eingabe (x,y)
mit x,y\geq 0
gestartet wird, dann gilt:
- Für die Ausgabe
(d,s,t)
giltd= ggT(x,y) =sx+ty
. - Die Anzahl der Schleifendurchläufe ist dieselbe wie beim gewöhnlichen Euklidischen Algorithmus.
- Die Anzahl von Ziffernoperationen für Algorithmus 4.2 ist $O((log\ x)(log\ y)).
Wir notieren noch eine wichtige Folgerung aus dem Lemma von Bezout. Die Aussage ist aus der Schule bekannt: Wenn eine Zahl z.B. durch 3
und durch 5
teilbar ist, dann ist sie auch durch 15 teilbar. Dort benutzt man die Primzahlzerlegung zur Begründung. Diese ist aber gar nicht nötig.
Fakt 4.8: Wenn x
und y
teilerfremd sind und a
sowohl durch x
als auch durch y
teilbar ist, dann ist a
auch durch xy
teilbar.
Beweis: Weil x
und y
Teiler von a
sind, kann man a=ux
und a=vy
schreiben, für ganze Zahlen u,v
. Weil x
und y
teilerfremd sind, liefert Lemma 4.6.1 zwei ganze Zahlen s
und t
mit 1=sx+ty
. Dann ist a=asx+aty=vysx+uxty= (vs+ut)xy
, also ist xy
Teiler von a
.
Modulare Arithmetik
Definition 4.9: Für m\geq 2
definieren wir eine zweistellige Relation auf \mathbb{Z}
: x\equiv y (mod\ m)
heißt m|(x-y)
.
Man sagt: ,,$x$ ist kongruent zu y
modulo m
.'' In der Mathematik sieht man auch oft die kompaktere Notation x\equiv y(m)
oder x\equiv_m y
. Es besteht eine enge Beziehung zwischen dieser Relation und der Division mit Rest.
Fakt 4.10:
x\equiv y(mod\ m)
gilt genau dann wennx\ mod\ m=y\ mod\ m
gilt.- Die zweistellige Relation
*\equiv *(mod\ m)
ist eine Äquivalenzrelation, sie ist also reflexiv, transitiv und symmetrisch.
Beispiel für 1.: 29\ mod\ 12 = 53\ mod\ 12 = 5
und 53-29 = 24
ist durch 12
teilbar.
Der Beweis von 1. ist eine leichte Übung; 2. folgt sofort aus 1.
Die Kongruenzrelation * \equiv *(mod\ m)
führt (wie jede Äquivalenzrelation) zu einer Zerlegung der Grundmenge \mathbb{Z}
in Äquivalenzklassen (die hier ,,Restklassen'' heißen): [x]_m= [x] =\{y\in\mathbb{Z}|x\equiv y(mod\ m)\}=\{y\in\mathbb{Z}|x\ mod\ m=y\ mod\ m\}
. Wir definieren: m\mathbb{Z}:=\{...,-3m,-2m,-m,0,m,2m,3m,...\}
und x+A:=\{x+y|y\in A\}
, für A\supseteq Z
.
Beispiel: Für m=3
gibt es die drei Restklassen
[0] = [0]_3 =\{...,-6,-3,0,3,6,...\}= 0 + 3\mathbb{Z}
,[1] = [1]_3 =\{...,-5,-2,1,4,7,...\}= 1 + 3\mathbb{Z}
,[2] = [2]_3 =\{...,-4,-1,2,5,8,...\}= 2 + 3\mathbb{Z}
.
Mit den Restklassen kann man dann wieder rechnen: Addition und Multiplikation lassen sich wie folgt definieren.
[x]_m+ [y]_m := [x+y]_m
,[x]_m*[y]_m := [x*y]_m
Beispielsweise gelten für m=3
die Gleichheiten [4] + [5] = [9] = [0]
und [4]*[5] =[20] = [2]
.
Fakt 4.11: Diese Operationen sind wohldefiniert, d.h., aus x\equiv x′(mod\ m)
und y\equiv y′(mod\ m)
folgt [x+y]_m= [x′+y′]_m
und [x*y]_m= [x′*y′]_m
.
Der Beweis ist einfach. Weil x\equiv x′ (mod\ m)
und y\equiv y′ (mod\ m)
gilt, sind x-x′
und y-y′
durch m
teilbar. Also ist auch xy-x′y′=x(y-y′) + (x-x′)y′
durch m
teilbar, und es gilt x*y\equiv x′*y′ (mod\ m)
. Der Fall der Addition ist noch einfacher.
Aus der Definition und der Wohldefiniertheit ergibt sich, dass man anstatt mit Restklassen auch mit Repräsentanten rechnen kann. Statt ([5]_3 *[5]_3)*[2]_3 = [25]_3 *[2]_3 = [1]_3 *[2]_3 = [2]_3
schreibt man dann einfach (5*5)* 2 \equiv 25 * 2 \equiv 1 * 2 \equiv 2 (mod\ 3)
.
Fakt 4.11 besagt auch, dass an jeder Stelle einer solchen Rechnung jede Zahl durch eine dazu kongruente Zahl ersetzt werden darf, je nachdem, wie es bequem ist. Beispiel: (5*5)* 2 \equiv((-1)*(-1))*(-1) = (-1)^3 =- 1 \equiv 2 (mod\ 3)
. Da (x\ mod\ m)\equiv x(mod\m)
für alle x
und m\geq 1
gilt, kann man in ,,modulo-m-Rechnungen'' eine Zahl x
insbesondere immer durch ihren Rest modulo m ersetzen.
Beispiel: Um 13^7\ mod\ 11
zu berechnen, rechnet man 13^7\equiv 27\equiv 2^5*4 =32* 4\equiv (-1)*4 = -4\equiv 7(mod\ 11)
. Um 3^{1006}\ mod\ 7
zu berechnen, bemerkt man, dass 3^2\ mod\ 7=2
ist, also 3^{1006}\equiv 2^{503}(mod\ 7)
. Weil nun 2^3\ mod\ 7=1
gilt, folgt 2^{503}=(2^3)^{167} * 2^2 \equiv 1^{167}*4=4(mod\ 7)
.
Zu m\geq 1
betrachtet die Menge aller Restklassen: \mathbb{Z}_m:=\mathbb{Z}/m\mathbb{Z}:=\{[x]_m|x\in\mathbb{Z}\}=\{[x]| 0 \leq x<m\}
. Solange es nicht zu Missverständnissen führt, schreibt man auch \mathbb{Z}_m=\{x|0 \leq x < m\}
, zusammen mit ,,Addition modulo m'' und ,,Multiplikation modulo m''. Damit meint man, dass man mit den Repräsentanten der Restklassen rechnet, die in \{0,1 ,...,m-1\}
liegen.
Fakt 4.12: Für jedes m\geq 2
bildet die Menge \mathbb{Z}_m
mit den Operationen Addition modulo m und Multiplikation modulo m einen kommutativen Ring mit 1
.
Das heißt im Detail: Die Operationen +(mod\ m)
und *(mod\ m)
führen nicht aus dem Bereich \mathbb{Z}_m
heraus. Die Addition erfüllt alle Rechenregeln für kommutative Gruppen, d.h. sie ist kommutativ und assoziativ, es gibt ein neutrales Element, nämlich [0]
, und zu jedem [x]
gibt es ein Inverses -[x]=[-x]
. (Es gilt ja [x] + [-x] = [0]
. Beachte: Für 0 < x < m
gilt 0< m-x < m
und [x]+[m-x]=[m]=[0]
, also -[x]=[m-x]
. Insbesondere ist -[1]=[-1]=[m-1]
das additive Inverse zu [1]
.) Die Multiplikation ist assoziativ und kommutativ, und sie hat [1]
als neutrales Element ([1]*[x] = [x]*[1] = [x])
; für Addition und Multiplikation gelten die Distributivgesetze. (Siehe auch Bemerkung A.1 im Anhang.)
Lemma 4.13: Für jedes m\geq 2
ist die Abbildung \mathbb{Z}\rightarrow\mathbb{Z}_m ,x\rightarrow [x]
, ein Homomorphismus; d.h. für x,y\in\mathbb{Z}
gilt: [x+y]=[x]+[y]
und [x*y] = [x]*[y]
.
(Die folgt direkt aus Definition der Operationen.)
In vielen Anwendungen der Zahlentheorie in kryptographischen Verfahren kommt es darauf an, Potenzen x^y\ mod\ m
zu berechnen. Dabei kann y\geq 0
eine sehr große Zahl sein. Beispiel: 3^{1384788374932954500363985493554603584759389}\ mod\ 28374618732464817362847326847331872341234
Wieso kann ein Computer das Ergebnis (18019019948605604024937414441328931495971)
in Bruchteilen von Sekunden berechnen? Auf keinen Fall kann er y
Multiplikationen durchführen. Die folgende einfache rekursive Formel weist den Weg zu einer effizienten Berechnung:
x^y\ mod\ m=\begin{cases} 1\quad\quad\text{ , wenn } y=0,\\ x\ mod\ m\quad\quad\text{ , wenn } y= 1,\\ ((x^2 mod\ m)y/^2 ) mod\ m\quad\quad\text{ , wenn } y\geq 2 \text{ gerade ist},\\ (((x^2 mod\ m)^{(y-1)/^2} mod\ m)*x) mod\ m\quad\quad\text{ , wenn } y\geq 2 \text{ ungerade ist}.\end{cases}
Man beachte noch, dass \lfloor y\backslash 2\rfloor=\begin{cases} y/2\quad\quad\text{ für gerade y},\\ (y-1)/2\quad\quad\text{ für ungerade y}\end{cases}
. Diese Formeln führen unmittelbar zu folgender rekursiver Prozedur.
Algorithmus 4.3 Schnelle modulare Exponentiation, rekursiv
- function
modexp(x,y,m)
- Eingabe: Ganze Zahlen
x,y\geq 0
,m\geq 1
, mit0\leq x < m
. - Methode:
- if
y= 0
then return1
; - if
y= 1
then returnx
; z\leftarrow modexp((x*x) mod\ m,\lfloor y/2\rfloor,m);
// rekursiver Aufruf- if
y
ist ungerade thenz\leftarrow (z*x) mod\ m
- return
z
.
- if
Man erkennt sofort, dass in jeder Rekursionsebene die Bitanzahl des Exponenten y
um 1 sinkt, dass also die Anzahl der Rekursionsebenen etwa log\ y
beträgt. In jeder Rekursionsstufe ist eine oder sind zwei Multiplikationen modulo m auszuführen, was O((log\ m)^2)
Ziffernoperationen erfordert (Schulmethode).
Beispiel: Wir berechnen 13^{43} mod\ 19
.
i |
x^{2^i} mod\ 19 |
\lfloor y/2^i\rfloor |
Faktor (wenn \lfloor y/2^i\rfloor ungerade) |
|
---|---|---|---|---|
0 | x |
13 |
43 |
13 |
1 | x^2 |
13^2 \equiv (-6)^2 \equiv 36\equiv 17 |
21 |
17 |
2 | x^4 |
17^2 \equiv (-2)^2 = 4 |
(gerade) 10 |
- |
3 | x^8 |
4^2 = 16 |
5 |
16 |
4 | x^{16} |
16^2 \equiv (-3)^2 = 9 |
(gerade) 2 |
- |
5 | x^{32} |
9^2 \equiv (-10)^2 = 100\equiv 5 |
1 |
5 |
Produkt: x*x^2 *x^8 *x^{16} *x^{32} \equiv 13*17*16*5\equiv (-6)(-2)(-3)5 = -180\equiv -9\equiv 10
.
Lemma 4.14: Sei x<m
. Die Berechnung von x^y\ mod\ m
benötigt O(log\ y)
Multiplikationen und Divisionen modulo m von Zahlen aus \{0,...,m^2-1\}
, und damit O((log\ y)(log\ m)^2)
Ziffernoperationen.
Bemerkung: Man kann denselben Algorithmus in einem beliebigen Monoid (M,\circ,e)
(M\not=\varnothing
ist eine Menge,$\circ:M\times M \rightarrow M$ ist assoziative Operation mit neutralem Element e\in M
) benutzen. Monoide bilden zum Beispiel:
- (\mathbb{Z}_m ,*_m,1)
, wo *_m
die Multiplikation modulo m ist;
- (\mathbb{N},+,0)
: die natürlichen Zahlen mit der Addition (neutral: 0
);
- (\mathbb{N},*,1)
: die natürlichen Zahlen mit der Multiplikation (neutral: 1
);
- quadratische Matrizen über einem Ring mit
1
, mit Matrixmultiplikation (neutral: Einheitsmatrix); - die Menge
\sum^∗
aller Wörter über einem Alphabet\sum
, mit der Konkatenation (neutral: das leere Wort); - jede Gruppe(G,\circ,e)
(G ist die Grundmenge,\circ
die Operation unde
das neutrale Element.)
Wenn man nur eine assoziative Operation und kein neutrales Element hat, funktioniert der Algorithmus für Exponenten y\geq 1
.
Inverse in Restklassenringen
Wir untersuchen nun, wie es mit multiplikativen Inversen im Ring \mathbb{Z}_m =Z/m\mathbb{Z}
steht. Das heißt: Gegeben x\in\mathbb{Z}_m
, wann gibt es ein y\in\mathbb{Z}_m
mit xy\ mod\m= 1
? Wenn x=0
, geht das natürlich nie. Für 1\leq x<m
muss man genauer hinsehen.
Zunächst eine einfache Beobachtung:
Lemma 4.15: Für jedes m\geq 2
und alle x,y\in\mathbb{Z}
gilt: Wenn x\equiv y(mod\ m)
, dann gilt ggT(x,m)=ggT(y,m)
. (In Worten: Der größte gemeinsame Teiler von x
und m
hängt nur von der Restklasse [x] modulo\ m
ab.) Insbesondere gilt ggT(x,m) = ggT(x\ mod\ m,m)
.
Beweis: Sei x=y+am
. Dann ist jeder gemeinsame Teiler von x
und m
auch gemeinsamer Teiler von y
und m
und umgekehrt.
Wegen dieses Lemmas kann man auch unbesorgt ggT(x,m)
für Elemente x
von \mathbb{Z}_m =\mathbb{Z}/m\mathbb{Z}
schreiben. In diesem Ring spielen die Elemente, die ein multiplikatives Inverses haben, eine besondere Rolle.
Beispiel: Bei m=15
gilt 1*1=1
, 2*8 = 16\equiv 1
, 4*4 = 16\equiv 1
, 7*13 = 91\equiv 1
, 11*11 = 121\equiv 1
, 14* 14 \equiv (-1)^2 = 1 (mod\ 15)
. Bei den Zahlen 0, 3 , 5 , 6 , 9 , 10 , 12
findet man kein multiplikatives Inverses. (Beispiel: Jede Zahl 12*y-q*15
ist durch 3
teilbar, also kann 12*y\ mod\ 15
für kein y
gleich 1 sein.) Daher haben in \mathbb{Z}_{15}
die acht Zahlen 1, 2, 4, 7, 8, 11, 13, 14
ein multiplikatives Inverses modulo 15
, die anderen sieben Zahlen haben keines. - Die Elemente von \mathbb{Z}_{15}
mit einem multiplikativen Inversen sind genau die, die zu 15
teilerfremd sind.
Fakt 4.16: Für jedes m\geq 2
und jedes x\in\mathbb{Z}
gilt: Es gibt ein y
mit xy\ mod\ m=1
genau dann wenn ggT(x,m)=1
.
Beweis:
- ,,$\Rightarrow$'': Es sei
xy\ mod\ m= 1
. Das heißt: Es gibt einq\in\mathbb{Z}
mitxy-qm=1
. Dann teilt jeder gemeinsame Faktor vonx
undm
auch1
, also sindx
undm
teilerfremd. - ,,$\Leftarrow$'':
x
undm
seien teilerfremd. Nach dem Lemma von Bezout (Lemma 4.6.1) gibt ess,t\in\mathbb{Z}
mitsx+tm=1
. Setzey:=s\ mod\ m
. Dann gilt:(x*y) mod\ m= (x*(s\ mod\ m)) mod\ m=sx\ mod\ m= 1
.
Beispiel: x=22
und m=15
sind teilerfremd. Mit dem erweiterten Euklidischen Algorithmus findet man s=-2
und t=3
, so dass sx+tm=(-2)*22 + 3*15 =-44 + 45 = 1
gilt. Setze y=(-2)\ mod\ 15 = 13
. Man kontrolliert: 22*13 =286=19 *15 + 1\equiv 1\ mod\ 15
.
Wir bemerken allgemein: Mit dem erweiterten Euklidischen Algorithmus 4.2 berechnet man leicht d
und Koeffizienten s,t\in\mathbb{Z}
mit sx+tm= d= ggT(x,m)
. Wenn d>1
ist, gibt es kein Inverses zu x
in \mathbb{Z}_m
. Wenn d=1
ist, folgt sx\ mod\ m=1
, also ist s\ mod\ m
das gewünschte inverse Element. Die Rechenzeit für das Berechnen des ,,modularen Inversen'' beträgt also O((log\ x)(log\ m))
.
Die Menge der invertierbaren Elemente von \mathbb{Z}_m
erhält eine eigene Bezeichnung.
Definition 4.17: Für m\geq 2
sei \mathbb{Z}^∗_m:=\{x\in\mathbb{Z}_m| ggT(x,m)=1\}
.
(Wieder sind eigentlich die Restklassen [x]_m, 0\leq x < m, ggT(x,m) = 1
, gemeint.)
Fakt 4.18: Für jedes m\geq 2
gilt: \mathbb{Z}^*_m
mit der Multiplikation modulo m als Operation ist eine (kommutative) Gruppe.
Beispiel: \mathbb{Z}^*_{21}=\{1,2,4,5,8,10,11,13,16,17,19,20\}
und \mathbb{Z}^*_7=\{1,2,3,4,5,6\}
.
Wir haben 8*16 \equiv 128 \equiv 2 (mod\ 21)
, mit 2\in\mathbb{Z}^*_{21}
. Für 17\in\mathbb{Z}^_{21}
gibt es das Inverse 5
, denn 17*5 = 85\equiv 1 (mod\ 21)
.
Aus den Gruppeneigenschaften weiß man, dass Inverse eindeutig bestimmt sind. Für das Inverse von x
(wenn es existiert) schreiben wir x^{-1} mod\ m
(gemeint ist die Restklasse oder der eindeutig bestimmte Repräsentant in \{0,1 ,...,m-1\}
).
Am schönsten ist die Situation, wenn alle Zahlen 1,...,m-1
in \mathbb{Z}^*_m
liegen. Das heißt insbesondere, dass keine der Zahlen 2, 3 ,...,m-1
die Zahl m
teilt. Um diese Situation zu beschreiben, definieren wir vorläufig den Begriff der Primzahl. Man erinnere sich, dass jede ganze Zahl x
durch x
und -x
sowie durch 1
und -1
teilbar ist.
Eine ganze Zahl p\geq 1
heißt Primzahl, wenn p
genau zwei positive Teiler hat, nämlich 1
und p
. Die Folge der Primzahlen beginnt mit 2, 3 , 5 , 7 , 11 , 13 , 17 , 19 , 23 ,....
Fakt 4.19 (∗): Für jedes m\geq 2
sind folgende Aussagen äquivalent:
m
ist eine Primzahl.\mathbb{Z}^*_m=\{ 1 ,...,m-1\}
.\mathbb{Z}_m
ist ein Körper.
Der Beweis erfolgt durch einen Ringschluss.
- ,,1.
\Rightarrow
2.'': Seim
Primzahl. Dann kann für kein Elementx\in\{1 ,...,m-1\}
die BeziehungggT(x,m)>1
gelten, weil sonst die ZahlggT(x,m)
ein Teiler vonm
strikt zwischen1
undm
wäre. - ,,2.
\Rightarrow
3.'': Wenn\mathbb{Z}^*_m=\{1 ,...,m-1\}
gilt, hat nach Fakt 4.16 jedes Element von\mathbb{Z}_m -\{0\}
ein multiplikatives Inverses. Das ist genau die Eigenschaft, die dem Ring\mathbb{Z}_m
zum Körper fehlt. - ,,3.
\Rightarrow
1.'': Das beweisen wir durch Kontraposition. Sei also 1. falsch, d.h. seim
keine Primzahl. Dann gibt es einx\in\{2,...,m-1\}
, das Teiler vonm
ist. Insbesondere istggT(x,m) =x >1
. - Mit Fakt 4.16 folgt, dass
x
kein multiplikatives Inverses modulom
hat, also ist\mathbb{Z}_m
kein Körper, d.h. 3. ist falsch.
Beispiel: m=13
. Wir geben für jedes x\in\mathbb{Z}^*_{13}
das Inverse y
sowie das Produkt x*y
an (das natürlich bei der Division durch 13
Rest 1
lassen muss).
x | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
y | 1 | 7 | 9 | 10 | 8 | 11 | 2 | 5 | 3 | 4 | 6 | 12 |
x*y |
1 | 14 | 27 | 40 | 40 | 66 | 14 | 40 | 27 | 40 | 66 | 144 |
14
ist keine Primzahl, und es gibt keine Zahl y
mit 2*y\ mod\ 14 = 1
; das heißt, dass 2\not\in\mathbb{Z}^*_{14}
und daher, dass \athbb{Z}_{14}
kein Körper ist.
Wir notieren noch einen altehrwürdigen Satz aus der Zahlentheorie. Der Satz wurde von Pierre de Fermat, 1607-1665, einem französischen Mathematiker und Juristen, gefunden.
Fakt 4.20 (Kleiner Satz von Fermat): Wenn p
eine Primzahl ist, dann gilt: a^{p-1}\ mod\ p= 1
, für jedes a\in\mathbb{Z}^*_p
.
Beweis: Sei a\in\mathbb{Z}^*_p
gegeben. Betrachte die Abbildung g_a: \mathbb{Z}^*_p \owns s\rightarrow as\ mod\ p\in\mathbb{Z}^*_p
. Diese Abbildung ist injektiv, da für das zu a
inverse Element b=a^{-1}\ mod\ p
gilt: b*g_a(s)\ mod\ p=b(as)\ mod\ p=((ba)\ mod\ p)s\ mod\ p=s
. Also gilt: \{1,...,p-1\}=\{g_a(1),...,g_a(p-1)\}
.
Wir multiplizieren die Zahlen 1,...,p-1
in zwei Anordnungen: 1*...*(p-1)\ mod\ p =g_a(1) *...*g_a(p-1)\ mod\ p=a^{p-1} *(1*...*(p-1)\ mod\ p)
.
Wenn wir beide Seiten mit dem multiplikativen Inversen von X:= 1*...*(p-1)\ mod\ p
multiplizieren, erhalten wir 1=a^{p-1}\ mod\ p
.
Wir bemerken, dass auch eine gewisse Umkehrung gilt, sogar für beliebige m
: Wenn a^{m-1}\ mod\ m=1
ist, d.h. a^{m-1}-qm=1
für ein q
, dann folgt ggT(a,m)=1
. Wenn also a\in\mathbb{Z}_m -\mathbb{Z}^*_m
, dann gilt auf jeden Fall a^{m-1}\ mod\ m\not= 1
.
Der Chinesische Restsatz
Der ,,Chinesische Restsatz'' besagt im Wesentlichen, dass für teilerfremde Zahlen m
und n
die Strukturen \mathbb{Z}_m \times\mathbb{Z}_n
(mit komponentenweisen Operationen) und \mathbb{Z}_{mn}
isomorph sind.
Wir beginnen mit einem Beispiel, nämlich m=3,n=8
, also mn=24
. Die folgende Tabelle gibt die Reste der Zahlen x\in\{0,1,...,23\}\ modulo\ 3
und modulo\ 8
an. Die Restepaare wiederholen sich zyklisch für andere x\in\mathbb{Z}
.
x | 0 | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 | 18 | 19 | 20 | 21 | 22 | 23 | ||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
x mod 3 | 0 | 1 | 2 | 0 | 1 | 2 | 0 | 1 | 2 | 0 | 1 | 2 | 3 | 0 | 1 | 2 | 0 | 1 | 2 | 0 | 1 | 2 | 0 | 1 | 2 | |||
x mod 8 | 0 | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 0 | 1 | 2 | 3 | 8 | 4 | 5 | 6 | 7 | 0 | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 |
Wenn wir die Einträge in Zeilen 2 und 3 als 24 Paare in \mathbb{Z}_3 \times\mathbb{Z}_8
ansehen, erkennen wir, dass sie alle verschieden sind, also auch alle Möglichkeiten in \{0,1,2\}\times\{0,1,...,7\}
abdecken. D.h.: Die Abbildung x\rightarrow (x\ mod\ 3,x\ mod\ 8)
ist eine Bijektion zwischen \mathbb{Z}_{24}
und \mathbb{Z}_3\times\mathbb{Z}_8
. Zudem spiegeln sich arithmetische Operationen auf den Elementen von \mathbb{Z}_{24}
in den Resten modulo 3
und 8
wider. Beispielsweise liefert die Addition von (2,7)
und (2,1)
das Resultat (1,0)
, das der Addition von 23
und 17
mit dem Resultat 40\ mod\ 24 = 16
entspricht. Genauso ist (2^5\ mod\ 3, 3^5\ mod\ 8)=(2,3)
, was der Beobachtung 11^5\ mod\ 24 = 11
entspricht.
Der Chinesische Restsatz sagt im wesentlichen, dass eine solche strukturelle Entsprechung zwischen den Resten modulo mn
und Paaren von Resten modulo m
bzw. n
immer gilt, wenn m
und n
teilerfremd sind.
Fakt 4.21 Chinesischer Restsatz (∗): m
und n
seien teilerfremd. Dann ist die Abbildung \Phi:\mathbb{Z}_{mn} \owns x \rightarrow (x\ mod\ m, x\ mod\ n)\in\mathbb{Z}_m\times\mathbb{Z}_n
bijektiv. Weiterhin: Wenn \Phi(x)=(x_1,x_2)
und \Phi(y)=(y_1,y_2)
, dann gilt:
\Phi(x+_{mn} y) = (x_1 +_m y_1 , x_2 +_n y_2)
\Phi(x*_{mn} y) = (x_1 *_m y_1 , x_2 *_n y_2)
\Phi(1) = (1,1)
(Dabei bezeichnen +_j
und *_j
die Addition und die Multiplikation modulo j
.)
Für mathematisch-strukturell orientierte Leser/innen: Die Gleichungen 1. bis 3. kann man etwas abstrakter auch so fassen, dass die Abbildung \Phi
ein Ring-mit-1-Isomorphismus zwischen \mathbb{Z}_{mn}
und \mathbb{Z}_m \times\mathbb{Z}_n
ist.
Man kann sich noch fragen, wie man nötigenfalls zu gegebenen Zahlen s\in\mathbb{Z}_m
und t\in\mathbb{Z}_n
die Zahl x\in\mathbb{Z}_{mn}
berechnen kann, die \Phi(x)=(s,t)
erfullt. Dazu betrachtet man zunächst den Fall s=1
und t=0
. Weil m
und n
teilerfremd sind, kann man mit dem erweiterten Euklidischen Algorithmus ein u\in\mathbb{Z}_{m}
mit un\ mod\ m=1
finden. Wir setzen y=un\in\mathbb{Z}_{mn}
. Dann gilt y\ mod\ m=1
und y\ mod\ n=0
. Analog findet man ein z\in\mathbb{Z}_{mn}
mit z\ mod\ m=0
und z\ mod\ n=1
. Nun setzen wir x:=(sy+tz)\ mod\ mn\in\mathbb{Z}_{mn}
. Wir haben, modulo m
gerechnet: x\equiv sy+tz\equiv s*1+t* 0 \equiv s\ (mod\ m)
. Analog ergibt sich x\equiv sy+tz\equiv s*0+t*1 \equiv t(mod\ n)
, wie gewünscht. Der Berechnungsaufwand für das Finden von x
ist O((log\ m)(log\ n))
Ziffernoperationen, das geht also sehr schnell.
Beispiel: m=5,n=8,s=3,t=7
. Wir finden u=2
mit u*8\ mod\ 5 = 1
und y= 2*8=16
sowie v=5
mit v*5\ mod\ 8=1
und z=5*5=25
. Nun setzen wir x=(3*16+7*25) \ mod\ 40=(48+175)\ mod\ 40 = (8 + 15)\ mod\ 40 = 23
. Und tatsächlich: 23\ mod\ 5 = 3
und 23\ mod\ 8 = 7
.
Wir wollen noch untersuchen, wie sich Zahlen, die zu m
und n
teilerfremd sind, in der Sichtweise des Chinesischen Restsatzes verhalten.
Proposition 4.22 (∗): Wenn man die Abbildung \Phi
aus dem Chinesischen Restsatz auf \mathbb{Z}^*_{mn}
einschränkt, ergibt sich eine Bijektion zwischen \mathbb{Z}^*_{mn}
und \mathbb{Z}^*_m\times\mathbb{Z}^*_n
.
Bemerkung: Der Chinesische Restsatz und die nachfolgenden Bemerkungen und Behauptungen lassen sich leicht auf r>2
paarweise teilerfremde Faktoren $n_1,...,n_r$
verallgemeinern. Die Aussagen lassen sich durch vollständige Induktion über r
beweisen. Mit Prop. 4.22 können wir eine übersichtliche Formel für die Kardinalitäten der Mengen \mathbb{Z}^*_m, m\geq 2
, entwickeln.
Definition 4.23 (Eulersche $\varphi$-Funktion): für m\geq 2
sei \varphi(m):=|\mathbb{Z}^*_m| =|\{x| 0<x<m,ggT(x,m) = 1\}|
.
Einige Beispielwerte, die man durch Aufzählen findet, sind in folgender Tabelle angegeben.
[Tabelle 2: Eulersche $\varphi$-Funktion für kleine $m$]
m | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 | 18 | 19 | 20 | ||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
\varphi(m) |
1 | 2 | 2 | 4 | 2 | 6 | 4 | 6 | 4 | 10 | 4 | 12 | 6 | 8 | 8 | 16 | 6 | 18 | 8 |
Folgendes ist eine unmittelbare Konsequenz aus Proposition 4.22:
Lemma 4.24: Für teilerfremde Zahlen n
und m
gilt \varphi(mn)=\varphi(m)*\varphi(n)
.
(Man teste 20=4*5
und 12=3*4
.)
Wir können den kleinen Satz von Fermat (Fakt 4.20) auf den Fall beliebiger m
verallgemeinern. Auch der Beweis ist sehr ähnlich.
Fakt 4.25 (Satz von Euler)(∗): für m\geq 2
und x
mit ggT(m,x) = 1
gilt: x\varphi(m)\ mod\ m=1
.
Wenn m
viele verschiedene kleine Primfaktoren hat, kann \varphi(m)
auch deutlich kleiner sein als m
, z.B. \varphi(210) =\varphi(2*3*5*7)=1*2*4*6=48
. Es gilt aber: \varphi(m) =m-1
, wenn m
eine Primzahl ist, und \varphi(m)\geq \pi(m) =|\{p\leq m|\text{p ist Primzahl}\}|
, wenn m
zusammengesetzt ist.
Primzahlen
Jede positive ganze Zahl x
ist durch 1 und durch x
teilbar.
Definition 4.26:
- Eine Zahl
p\geq 1
heißt Primzahl, wennp
genau zwei positive Teiler hat. Diese Teiler sind dann1
undp
. (Die Zahl 1 hat nur einen positiven Teiler, nämlich 1. Also ist 1 keine Primzahl.) - Eine Zahl
x\geq 1
heißt zusammengesetzt, wenn sie einen Teilery
mit1<y < x
besitzt. (Die Zahl 1 besitzt keinen Teilery
mit1<y<1
. Also ist 1 nicht zusammengesetzt.)
Bemerkung: Ein Blick auf die Teilbarkeitsbeziehung zeigt, welche besondere Rolle 1,-1, 0
und die Primzahlen spielen. Die Zahlen 1
und -1
bilden das Minimum in der Teilbarkeitsrelation, die Primzahlen sitzen unmittelbar darüber, und die zusammengesetzten Elemente liegen strikt über den Primzahlen. Die 0
, als Maximum in der Ordnung, sitzt strikt über allen zusammengesetzten Zahlen.
Fakt 4.27: Wenn p
eine Primzahl ist und p|xy
gilt, dann gilt p|x
oder p|y
.
Beweis: Wenn p|x
, sind wir fertig. Also können wir p\not|x
annehmen. Das heißt, dass ggT(p,x) = 1
ist. Nach dem Lemma von Bezout können wir 1 =sp+tx
schreiben, für ganze Zahlen s,t
. Daraus folgt: y=spy+txy
. Nun ist xy
durch p
teilbar, also auch y=spy+txy
.
Satz 4.28 (Fundamentalsatz der Arithmetik) (∗): Jede ganze Zahl x\geq 1
kann als Produkt von Primzahlen geschrieben werden. Die Faktoren sind eindeutig bestimmt (bis auf die Reihenfolge).
Mit Hilfe von Lemma 4.24 können wir nun eine Formel für \varphi(m) =|\mathbb{Z}^*_m|
angeben, die auf der Primzahlzerlegung beruht.
Lemma 4.29: für m\geq 2
gilt \varphi(m)=m*\sum_{p\ prim, p|m} (1-\frac{1}{p}
)
Beweis: Wenn m
eine Primzahlpotenz p^t
ist, dann besteht \mathbb{Z}^*_m
aus den Zahlen in \mathbb{Z}_m=\{0,1,...,p^t-1\}
, die nicht durch p
teilbar sind. Da es in \mathbb{Z}_m
insgesamt p^t
Zahlen gibt und p^{t-1}
Vielfache von p
, gilt \varphi(m)=p^t-p^{t-1} =m-m/p=m(1-1/p)
. Nun nehmen wir an, dass m=p^{t_1}_1 ...p^{t_s}_s
gilt, für verschiedene Primzahlen p_1,...,p_s
und t_1,...,t_s\geq 1
. Die Faktoren p^{t_1}_1,...,p^{t_s}_s
sind teilerfremd. denn wenn etwa p^{t_1}_1
und p^{t_2}_2...p^{t_s}_s
einen gemeinsamen Teiler >1
hätten, dann wäre p_1
Teiler von p^{t_2}_2...p^{t_s}_s
, was sofort einen Widerspruch zur Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung ergibt. Mit Lemma 4.24, $(s-1)$-mal angewendet, erhalten wir \varphi(m) =\prod^s_{i=1} \varphi(p^{t_i}_i) = \prod^s_{i=1} (p^{t_i}_i (1-1/p_i)) =m* \prod^s_{i=1} (1-\frac{1}{p_i})
.
Mit dieser Formel lassen sich die Werte in Tabelle 2 schnell verifizieren. (Beispiel: \varphi(12) = 12(1-1/2)(1-1/3) = 12*(1/2)*(2/3) = 4
) Man beachte als Spezialfall: Wenn m=pq
für verschiedene Primzahlen p
und q
, dann ist \varphi(m)=pq(1-1/p)(1-1/q) =(p-1)(q-1)
. (Beispiel: \varphi(15) =2*4=8
)
Bemerkung: Die einfache Formel in Lemma 4.29 könnte zu dem Schluss verleiten, dass sich \varphi(m)
zu gegebenem m
immer leicht berechnen lässt. Aber Achtung: Man muss dazu die Menge der Primfaktoren von m
kennen. Dies läuft darauf hinaus, dass Faktorisierungsproblem für m
zu lösen, also einen beliebigen Primfaktor für m
zu finden, und hierfür kennt man keine effizienten Algorithmen. Tatsächlich ist auch
kein effizienter Algorithmus bekannt, der es erlaubt, \varphi(m)
aus m
zu berechnen.
Fakt 4.30: Jede zusammengesetzte Zahl x
besitzt einen Primfaktor p
mit p\leq\sqrt{x}
.
Beweis: Man schreibt x=yz
für Zahlen y
und z
, die weder 1 noch x
sind. Es ist nicht möglich, dass beide größer als \sqrt{x}
sind. Der kleinere Faktor enthält also einen Primfaktor, der nicht größer als \sqrt{x}
ist.
Bemerkung: Wir betrachten das resultierende naive Faktorisierungsverfahren: Teste die Zahlen in \{2,...,\lfloor\sqrt{x}\rfloor\}
nacheinander darauf, ob sie x
teilen; wenn ein Faktor p
gefunden wurde, wende dasselbe Verfahren auf x'=x/p
an. Dieses Verfahren hat im schlechtesten Fall Rechenzeit mindestens Θ(\sqrt{x}) = Θ(2^{(log\ x)/ 2})
, also exponentiell in der Bitlänge von x
. Wie wir später genauer diskutieren werden, sind für das Auffinden der Primzahlzerlegung einer gegebenen Zahl x
überhaupt keine effizienten Algorithmen bekannt (also Algorithmen mit Laufzeiten O((log\ x)^c)
für konstantes c
). Aber es gibt effiziente Algorithmen, mit denen man feststellen kann, ob eine Zahl x
eine Primzahl ist oder nicht. Dieser Unterschied in der Schwierigkeit des Faktorisierungsproblems und des Primzahlproblems liegt einer ganzen Reihe von kryptographischen Verfahren zugrunde.
Satz 4.31 (Euklid): Es gibt unendlich viele Primzahlen.
Beweis: Wenn \{p_1,...,p_k\}
, für k\geq 1
, eine endliche Menge von (verschiedenen) Primzahlen ist, betrachten wir die Zahl x=1+p_1...p_k
. Die Zahl x
kann durch keine der Zahlen p_1,...,p_k
teilbar sein, sonst wäre 1
durch diese Primzahl teilbar, was nicht möglich ist. Also sind alle Primfaktoren in der Primzahlzerlegung von x
von p_1,...,p_k
verschieden, es muss also außer p_1,...,p_k
noch weitere Primzahlen geben.
Über die Verteilung der Primzahlen (ihre ,,Dichte'') in N
gibt der berühmte Primzahlsatz Auskunft. Mit \pi(x)
bezeichnen wir die Anzahl der Primzahlen, die nicht größer als x
sind.
Satz 4.32 Primzahlsatz: lim_{x\rightarrow \infty} \frac{\pi(x)}{x\backslash ln\ x}= 1
Das heißt, dass für große x
in (x,2x]
etwa \frac{2x}{ln(2x)}-\frac{x}{ln\ x}\approx \frac{x}{ln\ x}
Primzahlen zu erwarten sind. Die $n$-Bit-Zahlen bilden das Intervall [2^{n-1} , 2n)
. Der Anteil der Primzahlen in diesem Intervall ist näherungsweise \frac{2^{n-1} /ln(2^{n-1})}{2^{n-1}}\approx \frac{1}{(ln\ 2)(n-1)}\approx 1,44/n
.
Für n\approx 2000
ist der relative Anteil von Primzahlen im interessanten Zahlenbereich also \approx 1,44/2000\approx 1/1400
. Er sinkt umgekehrt proportional zur Ziffernzahl.
Eine schärfere Form des Primzahlsatzes ist folgende Aussage (wobei der Beweis Nichtspezialisten nicht zugänglich ist): \frac{x}{ln\ x}(1+\frac{1}{ln\ x})\leq \pi(x)\leq \frac{x}{ln\ x}(1+\frac{1,2762}{ln\ x})
.
Für x\geq 500 000
folgt daraus: \frac{x}{ln\ x}< \pi(x)< 1, frac{x}{ln\ x}
.
Daraus folgt, dass für n\geq 20
der Anteil der Primzahlen unter den n-Bit-Zahlen folgende Ungleichung erfüllt: \frac{|\{p\in [2^{n-1}, 2^n)| \text{p is prime}\}|}{2^{n-1} = \frac{\pi(2^n)-\pi(2^{n-1})}{2^{n-1}} \geq \frac{2^n\backslash (n\ ln\ 2)- 1,1*2^{n-1}\backslash ((n-1)ln\ 2)}{2^{n-1}}\geq \frac{2}{n\ ln\ 2}-\frac{1,1}{n\ ln\ 2}*\frac{n}{n-1}\geq \frac{6}{5n}
.
Mit Hilfe eines Computeralgebraprogramms findet man heraus, dass die Ungleichung |\{p\in [2^{n-1}, 2^n)|\text{ p is prime}\}|/2^{n-1} \geq 6 /(5n)
auch für 9\leq n\leq 20
gilt. (Für n=8
ist sie falsch.) Man kann sich also merken: für n\geq 9
ist der Anteil der Primzahlen an den n-Bit-Zahlen mindestens \frac{6}{5n}
.
Ziffernzahl n |
Dusart-Schranke (\pi(2^n)-\pi(2^{n-1}))\backslash 2^{n-1} |
für numerische untere Schranke |
---|---|---|
256 |
\frac{6}{5*256} |
\geq \frac{1}{214} |
512 |
\frac{6}{5*512} |
\geq \frac{1}{427} |
1024 |
\frac{6}{5*1024} |
\geq\frac{1}{854} |
2048 |
\frac{6}{5*2048} |
\geq\frac{1}{1707} |
Eine leichter zu beweisende Aussage der Art \pi(2m)-\pi(m) = O(m/log\ m)
ist die folgende:
Satz 4.33 Ungleichung von Finsler: Für jede ganze Zahl m\geq 2
liegen im Intervall (m, 2m]
mindestens m/(3\ ln(2m))
Primzahlen: \pi (2m)-\pi(m)\geq \frac{m}{3\ ln(2m)}
.
Ein vollständiger, vergleichsweise einfacher Beweis für Satz 4.33 findet sich zum Beispiel in dem Lehrbuch ,,Elemente der Diskreten Mathematik: Zahlen und Zählen, Graphen und Verbände'' von Diekert, Kufleitner, Rosenberger (De Gruyter 2013).
Der Primzahltest von Miller und Rabin
In diesem Abschnitt lernen wir einen randomisierten Algorithmus kennen, der es erlaubt, zu einer gegebenen Zahl N
zu entscheiden, ob N
eine Primzahl ist oder nicht.
Ein idealer Primzahltest sieht so aus:
- Eingabe: Eine natürliche Zahl
N\geq 3
. - Ausgabe:
0
, fallsN
eine Primzahl ist;1
, fallsN
zusammengesetzt ist.
Wozu braucht man Primzahltests? Zunächst ist die Frage ,,Ist N
eine Primzahl?'' eine grundlegende mathematisch interessante Fragestellung. Spätestens mit dem Siegeszug des RSA-Kryptosystems hat sich die Situation jedoch dahin entwickelt, dass man Algorithmen benötigt, die immer wieder neue vielziffrige Primzahlen (etwa mit 1000 oder 1500 Bits bzw. 301 oder 452 Dezimalziffern) bereitstellen können. Den Kern dieser Primzahlerzeugungs-Verfahren bildet ein Verfahren, das eine gegebene Zahl N
darauf testet, ob sie prim ist. Ein naiver Primzahltest (,,versuchsweise Division''), der dem brute-force-Paradigma folgt, findet durch direkte Division der Zahl N
durch 2,3,4,...,\lfloor\sqrt{N}\rfloor
heraus, ob N
einen nichttrivialen Teiler hat. Man kann dieses Verfahren durch einige Tricks beschleunigen, aber die Rechenzeit wächst dennoch mit O(\sqrt{N})
. Dies macht es für Zahlen mit mehr als 40
Dezimalstellen praktisch undurchführbar, von Zahlen mit mehr als 100
Dezimalstellen ganz zu schweigen. (Achtung: Damit wird nichts über den Zeitaufwand bei anderen Faktorisierungsalgorithmen gesagt. Es gibt andere, sehr fortgeschrittene Faktorisierungsalgorithmen, die bei entsprechendem Zeitaufwand und mit sehr leistungsstarken Rechnern auch noch mit $200$-stelligen Zahlen zurechtkommen. Für Information zu früheren und aktuelleren Faktorisierungserfolgen siehe z.B. http://en.wikipedia.org/wiki/RSA_numbers)
In diesem Abschnitt beschreiben wir den randomisierten Primzahltest von Miller-Rabin. Dabei handelt es sich um einen ,,Monte-Carlo-Algorithmus mit einseitigem Fehler''. Das heißt: Auf Eingaben N
, die Primzahlen sind, wird immer 0
ausgegeben; auf Eingaben N
, die zusammengesetzt sind, gibt es eine gewisse (von N
abhängige) Wahrscheinlichkeit, dass die Ausgabe 0
, also falsch ist. Für kein zusammengesetztes N
ist diese Wahrscheinlichkeit größer als die ,,Fehlerschranke'' \frac{1}{4}
. Wir beweisen nur die Fehlerschranke \frac{1}{2}
. Im Beweis benutzen wir einfache zahlentheoretische Überlegungen. Eine herausragende Eigenschaft des Miller-Rabin-Tests ist seine Effizienz. Wir werden sehen, dass selbst bei Verwendung der Schulmethoden für Multiplikation und Division die Anzahl der Ziffernoperationen des Primzahltests nur O((log\ N)^3)
ist.
Bemerkung: Der Miller-Rabin-Algorithmus stammt aus dem Jahr 1977; er folgte einem kurz vorher vorgestellten anderen randomisierten Primzahltest (Solovay-Strassen-Test). Für diesen und andere randomisierte Primzahltests (z.B. der ,,Strong Lucas Probable Prime Test'' oder der ,,Quadratic Frobenius Test'' von Grantham) sei auf die Literatur verwiesen. Im Jahr 2002 stellten Agarwal, Kayal und Saxena einen deterministischen Primzahltest mit polynomieller Rechenzeit vor. (Die Rechenzeit ist z.B. durch O((log\ N)^{7,5})
beschränkt.) Dieser Algorithmus stellte insofern einen gewaltigen Durchbruch dar, als er ein Jahrhunderte altes offenes Problem löste, nämlich die Frage nach einem effizienten deterministischen Verfahren für das Entscheidungsproblem ,,ist N
Primzahl oder zusammengesetzt''? Andererseits ist seine Laufzeit im Vergleich etwa zu dem hier diskutierten randomisierten Verfahren so hoch, dass nach wie vor die randomisierten Algorithmen benutzt werden, um für kryptographische Anwendungen Primzahlen zu erzeugen.
Da gerade Zahlen leicht zu erkennen sind, beschränken wir im Folgenden unsere Überlegungen auf ungerade Zahlen N\geq 3
.
Der Fermat-Test
Wir erinnern uns an Fakt 4.20, den Kleinen Satz von Fermat: Wenn p
eine Primzahl ist und 1\leq a < p
, dann gilt a^{p-1} mod\ p=1
.
Wir können diese Aussage dazu benutzen, um ,,Belege'' oder ,,Zertifikate'' oder ,,Zeugen'' dafür anzugeben, dass eine Zahl N
zusammengesetzt ist: Wenn wir eine Zahl a
mit 1\leq a < N
finden, für die a^{N-1} mod\ N\not=1
gilt, dann ist N
definitiv keine
Primzahl.
Beispiel: Mit N=15
und a=2
rechnen wir: 2^{14}\equiv (2^4)^3 * 2^2 \equiv 16^3*4 \equiv 1*4\equiv 4 (mod\ 15)
. Also ist 2^{14} mod\ 15 = 4\not= 1
, also ist 15
definitiv keine Primzahl. (Man beachte, dass wir keinen Faktor angeben müssen, um zu diesem Schluss zu kommen.)
Definition 4.34: Sei N\geq 3
ungerade und zusammengesetzt. Eine Zahl a\in\{1,...,N-1\}
heißt F-Zeuge für N
, wenn a^{N-1} mod\ N\not= 1
gilt. Eine Zahl a\in\{1,...,N-1\}
heißt F-Lügner für N
, wenn a^{N-1} mod\ N=1
gilt. Die Menge der F-Lügner nennen wir L^F_N
.
Wir bemerken, dass ein F-Zeuge belegt, dass es Faktoren k,l >1
mit N=k*l
gibt, dass aber ein F-Zeuge nicht auf solche Faktoren hinweist oder sie beinhaltet. Das Finden von Faktoren wird von Primzahltests auch nicht verlangt und normalerweise auch nicht geleistet.
Man sieht sofort, dass 1
und N-1
immer F-Lügner sind: Es gilt 1^{N-1} mod\ N=1
und (N-1)^{N-1} \equiv (-1)^{N-1}=1 (mod\ N)
, weil N-1
gerade ist.
Für jede zusammengesetzte Zahl N
gibt es mindestens einen F-Zeugen. Nach Fakt 4.19 gilt {1,...,N-1}-\mathbb{Z}^*_N\not=\varnothing$, wenn N
zusammengesetzt ist.
Lemma 4.35: Wenn N
zusammengesetzt ist, ist jedes a\in\{1,...,N-1}-\mathbb{Z}^*_N
ein F-Zeuge.
Beweis: Sei d=ggT(a,N)>1
. Dann ist auch a^{N-1}
durch d
teilbar, also auch a^{N-1}\ mod\ N=a^{N-1}- \lfloor a^{N-1}\backslash N\rfloor *N
. Daher ist a^{N-1} mod\ N\not= 1
.
Beispiel: Für N=15
und a=6
gilt 6^{14}\equiv 36^7\equiv 6^7 \equiv 36^3 * 6 \equiv 6^4 \equiv 6^2 \equiv 6\ (mod\ 15)
. Der Rest 6
ist durch ggT(6,15) = 3
teilbar.
Leider ist für manche zusammengesetzten Zahlen N
die Menge \{1 ,...,N-1\}-\mathbb{Z}^*_N
̈außerst dünn. Wenn zum Beispiel N=pq
für zwei Primzahlen p
und q
ist, dann gilt ggT(a,N)> 1
genau dann wenn p
oder q
ein Teiler von a
ist. Es gibt genau p+q-2
solche Zahlen a
in \{ 1 ,...,N-1\}
, was gegenüber N
sehr klein ist, wenn p
und q
annähernd gleich groß sind. Um eine gute Chance zu haben, F-Zeugen zu finden, sollte es also mehr als nur die in \{1 ,...,N-1\}-\mathbb{Z}^*_N
geben.
Beispiel: N=91 = 7*13
. Es gibt 18 Vielfache von 7 und 13 (für größere p
und q
wird der Anteil dieser offensichtlichen F-Zeugen noch kleiner sein), und daneben weitere 36
F-Zeugen und 36
F-Lügner in \{1 , 2 ,..., 90\}
.
In diesem Beispiel gibt es um einiges mehr F-Zeugen als F-Lügner. Wenn dies für alle zusammengesetzten Zahlen N
der Fall wäre, wäre es eine elegante randomisierte Strategie, einfach zufällig nach F-Zeugen zu suchen. Dies führt zu unserem ersten Versuch für einen randomisierten Primzahltest.
Tabelle 3: F-Zeugen und F-Lügner für N=91= 7*13
. Es gibt 36
F-Lügner und 36
F-Zeugen in \mathbb{Z}^*_{91}
. Wir wissen nach Lemma 4.35, dass alle 18 Vielfachen von 7
und 13
F-Zeugen sind.
F-Zeugen in \{ 1 ,..., 90\}-\mathbb{Z}^*_{91} : |
7, 14, 21, 28, 35, 42, 49, 56, 63, 70, 77, 84; 13, 26, 39, 52, 65, 78 |
F-Lügner: | 1, 3, 4, 9, 10, 12, 16, 17, 22, 23, 25, 27, 29, 30, 36, 38, 40, 43, 48, 51, 53, 55, 61, 62, 64, 66, 68, 69, 74, 75, 79, 81, 82, 87, 88, 90 |
F-Zeugen in \mathbb{Z}^*_{91} : |
2, 5, 6, 8, 11, 15, 18, 19, 20, 24, 31, 32, 33, 34, 37, 41, 44, 45, 46, 47, 50, 54, 57, 58, 59, 60, 67, 71, 72, 73, 76, 80, 83, 85, 86, 89 |
Algorithmus 4.4: Fermat-Test
- Eingabe: Ungerade Zahl
N\geq 3
- Methode:
- Wähle
a
zufällig aus\{1,...,N-1\}
- if
a^{N-1}\ mod\ N\not= 1
then return1
else return0
- Wähle
Die Laufzeitanalyse liegt auf der Hand: Der teuerste Teil ist die Berechnung der Potenz a^{N-1}\ mod\ N
durch schnelle Exponentiation, die nach den Ergebnissen von Lemma 4.14 O(log\ N)
arithmetische Operationen und O((log\ N)^3)
Ziffernoperationen benötigt. Weiter ist es klar, dass der Algorithmus einen F-Zeugen gefunden hat, wenn er ,,1'' ausgibt, dass in diesem Fall also N
zusammengesetzt sein muss. Umgekehrt ausgedrückt: Wenn N
eine Primzahl ist, gibt der Fermat-Test garantiert ,,0'' aus. Für N=91
wird das falsche Ergebnis 0
ausgegeben, wenn als a
einer der 36 F-Lügner gewählt wird. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist \frac{36}{90} =\frac{2}{5} = 0,4
.
Für viele zusammengesetzte Zahlen N
gibt es reichlich F-Zeugen, so dass der Fermat-Test für diese N
mit konstanter Wahrscheinlichkeit das korrekte Ergebnis liefert. Wir analysieren das Verhalten des Fermat-Tests für solche ,,gutmütigen'' Eingabezahlen N
(für die N=91
ein typisches Beispiel ist).
Satz 4.36: Sei N\geq 9
eine ungerade zusammengesetzte Zahl. Wenn es mindestens einen F-Zeugen b\in\mathbb{Z}^*_N
gibt, dann liefert der Fermat-Test auf Eingabe N
mit Wahrscheinlichkeit größer als \frac{1}{2}
die korrekte Antwort ,,1''.
Beweis: Sei b\in\mathbb{Z}^∗_N
ein F-Zeuge. Betrachte die Funktiong b:L^F_N\rightarrow\mathbb{Z}^*_N
, die den F-Lügner a
auf g_b(a) =ba\ mod\ N
abbildet. Wie im Beweis von Fakt 4.20 sieht man, dass g_b
injektiv ist. Weiter ist g_b(a)
für jedes a\in L^F_N
ein F-Zeuge: (ba\ mod\ N)^{N-1}\ mod\ N= (b^{N-1}\ mod\ N)(a^{N-1}\ mod\ N) =b^{N-1}\ mod\ N\not= 1
.
Wir können also jedem F-Lügner a
einen eigenen F-Zeugen g_b(a)
in \mathbb{Z}^*_N
zuordnen. Daraus folgt, dass es in \mathbb{Z}^*_N
mindestens so viele F-Zeugen wie F-Lügner gibt. Mit Lemma 4.35 ergibt sich, dass \{1,...,N-1\}
mehr F-Zeugen als F-Lügner enthält. Daher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die im Fermat-Test zufällig gewählte Zahl a
ein F-Lügner ist, kleiner als \frac{1}{2}
.
Eine Fehlerwahrscheinlichkeit in der Nähe von \frac{1}{2}
ist natürlich viel zu groß. Wir verringern die Fehlerschranke durch wiederholte Ausführung des Fermat-Tests.
Algorithmus 4.5: Iterierter Fermat-Test
- Eingabe: Ungerade Zahl
N\geq 3
, eine Zahll\geq 1
- Methode:
- repeat
l
timesa\leftarrow
ein zufälliges Element von\{1 ,...,N-1\}
- if
a^{N-1}\ mod\ N\not= 1
then return1
- return 0
- repeat
Wenn die Ausgabe 1
ist, hat der Algorithmus einen F-Zeugen für N
gefunden, also ist N
zusammengesetzt. D.h.: Wenn N
eine Primzahl ist, ist die Ausgabe 0
. Andererseits: Wenn N
zusammengesetzt ist, und es mindestens einen F-Zeugen b\in\mathbb{Z}^∗_N
gibt, dann ist nach Satz 4.36 die Wahrscheinlichkeit für die falsche Ausgabe ,,0'' höchstens (\frac{1}{2})^l= 2^{-l}
. Indem wir l
genügend groß wählen, können wir die Fehlerwahrscheinlichkeit so klein wie gewünscht einstellen.
Wenn es darum geht, aus einem genügend großen Bereich zufällig gewählte Zahlen darauf zu testen, ob es sich um eine Primzahl handelt, dann ist der Fermat-Test (in Kombination mit dem Testen auf kleine Teiler, etwa alle Primzahlen unter 1000) allem Anschein nach eine sehr effiziente und zuverlässige Methode. Dies wird durch empirische Resultate nahegelegt. Wenn man allerdingsüber die Herkunft der zu testenden Zahl N
keine Information hat und eventuell damit rechnen muss, dass jemand (ein ,,Gegenspieler'') absichtlich eine besonders schwierige Eingabe vorlegt, dann stößt der Fermat-Test an eine Grenze. Es gibt nämlich ,,widerspenstige'' zusammengesetzte Zahlen, denen man mit diesem Test nicht beikommen kann, weil alle Elemente von \mathbb{Z}^*_N
F-Lügner sind. Mit diesen befasst sich der folgende Abschnitt.
Carmichael-Zahlen
Definition 4.37: Eine ungerade zusammengesetzte Zahl N
heißt eine Carmichael-Zahl, wenn für alle $a\in\mathbb{Z}^∗_N
die Gleichung a^{N-1}\ mod\ N= 1
gilt.
Die kleinste Carmichael-Zahl ist 561 = 3* 11 *17
. Weitere kleine Carmichael-Zahlen sind 1105 = 5* 13 *17
und 1729 = 7* 13 *19
. Erst im Jahr 1994 wurde bewiesen, dass es unendlich viele Carmichael-Zahlen gibt, genauer: Wenn x
genügend groß ist, dann gibt es in \{N\in\mathbb{N}| N\leq x\}
mehr als x^{2/7}
Carmichael-Zahlen. Die aktuell beste bekannte untere Schranke ist x^{1/3}
. Von Erdös (1956) stammt die obere Schranke x*exp(\frac{-c\ ln\ x\ ln\ ln\ ln\ x}{ln\ ln\ x})
, für eine Konstante c>0
, die zeigt, dass Carmichael-Zahlen viel seltener als Primzahlen sind.
Wenn wir dem Fermat-Test eine Carmichael-Zahl N
als Eingabe geben, ist die Wahrscheinlichkeit für die falsche Antwort 0
nach Lemma 4.29 genau \frac{\varphi(N)}{N-1} > \frac{\varphi(N)}{N} = \prod_{p\ prim, p\ teilt\ N} (1 -\frac{1}{p})> 1 -\sum_{p\ prim, p\ teilt\ N} \frac{1}{p}
.
Diese Wahrscheinlichkeit liegt nahe an 1
, wenn N
nur wenige und relativ große Primfaktoren hat. An solchen Carmichael-Zahlen besteht etwa im Bereich der Zahlen im Bereich [10^{17} , 10^{18} ]
kein Mangel, wie ein Blick in entsprechende Tabellen zeigt. Zum Beispiel ist N=925619721362375041 = 425681* 1277041 *1702721
eine 18-ziffrige Carmichael-Zahl mit \varphi(N)/N > 0.999996
.
Der Wiederholungstrick zur Wahrscheinlichkeitsverbesserung hilft hier leider auch nicht, denn wenn etwa p_0
der kleinste Primfaktor von N
ist, und N
nur 3
oder 4
Faktoren hat, dann sind \Omega(p_0)
Wiederholungen nötig, um die Fehlerwahrscheinlichkeit auf \frac{1}{2}
zu drücken. Sobald p_0
mehr als 30 Dezimalstellen hat, ist dies undurchführbar.
Für einen zuverlässigen, effizienten Primzahltest, der für alle Eingabezahlen funktioniert, müssen wir über den Fermat-Test hinausgehen. Interessanterweise ist dies praktisch ohne Effizienzverlust möglich. Für spätere Benutzung stellen wir noch eine Hilfsaussage über Carmichael-Zahlen bereit.
Lemma 4.38: Wenn N
eine Carmichael-Zahl ist, dann ist N
keine Primzahlpotenz.
Beweis: Wir beweisen die Kontraposition: Wenn N=p^l
für eine ungerade Primzahl p
und einen Exponenten l\geq 2
ist, dann ist N
keine Carmichael-Zahl. Dazu genügt es, eine Zahl a\in\mathbb{Z}^*_N
anzugeben, so dass a^{N-1}\ mod\ N\not= 1
ist. Wir definieren: a:=p^{l-1} + 1
. (Wenn z.B. p=7
und l=3
ist, ist N=343
und a=49+1=50
.) Man sieht sofort, dass a<p^l=N
ist, und dass a
nicht von p
geteilt wird, also a
und N
teilerfremd sind; also ist a\in\mathbb{Z}^∗_N
. Nun rechnen wir modulo N
, mit der binomischen Formel: a^{N-1} \equiv (p^{l-1} + 1)^{N-1} \equiv \sum_{0 \leq j\leq N-1} \binom{N-1}{j} (p^{l-1})^j \equiv 1 + (p^l-1)*p^{l-1} (mod\ N)
. (4.3)
(Die letzte Äquivalenz ergibt sich daraus, dass für j\geq 2
gilt, dass (l-1)j\geq l
ist, also der Faktor (p^{l-1})j=p^{(l-1)j}
durch N=p^l
teilbar ist, also modulo N
wegfällt.) Nun ist p^{l-1}
nicht durch p
teilbar, also ist (p^l-1)*p^{l-1}
nicht durch N=p^l
teilbar. Damit folgt aus (4.3), dass a^{N-1}\not\equiv 1 (mod\ N)
ist, also a^{N-1}\ mod\ N\not= 1
.
Folgerung: Jede Carmichael-Zahl N
lässt sich als N=N_1 *N_2
schreiben, wo N_1
und N_2
teilerfremde ungerade Zahlen \geq 3
sind.
(Eine etwas genauere Untersuchung, die wir hier aber nicht benötigen, ergibt, dass die Primfaktoren einer Carmichael-ZahlN alle verschieden sein müssen, und dass N
mindestens drei Primfaktoren haben muss. Auch aus dieser Tatsache kann man entnehmen, dass Carmichael-Zahlen eher selten sind.)
Nichttriviale Quadratwurzeln der 1
Beispiel: Betrachte N=7*13
. Es gilt 1^2 = 1
und 90^2 \equiv(-1)^2 (mod\ 91)
. Aber es gilt auch 27^2 = 81* 9 \equiv(-10)*9 = -90\equiv 1(mod\ 91)
. Daraus folgt auch
642 =(91-27)^2 \equiv (-27)^2 = 27^2 \equiv 1 (mod\ 91)
. Wir nennen eine Zahl b\in\{2,...,N-2\}
mit b^2\ mod\ N=1
eine nicht triviale Quadratwurzel der 1
modulo N
. Bei Primzahlen gibt es solche Zahlen nicht.
Lemma 4.39: Wenn p
eine ungerade Primzahl ist, dann gilt b^2\ mod\ p = 1
, b \in\mathbb{Z}_p
, genau für b\in\{1 ,p-1\}
.
Beweis: Offensichtlich gilt für jedes beliebige m\geq 2
, dass 1^2\ mod\ m= 1
und (m-1)^2\ mod\ m= (m(m-2)+1)\ mod\ m= 1
ist. Nun sei b\in\{0 ,...,p-1\}
beliebig mit b^2\equiv 1(mod\ p)
. Dann gilt b^2-1 \equiv 0 (mod\ p)
, also ist p
ein Teiler von b^2-1 =(b+1)(b-1)
. Nach Fakt 4.27 ist p
Teiler von b+1
oder von b-1
. Im ersten Fall ist b\equiv -1 (mod\p)
, im zweiten Fall ist b\equiv 1(mod\ p)
.
Die im Lemma angegebene Eigenschaft lässt sich also in ein weiteres Zertifikat für zusammengesetzte Zahlen ummünzen:
Wenn es eine nichttriviale Quadratwurzel der 1
modulo N
gibt, dann ist N
zusammengesetzt.
Die vier Zahlen 1, 27, 64
und 90
sind genau die Quadratwurzeln der 1
modulo 91
; davon sind 27
und 64 = 91-27
nichttrivial. Beachte, dass 1\equiv 63\ (mod\ 7)
und 27\equiv 90 \equiv -1(mod\ 7)
, und dass 1\equiv 27 (mod\ 13)
und 64\equiv 90 \equiv -1 (mod\ 13)
. Allgemeiner sieht man mit der Verallgemeinerung von Fakt 4.21 (Chinesischer Restsatz) auf r
Faktoren leicht ein, dass es für ein Produkt N=p_1...p_r
aus verschiedenen ungeraden Primzahlen p_1,...,p_r
genau 2^r
Quadratwurzeln der 1
modulo N
gibt, nämlich die Zahlen b,0\leq b < N
, die b\ mod\ p_j\in\{1 ,p_j-1\}, 1\leq j\leq r
, erfüllen. Wenn N
nicht sehr viele verschiedene Primfaktoren hat, ist es also aussichtslos, einfach zufällig gewählte $b$’s darauf zu testen, ob sie vielleicht nichttriviale Quadratwurzeln der 1
sind. Dennoch wird uns dieser Begriff bei der Formulierung eines effizienten Primzahltests helfen.